Der Philosoph des DIALOGS

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Vor 50 Jahren starb der jüdische Denker Martin Buber, der die Ich-Du-Beziehung ins Zentrum seiner Weltbetrachtung gerückt hat.

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Vor 50 Jahren starb der jüdische Denker Martin Buber, der die Ich-Du-Beziehung ins Zentrum seiner Weltbetrachtung gerückt hat.

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"Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder nur zu wenig gesehen worden ist - ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch." Diese Maxime ist bezeichnend für das Denken des deutsch-jüdischen Religions- und Sozialphilosophen Martin Buber, der das wesentliche Element der menschlichen Existenz in der Begegnung mit Anderen sieht. "Beziehung ist Gegenseitigkeit", schrieb Buber, "mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirke." Mit dieser Betonung des "Ich-Du"-Prinzips wandte er sich explizit gegen das cartesianische Cogito ergo sum und gegen die Verabsolutierung des Ich, wie sie im deutschen Idealismus erfolgte. Bubers dialogische Philosophie war der Ausgangspunkt für seine Sozialphilosophie und seine Pädagogik, in denen ebenfalls die menschliche Begegnung eine zentrale Rolle spielte, die von Anerkennung, Verantwortung und Vertrauen bestimmt werden sollte.

Zwischen Chassidismus und Zionismus

Geboren wurde Martin Buber am 8. Februar 1878 in Wien. Nach der Scheidung seiner Eltern wuchs er bei seinem Großvater, dem umfassend gebildeten Talmudgelehrten Salomon Buber, in Lemberg auf. Durch ihn kam er in Kontakt mit verschiedenen Traditionen der jüdischen Kultur, auf die er sich - in unterschiedlichen Stellungnahmen - zeit seines Lebens bezog. Ab 1896 studierte Buber an den Universitäten Wien, Leipzig, Zürich und Berlin Philosophie, wobei ihn - wie viele seiner Zeitgenossen - besonders die kulturkritischen Werke von Friedrich Nietzsche beeindruckten. In diesen Jahren faszinierte ihn auch der Chassidismus - ein Ausdruck ostjüdischer "gemütstiefer Mystik".

Diese aktive Form der Mystik, in der es um ein direktes Erleben des jüdischen Glaubens ging, stand im Gegensatz zur Haskala, zur jüdischen Form der Aufklärung, die der Großvater des Religionsphilosophen vertrat. In diesen Jahren lernte Buber Theodor Herzl kennen, dessen zionistischer Bewegung er sich anschloss; er übernahm sogar die Leitung des zionistischen Parteiorgans Die Welt. Ein weiterer wesentlicher Einfluss ging von dem anarchistischen Theoretiker Gustav Landauer aus, mit dem Buber eine langjährige Freundschaft verband. Landauer, der von 1870 bis 1919 lebte, entfaltete ein philosophisch-politisches Werk, das sich auf anarchistische und frühsozialistische Traditionen berief, die mit Namen wie Pjotr Kropotkin oder Pierre-Joseph Proudhon verbunden sind. Hingegen lehnten Landauer und Buber die von Karl Marx und Friedrich Engels propagierte Diktatur des Proletariats rigoros ab; sie sahen darin ein Herrschaftssystem, das "geradewegs in die Sklaverei und Bestialität führt".

An die Stelle jeglicher Herrschaftsordnung sollte nach Landauer und Buber eine freiwillige, vernetzte Organisation der Gesellschaft treten, die sich durch ein Zusammenspiel von einander helfenden Menschen auszeichnet. Eine "neue Gemeinschaft" sollte entstehen, die ein Zusammenleben von Menschen ermöglicht, das nicht von ideologischen oder religiösen Programmen geregelt wird. Buber sprach - ähnlich wie später Martin Heidegger in "Sein und Zeit" - von einem "Mit-Sein" in einer Gemeinschaft, in der sich die Individuen ohne Vorurteile oder Dogmen begegnen. "Erst wenn der jubelnde Rhythmus des Lebens die Regel besiegt hat", notierte Buber, "ist die Menschheit vom Zwang des Leeren und Unwahren frei".

"Ich und Du" - das Hauptwerk

1923 erschien sein philosophisches Hauptwerk "Ich und Du"; in dem Jahr erhielt Buber auch einen Lehrauftrag für Religionswissenschaft und jüdische Ethik an der Universität Frankfurt am Main. Der Ausgangspunkt für das Werk war ein traumatisches Erlebnis, das in seiner Jugend stattfand. Buber berichtet von einer tragischen "Vergegnung", wie er sie nannte, mit einem ihm unbekannten jungen Menschen, den ein Notfall veranlasst hatte, ihn aufzusuchen und ihn um Hilfe zu bitten. "Ohne mit der Seele dabei zu sein" reagierte der in philosophischen Sphären schwebende junge Philosoph auf die existenzielle Notsituation seines Besuchers. Erst später wurde ihm bewusst, was er durch seine interesselose Haltung angerichtet hatte und war zutiefst erschüttert; es war für ihn ein Bekehrungserlebnis, das ihn dazu brachte, den Dialog in den Mittelpunkt seines Denkens und Handelns zu rücken. Buber ging davon aus, dass der Mensch nicht als Solipsist existieren könne, sondern sich durch zwei Haltungen zur sozialen Welt auszeichne: durch die Beziehung "Ich-Du" und durch das Verhältnis "Ich-Es".

Während mit der Relation "Ich-Es" der Bezug zur gesellschaftlich-technisch "objektivierten" Welt gemeint ist, die der Einzelne nur bedingt verändern kann, stiftet "Ich-Du" die personale Erlebniswelt mit den konkreten Anderen. Schon lange vor Adorno/Horkheimer wies Buber darauf hin, dass die Verwertungslogik der kapitalistischen Gesellschaft mit der Ausbildung einer instrumentellen Vernunft verbunden ist. Dagegen setzte Buber die lebendige "Ich-Du"-Beziehung, worunter er auch den Dialog zwischen dem menschlichen "Ich" und dem göttlichen "Du" verstand. Gott ist für ihn nicht das absolute Sein, sondern ein Wesen, das es dem Menschen ermöglicht, "das ihm anvertraute Stück Welt zu heiligen".

Das Dialogische in der Pädagogik

Das dialogische Denken bestimmte auch Bubers Ausführungen zur Pädagogik. Im Mittelpunkt stand die Ausbildung zu einem Individuum, für das die Mitmenschlichkeit Priorität hat. Erreicht werden sollte dieses Ziel durch ein "dialogisches, vertrauensvolles Miteinander", das der Pädagoge in Zusammenarbeit mit dem Heranwachsenden schaffen sollte. Das setzt die Bereitschaft des Pädagogen voraus, Erziehung nicht als einseitigen Dressurakt zu verstehen, der die Aufgabe hat, dem Jugendlichen gesellschaftliche Maßstäbe und Werte zu vermitteln, an denen er sich möglichst kritiklos zu orientieren hat. "Eine Norm und eine feste Maxime der Erziehung gibt es nicht", schrieb Buber im Essay "Über das Erzieherische","was man so nennt, war stets nur die Norm einer Kultur, einer Gesellschaft, einer Kirche oder eines Zeitalters". Deshalb bestehe die Aufgabe des Erziehers darin, die Charakterbildung und das Verantwortungsbewusstsein des ihm anvertrauten Jugendlichen zu fördern, um ihn zur Selbsterziehung zu befähigen, die für Buber "die wahrhafte Erziehung" darstellte.

Bubers emphatisches Engagement für den Dialog wurde durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten torpediert. Ihr fanatischer Terror zwang ihn, 1938 nach Jerusalem zu emigrieren, wo er eine Professur für Sozialphilosophie an der Hebräischen Universität übernahm. Obwohl ihn die Ermordung von Millionen Juden zutiefst erschütterte, setzte sich Buber weiter für den Dialog ein, konkret für die Versöhnung zwischen Juden und Palästinensern. Die gegenseitige Anerkennung der historischen Leidenserfahrungen war für ihn die unbedingte Voraussetzung für einen nachhaltigen Frieden. Martin Buber verstarb am 13. Juni 1965; eine symbolische Geste ereignete sich bei dem Begräbnis des Philosophen: Sein Sarg wurde von der israelischen Flagge eingehüllt, so wird berichtet, auf der Rosen, Nelken und Gladiolen von arabischen Studenten lagen.

BUCHTIPP:

Martin Buber - seine Herausforderung an das Christentum

Von Karl-Josef Kuschel. Gütersloher Verlagshaus 2015. 364 S., geb, € 25,70

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