Der strenge Reformator

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Johannes Calvin hat durch sein geschichtsträchtiges Wirken das Leben der Menschen maßgeblich beeinflusst. Sein eigenes Leben und Werk steht bis heute im Kreuzfeuer widerstreitender Urteile.

Wie die meisten Persönlichkeiten, die durch ihr geschichtsträchtiges Wirken das Leben der Menschen beeinflusst, (um)gestaltet und verändert haben, stand und steht auch der Reformator Johannes Calvin im Kreuzfeuer einander widerstreitender Urteile und Meinungen. Die Beurteilung seiner Person und seines Wirkens hängt vom jeweiligen religiösen, politischen und geografischen Standort des Betrachters ab und reicht in der Reformationsgeschichte vom bibeltreuen, an antiken Vorbildern geschulten Humanisten bis zum unduldsamen, theokratischen Eiferer.

Calvin geißelte mit scharfen Worten und seinem juristisch geschulten Verstand die verweltlichte Papstkirche und errichtete mit seinem gewaltigen Œuvre das Denkgebäude der evangelisch reformierten Kirche. Sein vielfach überarbeitetes theologische Hauptwerk, die „Institutio Christianae Religionis“, deren letzte Ausgabe 1559 erschien und das ab der zweiten Ausgabe als Lehrbuch für zukünftige Prediger gedacht war, ist die bedeutendsten Dogmatik der Reformationszeit, sein Katechismus, den er selbst übrigens als sein wichtigstes Werk ansah, seine Kirchenordnung, die „Ordonannce ecclésiastiques“, seine wissenschaftlichen Abhandlungen, seine Lehrbücher, Bekenntnis- und Streitschriften erweisen ihn als Gelehrten von hohem Rang, der er als Bibelexperte neben seiner Tätigkeit als Prediger gewesen ist.

Im Zentrum der calvinistischen Theologie stand die aus der Gnade Gottes entspringende Lehre von der schicksalhaften Vorbestimmung des Menschen zur Auserwählheit oder Verdammnis. Die Prädestination diente den aus ihren Heimatländern vertriebenen Anhängern des Reformators zur Zeit der siegreichen Gegenreformation als Ausweis ihrer Identität und verlässliche Stütze ihres Glaubens.

Als sichtbares Zeichen ihrer Auserwähltheit betrachteten die Calvinisten den materiellen Lebenserfolg, den sie durch Fleiß und ein ausgeprägtes Arbeitsethos zu erzielen trachteten. Calvinistisches Unternehmertum und Gewinnstreben beflügelten das Wirtschaftsleben. Die Niederlande beispielsweise stiegen im 17. Jahrhundert zur führenden Seemacht Europas auf. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts hat dann der deutsche Wirtschaftshistoriker und Soziologe Max Weber den Zusammenhang zwischen puritanischer Religiosität, calvinistischer Betriebsamkeit und der Entstehung des modernen Kapitalismus aufzuzeigen versucht (eine kontrapunktische Analyse dazu siehe Seite 24 dieser FURCHE, Anm.). Calvinistischem Denken und Handeln im Exil entsprang auch das Widerstandsrecht gegen eine tyrannische Obrigkeit, worauf in diesem Zusammenhang nur en passant hingewiesen sei.

Vater des Puritanismus

Die Lehrmeinungen des gottesfürchtigen Reformators wurden von seinen Anhängern von Genf aus in zahlreichen europäischen Staaten verbreitet und erlangten in Gestalt des Puritanismus in England, Schottland und später in den Vereinigten Staaten von Amerika große politische Bedeutung und eine gesellschaftliche Prägekraft, die bis in unsere Zeit wirksam (geblieben) ist.

Johannes Calvin kam als Jean Cauvin am 10. Juli 1509 in der nordfranzösischen Stadt Noyon als Sohn eines bischöflichen Beamten zur Welt. Er wurde streng katholisch erzogen, studierte nach dem Besuch der Domschule in seiner Heimatstadt zunächst in Paris Theologie und erwarb an den Universitäten in Orléans und Bourges eine ausgezeichnete juristische Bildung. Calvin war ein cartesianisch denkender und disponierender Gelehrter. Schon in jungen Jahren wandte er sich dem Studium der Bibel und den Schriften der Kirchenväter zu und wurde unter dem Einfluss einiger seiner Lehrer zum schonungslosen Kritiker der zahlreichen Missstände in der katholischen Kirche. Seine Hinwendung zur Reformation dürfte sich in einem längeren Loslösungsprozess von seiner angestammten Religionsgemeinschaft und nicht durch ein plötzliches Bekehrungserlebnis vollzogen haben. Wir wissen nur sehr wenig darüber. Johannes Calvin war eine scheue, in sich gekehrte Natur, die auf den überlieferten bildlichen Darstellungen leidend und weltentrückt wirkt. „De me non libenter loquor“ – von mir selbst spreche ich nicht gern – stellte er in einer seiner Schriften fest.

Es fällt daher sogar seinen Biografen schwer, ein überzeugendes Persönlichkeitsbild oder gar ein Psychogramm von ihm zu zeichnen. Er sei ungeduldig gewesen, reizbar, jähzornig, ängstlich, streng gegen sich selbst und unerbittlich gegenüber anderen, von Kopf- und Magenschmerzen, Nierenkoliken und Blasensteinen gepeinigt. In seinen Briefen mit Freunden, Kollegen und Gegnern erweist er sich aber auch als ein mitfühlender Zeitgenosse, der die Tugend der misericordia, des Mitleids, als ein wesentliches Attribut des Christseins betrachtete. Aus ihnen erfahren wir auch Näheres über sein (kurzzeitiges) Familienleben. Ein Sohn starb kurz nach der Geburt und auch seiner Frau war kein langes Leben beschieden. Ihr Tod nach neun-jähriger Ehe schmerzte ihn tief.

Vertreibung aus Frankreich

Johannes Calvin wurde 1525 bei der ersten Verfolgungswelle gegen die Luthériens, wie man die Anhänger des evangelischen Glaubens damals nannte, aus Frankreich vertrieben. Ab diesem Jahr führte er ein unstetes Flüchtlingsleben, ehe er 1541 in Genf eine dauerhafte Wirkungsstätte fand. In den nächsten zwei Jahrzehnten wurde die geschichtsträchtige Schweizer Stadt zum Zentrum der Reformation. Die Einwohnerzahl wuchs durch Glaubensflüchtlinge, vor allem aus Frankreich, beinahe um das Doppelte, was zu nicht unerheblichen sozialen und religiösen Konflikten mit der alteingesessenen Bevölkerung führte. Wir würden heute von einer Migrationsproblematik sprechen.

Johannes Calvin schuf in Genf eine straffe Kirchenorganisation, die zum Vorbild für die reformierte Kirche in anderen Ländern wurde. Neben seinem lokalen Wirken hatte er ja auch stets das Wachstum der Reformation in ganz Europa im Blick. In seiner Religionsgemeinde gab es eine klare Aufteilung von Ämtern und Funktionen. Die Pastoren waren für die Seelsorge und die Predigertätigkeit zuständig, die Doktoren für die Ausbildung der Theologen an der von ihm gegründeten Akademie. Die Diakone kümmerten sich um die Armenpflege, den Presbytern oblag die Kirchenzucht, die Calvin für einen zentralen Bestandteil seiner Kirchenordnung hielt. Wirtshausbesuch, Kartenspiel und Tanz waren verboten, Verstöße dagegen streng geahndet. Auf Ehebruch und Unzucht stand die Todesstrafe.

Calvins Stadtreform stieß auf erbitterten Widerstand, den er jedoch mit gnadenloser Härte brach. Andersgläubige wurden gemaßregelt und/oder aus der Stadt vertrieben. Auch seiner theologischen Widersacher entledigte er sich mit schonungsloser Unerbittlichkeit. Der gebildete Humanist Sebastian Castellio musste Genf verlassen, der spanische Arzt und Religionsphilosoph Michael Servet, der die Trinität leugnete, endete auf dem Scheiterhaufen. Stefan Zweig hat in seinem Buch: „Castellio gegen Calvin oder ein Gewissen gegen die Gewalt“ das Genfer theokratische Regime scharf kritisiert und das Calvin-Bild aus einseitiger Sicht verdüstert. Es gab im 16. Jahrhundert ja auch die katholische Inquisition. Johannes Calvin starb am 27. Mai 1564 im Alter von 55 Jahren. Sein Leichnam wurde im Stadtteil Plainpalais auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin ohne Grabstein beigesetzt.

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