"Der Neugierde wollte ich dienen"

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Anlässlich seines 90. Geburtstags antwortet Carl Friedrich von Weizsäcker auf die Fragen von Radio Vatikan-Chefredakteur Eberhard von Gemmingen. Ein Furche-Gespräch über die Neugier des Physikers, über sein Ethos als politischer Mensch und über sein Verständnis von Christsein.

Die Furche: Herr Professor Weizsäcker, Sie sind Physiker, Friedensforscher, ein Christ, der vorgezeigt wird bei Kirchentagen und anderen Kirchenveranstaltungen. Was hat Sie in Ihrem Leben geprägt, wodurch sind Sie geworden, was Sie sind?

Carl Friedrich von Weizsäcker: Das ist natürlich sehr schwer zu sagen. Meine Familie war eine politisch interessierte Familie, mein Großvater war der letzte königlich-württembergische Ministerpräsident. Ich wollte aber als Kind überhaupt nicht Politiker werden, sondern als ich vier Jahre alt war, wollte ich Lokomotivführer werden, als ich sechs Jahre alt war, wollte ich Forschungsreisender werden und als ich acht Jahre alt war, wollte ich Astronom werden. Das heißt, ich wollte immer gern meiner Neugier gegenüber der Welt dienen können. Dann bin ich in der Tat Physiker geworden. Dass ich Physiker wurde und nicht Astronom, hing wesentlich damit zusammen, dass ich - als ich vierzehn Jahre alt war - den damals 25-jährigen Werner Heisenberg kennengelernt habe, der gerade die Quantenmechanik, also die definitive Fassung der Quantentheorie formulierte.

Die Furche: Sie waren erst vierzehn Jahre alt und wussten damals schon so viel von Physik, dass Sie das fasziniert hat?

Weizsäcker: Das hat mich brennend interessiert. Ich bin dann zu Heisenberg nach Leipzig gegangen - mein Abitur hatte ich gemacht als ich noch nicht ganz 18 Jahre alt war - und habe bei ihm studiert. Dann fragen Sie mich nach der Religion? Für mich war, von Kindheit an, die religiöse Erfahrung etwas absolut ernst zu Nehmendes. Ich erinnere mich, dass ich einmal, zwölf Jahre alt, im Schweizer Jura die Sommerferien verbrachte. Mein Vater war damals Deutscher Konsul in Basel.

Am ersten August 1924, am Schweizer Nationalfeiertag, war eine Festivität in unserem Hotel. Es ist mir gelungen aus dem gemeinsamen Marsch zu entweichen, und ich bin hinaus in die Sommernacht. Da hatte ich zwei fundamentale Erlebnisse: Ich sah die Sterne und dachte, sie sind Glaskugeln, und ich möchte sie verstehen. Das andere, eigentlich zuerst zu nennende Erlebnis, war der Gedanke: Hier ist Gott gegenwärtig. Gott ist da. Als ich ins Hotel zurückkam, war für mich die Frage nur: Wie kann ich mein Interesse für die Sternkunde verbinden mit meiner Überzeugung von Gott?

Die Furche: Würden Sie sagen, Sie haben so etwas wie ein mystisches Erlebnis gehabt oder ist das übertrieben?

Weizsäcker: Also, ob ich das damals gehabt habe, wage ich nicht zu behaupten. Viel später, als ich bald schon sechzig Jahre alt war, bin ich einmal nach Indien gekommen und habe dort etwas von mystischen Erfahrung mitbekommen. Das hat mich aber gar nicht bewogen, deshalb nun Hindu werden zu wollen. Ich habe mit den Hindus ganz selbstverständlich geredet indem ich sagte: Ich habe bei euch etwas erfahren, was ich vorher so nicht erfahren habe, aber ich bin Christ und bleibe Christ und ich achte euch als Hindus.

Die Furche: Ist ein Zentralbegriff für Ihr Christsein, Politikersein, Physikersein, dass Sie Moralist sind? Ist für Sie das Ethos zentral oder beißt sich das dann doch mit der Physik?

Weizsäcker: Ich habe eigentlich das Gefühl, dass wenn jemand sich darauf beruft, dass er das Ethos beherrscht, er damit bereits lügt. Aber mir war das Ethische wichtig. Es ist mir auch dann, in der Beurteilung der politischen Fragen, sehr wichtig gewesen. Die geistige Erfahrung, die Sie gerade mit dem Wort "mystisch" bezeichnet haben, ist aber etwas darüber hinaus. Und ich gestehe, dass ich dafür mein ganzes Leben lang eine gewisse offene Erwartung hatte.

Die Furche: Ist Physik auch ein Weg Gott zu suchen?

Weizsäcker: Ich wollte die Naturwissenschaft, aber ich habe ja gerade die Geschichte erzählt, wie ich an den Sternen erlebte, hier ist Gott gegenwärtig und die Sterne sind Glaskugeln. Wie das zusammenhängt, kann mir wahrscheinlich kein Mensch sagen, aber danach muss ich suchen.

Die Furche: Treibt Sie eine grundlegende Neugierde?

Weizsäcker: Was meinen Zugang zur Naturwissenschaft betrifft, kann man sicher sagen, das ist grundlegende Neugierde. In der Religion ist es nicht Neugierde. Das ist Ernstnehmen, dessen was auf mich zukommt.

Die Furche: Sehr viele Menschen in Europa können heute mit Gott eigentlich nichts mehr anfangen. Haben Sie eine Ahnung, woher das kommt?

Weizsäcker: Man hat inzwischen gelernt, wie viel Erfolg man allein mit der Technik haben kann. Was das mit Gott zu tun habe, daran wurde auch in der christlichen Vergangenheit zuwenig gedacht. Und so wurde diese Erfahrung, wie viel man von der Naturwissenschaft und von der Technik gewinnen kann, zu einer Ablenkung vom Gottesglauben. Ich glaube jedoch, der Gottesglaube, der in der Vergangenheit natürlich mit vielen Naivitäten verbunden war, lässt sich mit der besseren Erkenntnis, die wir heute von der sogenannten Natur und von den Naturgesetzen haben, sehr wohl verbinden. Aber das ist nicht selbstverständlich, das muss gewonnen werden.

Die Furche: Und warum wird es heute nicht gewonnen?

Weizsäcker: Weil die Menschen noch nicht gemerkt haben, dass es darauf ankommt.

Die Furche: Könnte es sein, dass der heutige Mensch von einem generellen "Zuviel" totgeschlagen wird. Zuviel an Informationen, zuviel an Eindrücken, zuviel an Lärm, zuviel an Arbeit, zuviel an Menschen, die um einen herum sind. Kommt der Mensch nicht mehr zum Reflektieren, Denken und Sich-fragen, wo das alles herkommt und hingeht?

Weizsäcker: Ja, vielleicht könnte man das sagen. Aber man könnte dann auch wieder sagen, dass in früheren Zeiten die Menschen einfach brav geglaubt haben, was man ihnen predigte, ohne dass sie deshalb eine wirkliche Erfahrung von dieser Sache hatten. Jetzt finde ich immer wieder, wenn ich mit jungen Menschen umgehe, dass sie für die Fragen, die sie jetzt gerade stellen, vollkommen offen sind.

Die Furche:Sind Sie wie Karl Rahner der Meinung, der Christ der Zukunft müsse ein Mystiker sein oder er wird gar kein Christ mehr sein können? Aber wie kann man Mystiker werden? Kann man es anstreben, mystische Erfahrungen zu machen, um dann damit durchzustoßen zu einem größeren Gottesglauben?

Weizsäcker: Zunächst, der Mensch muss nicht Mystiker sein, er kann in einer ganz naiven Weise versuchen, das was im Gottesglauben gesagt wird, ernst zu nehmen. Ich selber habe einen gewissen Weg zur Mystik gefunden und habe entdeckt, dass das eine ganz wichtige Sache ist. Aber die Religion ist nicht automatisch Mystik.

Die Furche: Ich komme auf ganz etwas anderes noch. Kann man ohne Gott einen Staat machen? Brauchen nicht alle grundlegenden Gesetze eines Staates, eines Zusammenlebens, die transzendente Begründung? Eine Absprache, Menschen, die über sechzig Jahre alt sind, nicht umzubringen sanft und lieb, lässt sich letztlich nur durch Transzendenz begründen, durch Gott.

Weizsäcker: Man soll den Gottesglauben ernst nehmen. Wenn man ihn ernst nimmt, dann wird man zu Erfahrungen kommen. Auf diese Erfahrung würde ich jeden Menschen, der mich danach fragt, hinweisen. Ich habe aber nicht den Wunsch, den anderen zu sagen, ihr müsst jetzt genau meinen Gottesglauben haben.

Das Gespräch führte Eberhard von Gemmingen, Chefredakteur der deutschen Abteilung von Radio Vatikan.

Hören können Sie das Interview am 7. Juli um 20 Uhr 20 und am 8. Juli um 6 Uhr 20 auf Mittelwelle 1530 und 1467 kHz, Kurzwelle 5890, 7250, 9645 kHz.

Vordenker der Weltinnenpolitik

"Sohn von 2), Bruder von 4), Vater von 3)." Sein Vorname stellt ihn im Brockhaus an Stelle 1), aber auch nach Bedeutung und Akzeptanz gereiht, macht ihm keiner in der Familie diese Position streitig. Carl Friedrich von Weizsäcker kein anderer Wissenschafter hat sich als Zeit-Diagnostiker, Mahner und Vordenker der "Weltinnenpolitik" vergleichbare Autorität erworben. Dass er gehört wird, dessen konnte sich der Physiker, Philosoph und Friedensforscher, der am 28. Juni seinen 90. Geburtstag feiert, gewiss sein. Zwei Mal hat er die ihm angetragene Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten abgelehnt und diese Aufgabe seinem jüngeren Bruder Richard überlassen. In der Physik hatte der brillante Schüler Werner Heisenbergs seine wissenschaftlichen Lorbeeren errungen. 1943 erscheint sein Hauptwerk "Zum Weltbild der Physik". Seine zweite Liebe war von jeher die Philosophie, für die er schließlich auch einen Lehrstuhl erhielt. Im Februar 2002 hat Weizsäcker sein Leitmotiv, die Verantwortung der Wissenschaft, wieder eingeholt. Die Veröffentlichung der "Bohr-Papiere" über das legendäre Treffen zwischen dem Physiker Niels Bohr und seinem Schüler Heisenberg 1941 im besetzen Kopenhagen gab den Feuilletons erneuten Anlass, über die Verstrickung der deutschen Physiker-Elite in das Hitler-Regime zu spekulieren. Die eigene Rolle in den damaligen Verfänglichkeiten zwischen wissenschaftlichem Ehrgeiz und politischer Naivität hat Weizsäcker früher und unerbittlicher als jeder heutige Feuilletonist gesehen und bekannt. In einem Gedicht unmittelbar nach dem Krieg schrieb er: "Furchtbare Klugheit, die mir riet Geduld! O Zwang, Verstrickung, Säumnis! Schuld, o Schuld!"

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