Der Volksschullehrer aus Gablitz als Philosoph

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Der 17. Oktober 2001 war der 70. Todestag, am 31. Jänner jährt sich Ferdinand Ebners Geburtstag zum 120. Mal. Der Niederösterreicher ist einer der bedeutendsten Sprachphilosophen - und ein bis heute wenig beachteter christlicher Denker.

I n Österreich ist die Sprachphilosophie im 20. Jahrhundert zu einem beträchtlichen Teil Angelegenheit von Lehrern. Ein in Wiener Neustadt geborener Volksschullehrer in Gablitz bei Wien, der sich autodidaktisch als Philosoph versucht, das ist dennoch etwas anderes als ein weltbekannter Philosoph, der sich auch einmal als Volksschullehrer im südlichen Niederösterreich versucht hat. Es wird nicht einfach sein, zu entscheiden, in Hinsicht auf welchen der beiden "existenziell" das bessere Adjektiv für welche der beiden Berufungen ist.

Jedenfalls hat der eine, Ferdinand Ebner, die wahrscheinlich erste "existenzialistische" Philosophie vorgelegt, doch bis heute ist dieses Frühwerk ungedruckt, die "Metaphysik der individuellen Existenz" (um 1914), Druckfahnen einer abgebrochenen Ausgabe liegen vor. Gedruckt ist ein anderes seiner Werke worden, "Das Wort und die geistigen Realitäten", obwohl die Drucklegung beinahe am Gutachten von Alfred Stöhr, eines Wiener Universitätsprofessors, gescheitert ist.

Im Innsbrucker Brenner-Verlag, wo des anderen Philosophen, des später ungleich bekannteren Ludwig Wittgensteins "Tractatus" nicht in Druck gegangen ist, da ist Ebners so viel weniger berühmtes Werk dann doch erschienen. Das war 1921, als in Ludwig von Fickers Zeitschrift Der Brenner, von Karl Kraus einmal als die "einzige ehrliche Revue Österreichs" bezeichnet, unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges eine Rückbesinnung auf das Christliche stattgefunden hat - dort, wo seit 1914 durch Theodor Haecker die erste Rezeption Sören Kierkegaards im deutschen Sprachraum vermittelt worden war.

Martin Bubers Vorläufer

Auch Ebner, Haecker geistig verpflichtet, war durch den dänischen Ahnvater des Existenzialismus tief beeinflusst; er hat einmal beiläufig den Verdacht geäußert, dass Kierkegaards Christentum auch an der Klippe der Menschenverachtung gescheitert sein könnte. Darin zeigt sich sein scharfer analytischer Blick, der die Destruktivität des Ideals durchschaut hat und, wie ein spätantiker Philosoph, das existenzielle Angebot des Christentums als Befreiung von der Last des Idealismus annimmt. Dies gelingt ihm durch eine Rückbesinnung auf die konkrete existenzielle Situation des zuerst angesprochenen und dann erst sprechenden Wesens Mensch.

Hier wird die "erste Philosophie" neu interpretiert, noch bevor der jüdische Denker Emmanuel Levinas (1906 -95) dies gefordert hat. Ebner erkennt nicht nur, dass "Sein" verschieden ausgesagt werden kann, sondern insistiert über die bloße Opposition gegen einen eindeutigen Seinsbegriff, bevor dies Martin Buber getan hat (der für diese Unterscheidung berühmt geworden ist), auf die Differenz zwischen sachlicher und personaler Seinsaussage.

Letztere ist auch gar nicht mehr im Medium des Begriffes darstellbar, wie Ebner versichert: Mein eigenes Sein kann ich nicht feststellen - und vor allem nicht negieren -, wie das einer gegebenen Sache, und ich komme vor allem zu dieser Seinsfeststellung nur über die Vermittlung durch andere, im lebendigen Sprachvollzug.

Religionsphilosophisch betrachtet führt dies zurück in die dem Christentum zugrundeliegende religiöse Erfahrung: "Du bist und durch Dich bin ich". Ebner, der neben Buber und Franz Rosenzweig als zeitgleicher Begründer des personal-dialogischen Denkens gilt, hat in seinem Hauptwerk einen direkten Weg von der Begegnung des menschlichen Du zu dieser religiösen Dimension eingeschlagen. Von daher ist ihm verschiedentlich Kritik zugewachsen, die sich an einer angeblichen Welt-, ja Menschenfeindlichkeit seines Denkens stößt.

Man muss aber feststellen, dass das Haupthindernis einer adäquaten Auslegung von Ebners Werk die fehlende textliche Grundlage einer solchen darstellt. Denn Ebners Schriften sind, mit großem persönlichen Einsatz unternommener Anstrengungen zum Trotz, wie sie etwa die dreibändige Werkausgabe durch Franz Seyr in den sechzigerJahren darstellt, bis heute in keiner wissenschaftlichen Standards genügenden Ausgabe zugänglich. Wer an den Quellen arbeiten wollte, war auf Archivstudien angewiesen, und dem heutigen Leser wurde die vielleicht noch mögliche Einordnung in den Diskurs seiner Zeit und die damit mögliche Relativierung mancher überspitzt anmutender Formulierungen in Ebners Schriften erschwert, weil diese nur unvollständig und ohne ausreichende Kommentierung ediert worden sind.

Dadurch wird wohl auch die Rigidität des eben erst heidnischem Denken entronnenen Philosophen noch zusätzlich strapaziert. Der Versuch, dem entgegenzuwirken, dürfte bei der eben in Innsbruck begonnenen Neuedition von Ebners Werk Pate gestanden haben. Die neuerdings wieder erkennbare Aufmerksamkeit für Ebners Denken findet gebündelten Ausdruck in einem vom Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck, dem kulturwissenschaftlichen Institut der Universität Trient und der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg gemeinsam getragenen Forschungsprojekt, das sich die vollständige Transkription und elektronische Erfassung von Ebners Schriften, Aufzeichnungen und Briefen zum Ziel gesetzt hat.

Als erster Band der im Druck erscheinenden Auswahl liegt Ebners "Mühlauer Tagebuch" vor, während eines Besuches bei Ludwig von Ficker in Innsbruck im Sommer 1920 niedergeschrieben. Die Aufzeichnungen enthalten in sich das Korrektiv zu vielen einseitigen Stellungnahmen Ebners, des christlich inspirierten Kulturkritikers, der nicht nur die Politik des katholischen Klerus und die prunkvolle Repräsentationstätigkeit der Amtskirche abgelehnt, sondern auch die von ihm sonst hoch geschätzten und eifrig rezipierten künstlerischen Ausdrucksformen als Gestalten eines fehlgeleiteten "Traums vom Geist" kritisiert hat.

Das Tagebuch zeigt Ebner in Auseinandersetzung mit den Künstlerkreisen im Innsbruck der zwanziger Jahre, seine Offenheit für sinnliche Eindrücke, sowohl das Naturschöne, die Schönheit der menschlichen Gestalt, als auch für die künstlerische Produktion. Die Herausgabe der im Werkzusammenhang zunächst eher marginal erscheinenden Aufzeichnungen erhält somit den Charakter eines vorweggenommenen Kommentars zu dem, was noch kommt, rückt ein in der Forschung verbreitetes Bild zurecht, das auf dem antiästhetischen Rigorismus, den man in Ebners Hauptwerk finden kann, beruht.

Der zwar orthographisch, aber nicht durch Auswahl geglättete Text, der uns Ebners Lektürenotizen und Exzerpte vor Augen führt, zeigt uns Ebner im Kontext seiner Zeit. Das gleiche Ziel verfolgt die Kommentierung, dem Leser die Zielrichtung mancher Formulierungen Ebners durch Einordnung in die Atmosphäre des Fin de Siècle deutlich zu machen.

Noch immer unbekannt

Der Edition kommt das Verdienst zu, den im akademischen und publizistischen Bereich in seiner Heimat vernachlässigten Sprachdenker und Kulturkritiker wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Bezeichnenderweise hatte die Ausgabe mit Finanzierungsproblemen zu kämpfen, scheint es hierzulande schwer, Unterstützung für die Edition von Ebners Werk zu erlangen, während im benachbarten Italien schon längst eine neue Rezeption desselben im Gang. An der Università degli Studi in Trient hat 1998 ein internationales Symposion zu Ebners Denken stattgefunden, das auch durch einen Tagungsband dokumentiert worden ist. Silvano Zucal hat nicht nur eine italienische Übersetzung von Ebners "Pneumatologischen Fragmenten" herausgegeben, sondern auch ein umfangreiches Werk zur Einführung in Ebners Denken verfasst.

Es wäre mehr als wünschenswert, dass dem einsamen Denker aus Niederösterreich, der die Bedeutung des Du gegen die Subjektivitätstheorien des deutschen Idealismus entdecken durfte, solche Aufmerksamkeit auch in seiner Heimat zuteil wird.

Der Autor ist Assistent am Institut für Religionswissenschaften der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

FERDINAND EBNER - Mühlauer Tagebuch 23.7.-27.8.1920. Hg. von Richard Hörmann und Monika Seekircher. Böhlau Verlag, Wien 2001. 204 Seiten, broschiert, e 35,-/öS 482,-

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