Der Scheich, der Israel den Leidenskelch füllt

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Bei anderen war er nicht zimperlich, doch bei einem wie Scheich Ahmed Jassin zuckt selbst der israelische Polit-Haudegen Shimon Peres zurück. Weil Jassin im Rollstuhl sitze, sei er "ein besonderer Fall", erklärt Peres und kritisiert den israelischen Bombenangriff auf den Hamas-Gründer vom letzten Wochenende. "Es muss alles getan werden", fordert Peres, "um eine Eskalation zu verhindern." Dazu könnte es bereits zu spät sein. Jassin, nur leicht verletzt, schwört seine Getreuen erneut auf den "Kampf bis zum letzten Blutstropfen" ein.

Vater von elf Kindern

Der mittlerweile an Armen und Beinen gelähmte, nahezu erblindete und taube Vater von elf Kindern ist seit seiner bejubelten Rückkehr nach Gaza fester Bestandteil des fatalen Kreislaufs der Gewalt im Nahen Osten. Geboren wurde Jassin 1936 in Majdel nahe der Hafenstadt Ashkelon. Das Dorf wird 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg dem Erdboden gleichgemacht. Mit seiner Familie flüchtet Jassin in den Gaza-Streifen. Im Alter von zwölf Jahren bekommt er im Flüchtlingslager beim Fußballspiel einen Tritt in die Wirbelsäule. Seitdem ist er querschnittgelähmt. Trotz seiner Behinderung studiert Jassin ein Jahr in Kairo. Weil es an Geld fehlt, kann er sein Studium nicht beenden. Dennoch ist dieses Jahr entscheidend für seine weitere Entwicklung, denn er lernt dort die Fundamentalisten-Organisation der Moslembrüder kennen.

In den siebziger Jahren gründet Jassin die "Moujama al Islami", die ihre Anhängerschaft unter den Jugendlichen im Gaza-Streifen rekrutiert. Israel fördert die Gruppe, die sich gegen die Fatah-Bewegung von Jassir Arafat richtet. Als Jassin zu Beginn der ersten Intifada 1987 die Hamas gründet, wird er abermals von Israels Geheimdiensten als Gegengewicht zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) unterstützt.

Lebenslange Haft für Jassin

Doch die Zusammenarbeit währt nur kurz. Der kleine Mann mit dem weißen Bart wird festgenommen, die Hamas verboten. 1991 verurteilt ihn ein israelisches Militärgericht wegen mehrfachen Mordes und Anstiftung zur Gewalt zu lebenslanger Haft. Während der Gerichtsverhandlung zeigt sich der "Scheich der Intifada" unerschütterlich: "Das jüdische Volk trank den Leidenskelch und lebte überall zerstreut in der Welt. Heute will dasselbe Volk die Palästinenser zwingen, diesen Kelch zu trinken. Die Geschichte wird euch nicht entschuldigen, und Gott wird uns alle richten."

Im Tausch gegen Agenten

1997 muss Israel Jassin nach Jordanien ausfliegen lassen. Der jordanische König Hussein hatte seine Freilassung als Gegenleistung für die Auslieferung von zwei Mossad-Agenten verlangt. Kurz darauf kehrt der Scheich im Triumph nach Gaza zurück, wo seine Bewegung wegen ihrer sozialen Dienste viel Sympathie genießt. Unter dem Eindruck seiner Haft ruft er zunächst zur Mäßigung auf und begrüßt die Annäherung der Hamas an die PLO. Aber bald besinnt sich Jassin wieder seiner unheilvollen Lebensaufgabe, dem kompromisslosen Kampf gegen Israel. Und weder Hausarrest noch Attentatsversuche können ihm seine tödliche Vision austreiben: "Die Flagge des Islam muss über Jerusalem wehen." WM/APA

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