Der weibliche Körper als Abweichung

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Hinter den aktuellen Kontroversen in der Medizin stehen - oft unausgesprochen - verschiedene Menschenbilder. Darum ging es beim diesjährigen Salzburger Humanismusgespräch. Die Apparate-Medizin wurde nicht verteufelt, aber aus verschiedenen Perspektiven hinterfragt.

Der Ethno-Mediziner und Verhaltensforscher Wulf Schiefenhövel tritt mit seinem Konzept einer evolutionären Medizin für eine neue Sicht des Zusammenhanges von Umwelt, Körper und Psyche ein. In der vehementen Ablehnung und Ausgrenzung der Behandlungsmethoden für Frühgeburten, die Marina Markovic in Wien entwickelt hat, sieht er ein Paradebeispiel für die Starrheit traditioneller europäischer Schulmedizin.

Die beiden wesentlichen Voraussetzungen für das europäische Menschenbild, die Antike und die jüdisch-christliche Tradition, haben Frauen negativ bestimmt. Die Psychologin Beate Wimmer-Puchinger verfolgt die Auswirkungen bis hinein in die moderne Medizin: Auch in aktuellen Lehrbüchern ist der Männerkörper das Modell, der Frauenkörper wird als Abweichung beschrieben. Organe werden isoliert und ohne Zusammenhang mit dem Körper und seiner geschlechtlichen Spezifizierung gesehen. Und selbstverständlich werden auch Medikamente am Männerkörper getestet, obwohl Frauen die besten Kunden der Pharmaindustrie sind - sie nehmen drei Mal mehr Medikamente als Männer.

Pflichten der Ärzte - Rechte der Patienten: in diesem Zusammenhang bewegt sich die Diskussion um medizinische Fragen sehr oft. Gibt es aber auch Pflichten des Patienten? Der Lübecker Medizinhistoriker Dietrich von Engelhardt, der auch Patientenseminare abhält, vergleicht die Selbstverständlichkeit, mit der Spender-Organe erwartet werden, mit der mangelnden Bereitschaft (oft desselben Menschen!), selbst Organe zu spenden. Auf die Verpflichtung des einzelnen, seine Gesundheit nicht zu zerstören, kann man sich schnell einigen, aber sie ist nicht einklagbar; Nikotin und Alkohol kann man besteuern, aber gegen übermäßiges Essen und ungesunde Lebensweise gibt es keine Sanktionen. Außerdem kommt man hier in Bereiche, wo die Frage nach Schuld und Verantwortung angesichts psychischer und sozialer Voraussetzungen sehr schwierig wird.

Das Salzburger Humanismusgespräch hat viele aktuelle Fragen klar benannt und die praktische Relevanz der verschiedenen Menschenbilder in der Medizin deutlich gezeigt. Kulturvergleich und frauenspezifische Forschung müssen in die aktuellen Debatten ebenso eingebracht werden wie das Ethos des Arztes und des Patienten; beide stehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind in einer Gesellschaft verankert, die in Bewegung ist; das hat in Salzburg vor allem der aus Österreich stammende Medizinethiker Erich H. Loewy vertreten.

Darum werden auch Fragen wie Euthanasie oder In-vitro-Fertilisation nie endgültig gelöst sein. Die moderne Medizin verfügt, ob sie will oder nicht, über Leben. Deshalb muß sie ihr Menschenbild reflektieren und braucht die gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Der Autor hat zu diesem Thema am 6. Mai 1998 ein "Salzburger Nachtstudio" gestaltet. Eine Kassette dieser Sendung kann beim ORF-Hörerservice, 1040 Wien, Argentinierstaße 30a bestellt werden.

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