Des Christentums Kraft

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Ratzinger und die "Dynamik des Gewissens". Zum jüngsten Buch des Kardinaldekans.

Er gilt als der personifizierte Anspruch der römisch-katholischen Kirche, den einzig wahren Glauben zu verkünden: Joseph Kardinal Ratzinger, der aus Bayern stammende Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, der Nachfahrin der Inquisition beziehungsweise des Heiligen Offiziums. Dass dem Mensch von heute ein solcher Wahrheitsanspruch Probleme bereitet, weiß Ratzinger genau, doch für ihn bedeutet der Kern des christlichen Glaubens "das Sich-Zeigen der Wahrheit selbst und darum Erlösung", wie er auf Seite 55 seines neues Buch "Glaube Wahrheit Toleranz" schreibt: "Denn das Wahrheitsdunkel ist die eigentliche Not des Menschen."

Weiter Bogen

Das Buch des mächtigen Dekans des Kardinalskollegiums ist neu, doch die Rechtschreibung ist noch alt, und auch die Inhalte wurden bis auf ein Kapitel als Einzeltexte schon früher veröffentlicht. Sie kreisen immer wieder um die gleichen Fragen: Was ist Wahrheit? Was ist Freiheit? In welcher Beziehung zueinander stehen christlicher Glaube, Kultur und Vernunft? Der im Titel genannte Begriff Toleranz kommt zwar auch vor, aber deutlich zu kurz, er fehlt auch im Register der Schlagwörter.

Ratzinger spannt einen weiten Bogen durch die Religionsgeschichte und sieht die persönlichen Wege zum Heil keineswegs exklusiv auf das Christentum beschränkt. Entschieden tritt er allerdings allen relativistischen und pluralistischen Positionen entgegen, für die alle Glaubensbekenntnisse ähnlichen Wert besitzen, und beklagt die heutige Orientierungslosigkeit. Kernaussage: "Die Gemeinsamkeiten des Christentums mit den alten Kulturen der Menschheit sind größer als die Gemeinsamkeiten mit der relativistischen-rationalistischen Welt, die sich aus den tragenden Grunderkenntnissen der Menschheit gelöst hat und so den Menschen in ein Sinnvakuum verweist, das tödlich zu werden droht, wenn ihm nicht rechtzeitig Antwort wird. Denn quer durch die Kulturen geht das Wissen um die Verwiesenheit des Menschen auf Gott und auf das Ewige; das Wissen um Sünde, Buße und Vergebung; das Wissen um Gottesgemeinschaft und ewiges Leben und schließlich das Wissen um die sittlichen Grundordnungen, wie sie im Dekalog Gestalt gefunden haben."

Wenn sich Ratzinger nicht gerade "aus dem Bereich des Grundsätzlichen in den der Tatsachen" vorwagt (zu konkreten Fragen nimmt er stets den konservativen Standpunkt ein ), kann er recht fortschrittlich wirken: "Die Dynamik des Gewissens und seiner stillen Anwesenheit Gottes darin ist es, die die Religionen aufeinander zuführt und die Menschen auf den Weg zu Gott bringt, nicht die Kanonisierung des jeweils Bestehenden, die den Menschen der tieferen Suche enthebt."

Diese Passage geht freilich auf den ältesten Text des Buches zurück, einen Festbeitrag zum 60. Geburtstag Karl Rahners aus dem Jahr 1964.

Die drei Fragen

"Die drei Fragen nach der Wahrheit, nach dem Guten, nach Gott sind nur eine einzige Frage", hält Ratzinger fest und erinnert daran, "daß die Kraft des Christentums, die es zur Weltreligion werden ließ, in seiner Synthese von Vernunft, Glaube und Leben bestand". Aber kann es in der modernen Welt noch zu einer ähnlichen Synthese kommen?

Ratzinger widmet sich eingehend dem Begriff Freiheit und betont, dass dazu Verantwortung und Orientierung an der Wahrheit ("Nur die Wahrheit macht frei") gehört. Er mahnt eine Kurskorrektur ein und gibt sich am Ende des Buches überzeugt: "Die menschliche Vernunft braucht den Anhalt an den großen religiösen Traditionen der Menschheit."

GLAUBE WAHRHEIT TOLERANZ Das Christentum und die Weltreligionen Von Joseph Kardinal Ratzinger. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2003, 224 Seiten, geb., e 17,40

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