Dialog heißt: Schwäche zeigen

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Ein Essay zur gegenwärtigen Islam-Debatte. Von Said. die furche 31. 3. 2005

Irgendwann um das Jahr 1960, Teheran. Ein alter Mann, ein Verwandter. Er kam uns besuchen, einmal im Monat, zu Fuß. Sein Weg war sehr lang. Dann setzte er sich auf die Terrasse hin, holte aus seiner Tasche einen Aschenbecher und zündete sich eine Zigarette an.

"Mein Junge, diese Zigarette schmeckt; ich bin ja mehr als eine Stunde unterwegs und habe nicht geraucht." Ich war etwa 14 Jahre alt und fragte, warum er unterwegs nicht geraucht hatte. "Dies ist ein armes Volk. Wenn ein Bauarbeiter mich rauchen sieht, sich eine Zigarette wünscht und sich nicht traut, darum zu bitten; wie antworte ich dann Gott im Jenseits?"

Teheran, Anfang der 80er Jahre, nach dem Sieg der islamischen Revolution; der Terror hatte bereits begonnen. Ayatollah Chalchali, der Scharfrichter der Revolution, wurde berühmt durch den Spruch: "ich unterschreibe täglich mehrere Todesurteile, im Namen Gottes. Mein Gewissen ist rein. Wenn der Gefangene gegen den Gottesstaat gesündigt hat, so hat er seine gerechte Strafe verdient. Ist er aber unschuldig, kommt er ins Paradies."

Ich persönlich habe diese Religion nie praktiziert; kann von ihr nicht einmal enttäuscht sein. Aber jener alte Mann und seinesgleichen, die an ihrer Religion festgehalten haben - müssen sie nicht verbittert sein? Sie verstecken sich heute vor den Hütern ihrer Religion und ziehen sich zurück, in ihre Seele - ein letztes Refugium.

Ich bin in einer liberalen Familie aufgewachsen. Dadurch hatte ich eine ungezwungene Haltung gegenüber Religionen. Dennoch, soziologisch bin ich Muslim. Denn es ist nicht entscheidend, was der Erwachsene später räsoniert, sondern was das Kind gesehen, gerochen und gehört hat. Das Huhn wurde lebendig gekauft und zu Hause geschächtet. Enthaupten ist im Islam verboten. Übrigens auch für Menschen - wenn da die Regierungen nicht wären. Das geschächtete Huhn gackert, zappelt und springt herum. Das Blut fließt und das Kind schaut zu. Das Kind sieht auch die Flagellanten, die sich Verletzungen zuführen. Das Blut fließt, das Kind schaut zu. Bekommt dieses Kind nicht ein anderes Verhältnis zum Blut? Zur Gewalt?

Das Kind betrat schon immer gerne die Moscheen; sie rochen - damals - nach Brüderlichkeit und Rosenwasser. Bis die Mullas an die Macht kamen und auch meine Freunde massakriert haben. Seither riechen Moscheen nach Blut, Schweiß und Folter.

Die Diktatur des Schahs ist gestürzt, die Diktatur von Chomeini ist gekommen - letztere legitimiert sich mit göttlichen Versprechungen. Damit ist die Geburt eines neuen Islam besiegelt. Ein Islam, der keine Religion mehr, aber eine Befreiungsbewegung sein will.

Aber gibt es denn überhaupt einen, einzigen Islam?

Der Islam ist nicht als Kirche organisiert, er kennt kein Lehramt in Angelegenheiten der Dogmatik wie des Rechts. Und der Islam hat keine Zentrale. Weder Ayatollah Chomeini, noch Herr Bin Laden dürfen im Namen des Islam sprechen.

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