"Der Westen überschätzt die Muslimbrüder“

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Felix Eikenberg, Bürochef der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kairo über die Revolutionsbewegung in den arabischen Ländern, die islamistische Gefahr und die Chance auf Frieden im Nahen Osten.

Felix Eikenberg ist seit 2003 für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Ägypten, im Jemen und in den Palästinenserterritorien tätig. Seit 2010 ist er Büroleiter der Organisation in Kairo und war Zeuge der Revolutionsbewegung der vergangenen Tage.

Die Furche: Die Politiker in Europa und den USA waren von den Volkserhebungen in Tunesien und Ägypten einigermaßen überrumpelt. Sie selbst leben und arbeiten seit Jahren in der Region. Waren Sie überrascht?

Felix Eikenberg: Überrascht war ich weniger von dem Unmut, den es in der Bevölkerung gab, als viel mehr von der Schnelligkeit, mit dem die Bewegung sich nach Tunesien in andere Länder fortpflanzte.

Die Furche: Haben die steigenden Lebensmittelpreise dabei beschleunigend gewirkt?

Eikenberg: Ja, aber mit Einschränkungen. Denn weder in Ägypten noch in Tunesien waren es die allerärmsten Bevölkerungsschichten, die zuerst auf die Straße gingen. Also gerade jene nicht, die eigentlich am stärksten von den Preisschwankungen betroffen sind. Es waren vor allem die jungen, gut ausgebildeten Angehörigen der Mittelschicht, die sich da organisierten. Das hat also mit einem Hungeraufstand, wie wir das zum Teil im Jahr 2008 erlebt haben, nicht ursächlich zu tun. Wir haben es mit einer Generation zu tun, die sich um ihre Chance betrogen fühlt und den politischen Stillstand beenden will.

Die Furche: Immer wieder wird nun die islamistische Gefahr beschworen, die beispielsweise von den ägyptischen Muslimbrüdern ausgehe. Ist die Gefahr tatsächlich so hoch?

Eikenberg: Der Westen neigt bei diesem Thema zur Überschätzung. Das hat auch damit zu tun, dass die Regime dieses Argument auch forciert haben, zu ihrem eigenen Vorteil. In Wirklichkeit ist der Einfluss der Muslimbrüder nicht so groß. Sie waren ja auch selbst überrascht von der Macht der Protestwelle. Anfangs standen sie eher beiseite und man erkennt auch ganz deutlich, wie sich die Protestbewegung bewusst gegen mögliche Vereinnahmungen wehrt.

Die Furche: Wie kann man die Muslimbrüder politisch einordnen? Ihr Führer Mohammed Badie passt jedenfalls nicht in das Bild eines potenziellen Terroristen, als das ihn das Regime darzustellen versucht.

Eikenberg: Die Muslimbrüder haben nichts mit der Al Kaida zu tun. Badie ist Arzt und wie viele der Muslimbrüder Angehöriger der gebildeten Mittelschicht. Er tritt kaum in der Öffentlichkeit auf und überlässt das anderen Gefolgsleuten. Natürlich vertreten die Muslimbrüder auch politisch-moralische Vorstellungen, die sich von westlichen Vorstellungen unterscheiden. Aber bisher haben sie sich dem demokratischen Prozess unterworfen.

Die Furche: Würden sie das aber auch noch tun, wenn sie aus demokratischen Wahlen als Sieger hervorgehen würden?

Eikenberg: Ich hoffe, dass sich zwischen den Parteien in den kommenden Monaten ein Gleichgewicht von Checks and Balances ergibt, eine gegenseitige Kontrolle. Das ist die Grundvoraussetzung für eine demokratische Entwicklung.

Die Furche: Welche Rolle müsste dabei die Armee einnehmen? Wäre sie als Hüter der Entwicklung denkbar?

Eikenberg: Nicht auf Dauer. Natürlich hat sie im Moment eine stabilisierende Wirkung. Aber eine Kontrolle demokratischer Institutionen durch die Armee ist nicht denkbar.

Die Furche: Warum tun sich die Politiker in Europa und den Vereinigten Staaten so schwer mit den Revolutionen in Arabien?

Eikenberg: Sie haben mit diesen Regimen lange zusammengearbeitet. Mit Mubarak bestand die Kooperation seit 30 Jahren. Es wäre unglaubwürdig, würde man ihn nun von einem Tag auf den anderen fallen lassen. Auf der anderen Seite besteht gerade wegen dieser Kooperation ein jahrelanges Misstrauen und eine große Enttäuschung der arabischen Völker. Die Politik muss sich also die grundlegende Frage stellen, wie sie mit den demokratischen Bewegungen in Zukunft umgeht.

Die Furche: Wie realistisch ist es, dass es in Ägypten nach demokratischen Wahlen zu einer Kehrtwendung in den Beziehungen zu Israel kommt?

Eikenberg: Mubarak ist 82 Jahre alt. Die Frage eines Führungswechsels hätte sich also ohnehin gestellt. Generell stehen die ägyptischen Staatseliten fest hinter dem Abkommen von Camp David. Wie sehr das die einzelnen demokratischen Gruppen tun, ist nicht abschätzbar. Aber immerhin wäre auch eine offene Diskussion über das Verhältnis Ägyptens zu Israel möglich. Der Glaube, dass das Regime allein die Stabilität sichern kann, ist ja, wie man sieht, nicht zu halten. Ich bin überzeugt, dass nur mit einer stabilen Demokratie in Ägypten langfristig der Frieden in der Region möglich sein wird.

Die Furche: Sie waren Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung im Jemen. Dort ist die Situation ganz anders als in Ägypten, weil auch die Al Kaida eine größere Rolle spielt.

Eikenberg: Die beiden Länder sind tatsächlich nicht vergleichbar. Der Jemen ist in Teilen noch von einer Stammesgesellschaft geprägt. Der Staat hat extreme soziale und wirtschaftliche Probleme im Süden, dazu noch eine Rebellion im Norden des Landes. Das sind auch mit die Gründe, warum sich die Al Kaida in einzelnen Regionen festsetzen konnte, weil die Grundlagen für eine friedliche Entwicklung nicht gegeben sind.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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