Der Vermesser der Unterwelt

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Norbert Zimmermann blickt mit seinem Laser-Scan in die dunkelsten Winkel der römischen Domitilla-Katakombe - und verewigt sie digital.

In der ewigen Stadt ist die Hölle los - erst Recht am Samstag vor Pfingsten: Touristen-Ströme ergießen sich über den Petersplatz und formieren sich zur Endlos-Schlange vor dem Grab Karol Wojtylas; Menschen-Massen proben beim Trevi-Brunnen die babylonische Sprachverwirrung; Vespa-Horden flitzen über die überfüllte Piazza Venezia; und die Autokolonnen, die sich von der Ringautobahn über die Via Cristoforo Colombo ins Zentrum Roms vorkämpfen, sorgen für pfingstlichen Nachschub.

Doch hier unten ist es ruhig. Nur das Fauchen der Gaslampe und das Knirschen der Schritte auf dem sandigen Tuff-Boden stört die Grabesruhe. Von den Pfadfinder-und Seniorengruppen, die ein paar Gänge weiter durch den öffentlich zugänglichen Teil des Untergrundes wandern, hört man hier keinen Laut. Norbert Zimmermann hat jene Ruhe, die er für seine Aufgabe brauchen: die exakte Vermessung der Domitilla-Katakombe mittels Laser-Scan - und die dreidimensionale Darstellung des 15 Kilometer langen und bis zu vier Stockwerke tiefen Gewirrs aus Gängen und Grabkammern am Computer.

Gescannte Gräber

"Das ist wie ein Schweizerkäse", meint der 38-jährige Archäologe, während er im Schein der Gaslampe durch das Innere seines Forschungsgegenstandes führt. 70 solcher frühchristlichen, unterirdischen Grabanlagen gibt es allein in Rom. Die Domitilla-Katakombe nahe der Via Appia Antica ist die weitläufigste von allen.

Und in ihrer Komplexität noch lange nicht durchschaut: Weder die genaue Anordnung des Gangsystems noch die Anzahl der Gräber, geschweige denn die vielen Wandmalereien und Inschriften seien laut Zimmermann auch nur annähernd erforscht. "Wir haben aber jetzt völlig neue Möglichkeiten", freut sich der Forscher - und erklärt in einer Kammer, in der vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines START-Teams reflektierende Scheibchen an der Wand befestigt haben, das Prozedere: "Ausgehend von fixierten Bodenpunkten vermisst unser Laser diese Reflektoren an den Wänden. Dann tasten wir mit dem Laserscanner den Raum dreidimensional ab und ,hängen' diese so genannte ,Punktewolke' auf den Reflektoren-Punkten auf." Am Ende entsteht ein dreidimensionales, digitales Raummodell, das später am Computer bequem analysiert, gedreht, durchschnitten, mit realen Fotodaten bespielt oder auch virtuell begangen werden kann. "Damit können wir erstmals die Domitilla-Katakombe exakt dokumentieren", freut sich der Archäologe, der für sein Projekt, das am Wiener Institut für Kulturgeschichte der Antike der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt ist und in Kooperation mit dem Fachgebiet Architekturgeschichte und Bauforschung der TU Wien durchgeführt wird, 2005 einen START-Preis erhalten hat. Dotation: 1,2 Millionen Euro. "Das war ein Glücksfall, weil man damit seine Forscherträume erfüllen kann", erinnert sich Zimmermann.

Heimatliches Rom

Das Interesse an alten Mauern wurde schon in seiner Kindheit geweckt. Regelmäßig reiste der gebürtige Bonner mit seinen Eltern - einem Altphilologen und einer Theologin, die bei Joseph Ratzinger studiert hatte - zum Bildungsurlaub nach Rom. Später, während des Studiums der Christlichen Archäologie, Kunstgeschichte und italienischen Philologie an der Universität Bonn, kam er als Gasthörer des Päpstlichen Instituts für Christliche Archäologie (das heute neben dem Österreichischen Historischen Institut Rom und dem Deutschen Archäologischen Institut Rom auch beim START-Projekt mitarbeitet) wieder in die ewige Stadt. Ebenso wie für seine Dissertation über römische Katakombenmalerei an der Uni München - bevor er ab 1999 als Mitarbeiter des Instituts für Kulturgeschichte der Antike nach Ephesos entschwand.

Ein Forscherleben, von dem Antonio Bosio wohl träumen konnte: Anno 1593 entdeckte der aufklärerisch gesinnte Forscher die Domitilla-Katakombe - und begann, das Labyrinth mit einer Fackel in der Hand zu durchstreifen. "Wo er als Erster hingekommen ist, hat er seine Inschrift und das Datum hinterlassen", erzählt Zimmermann über den "Christoph Columbus der Katakomben", dessen Lebensziel es war, Licht ins Dunkel von Domitilla zu bringen.

Umkämpfte Bilder

Die Päpste der Gegenreformation hatten indes andere Pläne: Für sie waren Bosios frühchristliche Malerei-Funde - mitten im Bilderstreit mit Luther - "ein gefundenes Fressen", weiß Zimmermann. Tatsächlich finden sich in den 77 ausgemalten Grabräumen zahlreiche Darstellungen: Szenen von friedlichem Landleben in den heidnischen Kammern, alt-und neutestamentliche Szenen in den späteren, christlichen. "Das anfangs heidnische Motiv des Schafträgers wurde oft einfach christlich als der Gute Hirte des biblischen Gleichnisses interpretiert", erklärt Zimmermann während des Ganges durch die Kammern.

Dass dieses unterirdische Labyrinth überhaupt angelegt werden konnte, ist der fünf bis zwölf Meter dicken Vulkantuff-Gesteinsschicht zu verdanken, auf der das gesamte römische Umfeld liegt. "Dieses Material ist extrem leicht auszuhöhlen", erzählt Zimmermann, während er mit dem Fingernagel etwas Tuff von der Wand eines Grabganges kratzt. "Gleichzeitig härtet die Tuff-Erde sofort aus, sobald sie Luftkontakt hat. Man konnte also leicht Hohlräume schaffen."

Eine praktische Lösung - zumal Ende des dritten Jahrhunderts nach Christus der oberirdische Platz für Gräber außerhalb der Stadtmauern langsam knapp wurde. Vor allem bei den Christen wurde diese kostensparende Katakomben-Bestattung üblich. Wohlhabendere ließen sich für ihre Familie eine Grabkammer (cubiculum) reservieren und sich selbst in einen Sarkophag bestatten, Arme endeten - in Leinen gewickelt - in einem Nischengrab (loculus). Als Zufluchtsstätte für verfolgte Christinnen und Christen diente die Katakombe entgegen anders lautenden Meinungen freilich nie. Nicht zuletzt war sie als offizieller Friedhof den staatlichen Behörden auch bekannt.

Himmlischer Sog

"Unter Kaiser Konstantin ist die Zahl und Größe der Katakomben dann regelrecht explodiert", weiß der Archäologe. "Viele Gläubige haben auch gehofft, in dem ,Sog Richtung Himmel' mitgerissen zu werden, wenn sie etwa ein Grab in der Nähe der beiden Märtyrer Nereus und Achilleus haben, die hier begraben liegen." Die Basilika, die Ende des vierten Jahrhunderts über den Gräbern der beiden Märtyrer erbaut wurde, machte die Grabanlage zu einem regelrechten Wallfahrtsort - bis sie Mitte des neunten Jahrhunderts in Vergessenheit geriet.

Anno Domini 2006 eine unvorstellbare Situation: Bis zu 100 Touristenbusse werden zu Spitzenzeiten wie Pfingsten täglich durch die Katakombe geschleust. Manche kommen auch als Pilger - wie jene Reisegruppe, die in der Basilika gerade ihr "Taizé-Halleluja" Richtung Himmel schickt. Ein wenig Andacht kann nicht schaden: Die Verkehrs-Hölle der ewigen Stadt droht ihnen früh genug.

Nächste Woche war das Porträt eines/einer jener Forschenden geplant, die dieses Jahr einen START-Preis erhalten. Aus organisatorischen Gründen musste das Wissenschaftsministerium aber die Pressekonferenz vom 12. Juni, bei der die aktuellen PreisträgerInnen verkündet werden sollten, auf 19. Juni verschieben - weshalb die letzte Folge der FURCHE-Serie erst in der Ausgabe 25 vom 22. Juni erscheinen wird.

Geld für Rom?

Ein Deutscher, der mit österreichischen Geldern in Italien forscht? "Bei der Forschungsförderung herrscht eben das Territorialitätsprinzip", erklärt Mario Mandl, der im Wissenschaftsfonds FWF für das START-Programm zuständig ist. Knapp ein Fünftel der 49 Preisträger habe keine österreichische Staatsbürgerschaft. "Wichtig ist nur, dass der Großteil der Forschung hier geschieht." Wie bei Norbert Zimmermann, der seine Daten am ÖAW-Institut für Kulturgeschichte der Antike in Wien analysiert. Gewinnen muss er sie aber in Rom, stellt er klar: "Für die Römer ist das eben ein Geschenk."

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