Der Türkei den Rücken stärken

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Die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU laufen zäh. Zu groß ist die Furcht, das "Christliche Abendland" sei in Gefahr. Einst die Türken vor Wien, heute der Islamismus, und mit der Türkei klopfe er direkt an unsere Haustüre. Der Traum vom "Christlichen Abendland" war für Juden meist gefährlich. Deshalb lohnt sich ein zweiter Blick aus jüdischer Sicht: Die "Hohe Pforte" gewährte Freiheiten und Rechte. Rabbiner Isaak Zarfati lud 1470 alle deutschsprachigen jüdischen Gemeinden ein, sich im Osmanischen Reich anzusiedeln. 1492 schickte Sultan Bayezid II. sogar Schiffe und nahm viele Juden aus Spanien auf, die vor der Kirche fliehen mussten. Und in jüngerer Zeit? Yad Vashem in Israel ehrte Botschafter Selahattin Ülkümen als "Gerechten unter den Völkern", weil er Juden auf Rhodos unter Lebensgefahr zur Flucht verholfen hatte. Atatürk ermöglichte vielen jüdischen Professoren aus Nazideutschland, in der Türkei weiterzuarbeiten. Mehr als 17 "Raoul Wallenbergs" gab es unter den Diplomaten der Türkei, die in Europas dunkelster Zeit Mut zur Menschlichkeit bewiesen. So den Botschafter in Marseille, Behiç Erkin. Er verlieh 18.000 Juden die türkische Staatsbürgerschaft und rettete sie vor der Vernichtung.

Man kann sagen: In Schlüsselsituationen der europäischen Geschichte wusste die Türkei moralische Werte zu verteidigen, von denen Europa heute träumt. Ein Europa, in dem das Osmanische Reich über Jahrhunderte eine bedeutende Rolle gespielt hat: als Handelspartner, geistiges Zentrum und Großmacht.

Als loyaler Verbündeter von Österreich und Deutschland begann sein Niedergang mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Wären wir nicht gut beraten, der Türkei für die Reformen der kommenden Jahre den Rücken zu stärken, als wertvoller Brücke Europas zur islamischen Welt?

Der Autor ist Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam.

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