Der Verlust an Öffentlichkeit

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Mit Ende der Legislaturperiode könnte die Verstaatlichte Industrie der Geschichte angehören. Der - dem allgemeinen Trend folgende - fortgesetzte Privatisierungskurs der Bundesregierung ist Thema eines großen Streitgesprächs zwischen IV-Generalsekretär Lorenz Fritz und dem Leitenden Sekretär des ÖGB, Richard Leutner (Seite 22/23). Aus der Perspektive der katholischen Soziallehre stellt anschließend der Grazer Sozialethiker Leopold Neuhold Überlegungen zum Verhältnis von Privat und Staat an. Redaktion: Rudolf Mitlöhner

Eine Telefonzelle, mit der Aufschrift "Dieses Telefon kann Leben retten. Zerstört es nicht!", die Scheibe eingeschlagen, der Hörer lose am Kabel baumelnd, die Telefonbücher - so vorhanden - zerfetzt am Boden. Dieses Bild, das jeder kennt, soll hier als Symbol für die nachhaltige Beschädigung des öffentlichen Raumes stehen. Der Devastierung der öffentlichen Einrichtung korrespondiert die Privatisierung der außerhäuslichen Telekommunikation in Form des Handys.

Gewiss, auch das Handy kann Leben retten - zuverlässiger noch als die Telefonzelle, weil gleich zur Hand und nicht erst an der nächsten oder übernächsten Ecke zu suchen, zudem sicher nicht besetzt; und auch abseits der seltenen Notfälle ist es natürlich aus denselben Gründen schlicht praktischer: es gehört ja nur mir. Wer also wollte sich in eine handylose Zeit zurückwünschen?

Entstaatlichung

Und dennoch sollte man die Symbolkraft des Bildes von der kaputten, verwahrlosten Telefonzelle nicht zu gering veranschlagen. Denn darin drückt sich aus, worum es zu allererst geht, wenn wir von "Privatisierung" sprechen: nicht um die Frage, welche Anteile an Staatseigentum um welchen Preis und unter welchen Bedingungen verkauft werden dürfen oder müssen; sondern um den Verlust an Öffentlichkeit.

"Noch ist der Preis, den ich bekommen habe, ein Staatspreis. Er wird weder von einer Ölfirma gestiftet noch von einem Glücksspielkonzern", formulierte Daniela Strigl, seit kurzem Furche-Kolumnistin, im April letzten Jahres in ihrer Dankesrede anlässlich der Entgegennahme des Österreichischen Staatspreises für Literaturkritik. Und sie nützte diese - öffentliche - Veranstaltung zur Kritik an der gegenwärtigen, wie sie sagte, "vom Zeitgeist angewehten Ideologie". Die nämlich sei ihr "zu wenig konservativ".

Am Beispiel der Kultur und Bildung ausgeführt: "Ich kann mich nicht darüber freuen, wenn eine Nation ihre Nationalbibliothek entstaatlicht. Ich kann mich nicht darüber freuen, wenn man der Universität Wien nach 640 Jahren die universitas austreiben will und die Fakultäten mit dem Ruf Rette sich, wer kann!' auseinander stieben. Ich finde Werbung auf der Burgtheaterbühne nicht mutig-innovativ, sondern peinlich. Und ich will nicht, dass die ausgegliederte' Spanische Hofreitschule ... nach 430 Jahren der Klassischen Reitkunst dem Profitzwang unterworfen und zum touristentauglichen Zirkusunternehmen heruntergewirtschaftet wird."

Wer zahlt, schafft an

Auf den Punkt gebracht, heißt dies: Dinge, an denen aus guten Gründen ein öffentliches Interesse besteht, sollen nicht durch Privatisierung der Öffentlichkeit entzogen werden. Was aber wäre schlecht, würde der Staatspreis für Literaturkritik von einer Ölfirma gestiftet werden? Der Staat sparte Geld, die Dotierung des Preises könnte vielleicht sogar noch höher ausfallen. Wohl wahr - und dennoch wäre es etwas anderes, denn: Wer zahlt, schafft an und Was jemanden nichts kostet, ist diesem auch nichts wert. Soll heißen: Sinn machen solche Preise als Auszeichnungen der Öffentlichkeit, repräsentiert durch den Staat, der durch die Bereitstellung des Preisgeldes eben seine Wertschätzung der zu ehrenden Person zum Ausdruck bringt. Analog ließe sich für weite Bereiche des Sozialen (Flüchtlingsbetreuung!) oder auch der Infrastruktur argumentieren: Der Staat selbst sollte hier nicht aus der Verantwortung entlassen werden; andernfalls verkommt er zur Holding, phonetisch sehr nahe an Hohl-Ding.

Nun hat es freilich seine Gründe, dass das Öffentliche heute keinen guten Klang hat bzw. man es in privaten Händen besser aufgehoben glaubt. Vordergründig hat sich der Staat einfach als schlechter Unternehmer erwiesen, daran ist nicht zu rütteln. Man kann in Österreich etwa keine Diskussion zum Thema führen, ohne auf das Verstaatlichten-Debakel zu sprechen zu kommen. Bruno Kreiskys paternalistisch verordnete Doktrin, wonach uns allen ein paar Milliarden Schulden lieber zu sein hätten als ein paar Hunderttausend Arbeitslose - mit dem bekannten Ergebnis Schulden plus Arbeitslose -, hat sich eingeprägt. In Reaktion darauf entstand die Neigung, das Kind mit dem Bade auszuschütten - manifest im undifferenzierten Ruf nach dem "schlanken Staat", während die Rolle des Staates in jedem Einzelfall der genauen Prüfung bedürfte.

Darüber hinaus aber wurde der öffentliche Raum über die Jahre von den herrschenden Eliten in Politik und Medien beschädigt - durch nachlässigen, schlampigen, verhabernden Umgang mit den Institutionen der Republik (ORF, Justiz, Sozialpartnerschaft). Erst eine dermaßen zugerichtete Öffentlichkeit wurde für die obszöne Symbiose aus Rechtspopulismus und Zeitgeistboulevard zum idealen Biotop. Eine Symbiose übrigens, auf die die "alten" Eliten mit einer Mischung aus Anbiederung und moralischer Entrüstung reagierten, die alles nur noch schlimmer machte.

Zuletzt ist hier ganz generell ein Phänomen der Massenmediengesellschaft mit ihrer Verflechtung von Politik und Medien zu nennen: der Verlust der Distanz, das Verschwimmen der Grenze zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, wie es sich - vielfach unter dem Deckmantel von Transparenz und Demokratisierung - vollzieht. Dort aber, wo das Private öffentlich wird, drohen auch die res publicae, also die öffentlichen Angelegenheiten, beliebig zu werden.

Mittelbarkeit & Distanz

Die auf der Freiheit des Individuums basierende Demokratie versteht sich nicht von selbst, ist vielmehr stets gefährdet. Sie kann "kippen", wenn es bei aller Freiheit nicht auch ein Mindestmaß an Sicherheit für den Einzelnen gibt. Sie lebt - entgegen falsch verstandener "Bürgernähe" - von Mittelbarkeit und Distanz, also vom öffentlichen Raum als Medium zwischen Politik und Bürgern. Oder, zugespitzt formuliert: Demokratie braucht funktionierende Telefonzellen.

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