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Dialog statt Mission?

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Christlicher Glaube und seine Bezeugung stehen nicht in Gegensatz zum interreligiösen Dialog. Christliche Mission ist heute keineswegs obsolet.

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Christlicher Glaube und seine Bezeugung stehen nicht in Gegensatz zum interreligiösen Dialog. Christliche Mission ist heute keineswegs obsolet.

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Seinem Ursprung und ursprünglichen Selbstverständnis nach ist das Christentum eine missionarische Religion. Es ist Weltreligion im buchstäblichen Sinne, dergestalt nämlich, daß es die Christusbotschaft unter allen Völkern verkündigen will. Das älteste Christentum verkündigt das Evangelium als Botschaft von der Güte Gottes, der alle Menschen, gleich welcher Religion sie ursprünglich angehören, zur Umkehr bringen will (vgl. Rom 2,4).

Man beachte, daß die Mission im Neuen Testament eschatologisch, d.h. von der Botschaft des anbrechenden Reiches Gottes aus, begründet wird. Ihr ursprüngliches Ziel ist nicht die Gründung einer neuen Religion, sondern die Gewinnung der Menschen für das Gottesreich, dessen Anbruch das Ende der bisherigen Geschichte und also auch das Ende aller Religionsgeschichte sein wird.

Der Fortgang der Geschichte hat das Christentum freilich zur Religion unter Religionen werden lassen. Die christliche Mission suchte fortan das Christentum als die eine wahre Religion in der ganzen Welt zu verbreiten. Einerseits ging das Christentum so in viele Kulturen ein und gewann unterschiedliche konfessionelle und kulturelle Ausprägungen. Andererseits führt die von Europa und dem griechisch geprägten Christentum ausgehende , Mission auch zur kulturellen Überfremdung anderer Weltregionen.

Rückblickend wird die bisherige Geschichte christlicher Mission zum Teil mit Recht kritisch beurteilt, nämlich als Fortsetzung europäischer Ex-pansions- und Kolonialpolitik mit religiösen Mitteln. Mission, so wird heute oftmals gefordert, sei durch den Dialog der Religionen nicht etwa zu ergänzen, sondern abzulösen, weil sich niemand im Resitz der Wahrheit wähnen dürfe, sondern sich mit allen übrigen auf die gemeinsame Suche nach Wahrheit begeben müsse. Entsprechend sei die Ökumene der christlichen Konfessionen zu einer Ökumene der Religionen zu erweitern.

Das Gespräch der Religionen ist heutzutage unabdingbar. In einer multikulturellen Weltgesellschaft kann das Christentum sein eigenes Selbstverständnis nicht mehr im abstrakten Gegenüber zu den Religionen klären, sondern ist zu dialogischer Rechenschaft über den eigenen Glauben herausgefordert. Die Selbstkritik des Christentums im Blick auf seine bisherige Missionsgeschichte und die Einsicht in die Notwendigkeit des Dialogs dürfen allerdings nicht außer acht lassen, daß es heute gerade nichtchristliche Religionen sind, welche in den bisherigen Kerngebieten des Christentums intensiv, zum Teil auch aggressiv missionieren. Dialog und Mission bilden offenbar weder für das Christentum noch für andere Weltreligionen eine echte Alternative.

So ist also nicht einfach das Anliegen der Mission zu kritisieren, sondern nach ihrem heute theologisch vetret-baren Verständnis zu fragen. Umgekehrt ist der Begriff des Dialogs, der heute zum Teil recht unreflektiertund suggestiv verwendet wird, kritisch zu klären. Um das heute gebotene Verhältnis von Dialog und Mission zu bestimmen, ist zunächst der Begriff der Kon vi venz zu bedenken, weil erst von ihm aus Sinn und Zielsetzung des Dialogs in der multireligiösen Gesellschaft diskutiert werden können. Der Zweck eines interreligiösen Dialogs ist zunächst und vor allem sozialethisch zu bestimmen. Die Religionsgemeinschaften sind aufgefordert, ihren Beitrag für ein friedliches Zusammenleben - und das heißt Konvi-venz - in der modernen Gesellschaft zu leisten. In einer multikulturellen, multireligiösen und demokratisch verfaßten Gesellschaft stellt sich die bedrängende Frage, welche Institutionen, Begeln und Werte das Zusammenleben der Menschen ermöglichen, lebt doch der weltanschaulich neutrale Staat von Voraussetzungen, die er nicht selbst schaffen und garantieren kann. Zum christlichen Verständnis des Verhältnisses von Religion und Gesellschaft gehört die Unterscheidung von Religion und politischem Gemeinwesen, andererseits die religiöse Verpflichtung, das Gemeinwohl zu befördern, gemäß der biblischen Mahnung" aus Jeremia 29,7, der Stadt Bestes zu suchen. Weil die Welt als Schöpfung Gottes bejaht wird, gilt.es den Frieden zu fördern, und das heißt eben auch das friedliche Miteinander der Konfessionen und Religionen. In solcher Konvivenz liegt die entscheidende Motivation für das Christentum zu einem Dialog der Religionen.

Ganz oben auf der Tagesordnung des interreligiösen Dialogs steht der gemeinsame Einsatz für die Durchsetzung und Wahrung der Menschenrechte. Konkret sind die christlichen Kirchen etwa verpflichtet, öffentlich für das Recht auf Religionsfreiheit einzutreten. Religionsfreiheit ist freilich immer auch die Religionsfreiheit des anderen.

Das Zeugnis der Kirchen kann nur dann glaubhaft sein, wenn dies den Einsatz für die Religionsfreiheit nichtchristlicher Religionsgemeinschaften einschließt. Die Religionsfreiheit ist freilich nicht nur gegenüber religionsfeindlichen Regierungen und Staatsformen einzuklagen, sondern auch gegenüber solchen Religionen oder Religionsgemein-schaften geltend zu machen, welche dieses Grundrecht negieren oder nur eingeschränkt gelten lassen wollen. Religionsfreiheit besteht nicht nur im Recht auf individuelle Religionsausübung, sondern auch in der Beseitigung jeglichen Zwangs in Fragen des Glaubens. Sie schließt die Freiheit zur Konversion ebenso wie zum Austritt aus einer Religionsgemeinschaft und selbst zur Religionslosigkeit ein. Pro-selytenmacherei widerspricht zweifellos dem Geist des Dialogs.

Aber der Respekt vor anderen Religionsgemeinschaften darf nicht gegen die Achtung des Individuums und seir ner Religionsfreiheit ausgespielt werden. Das gilt interkonfessionell wie interreligiös. Ein Dialog, welcher von vornherein jede Möglichkeit einer Konversion ausschließt oder disqualifiziert, negiert die Freiheit der Erkenntnis und des Gewissens, welche die unabdingbare Voraussetzung jedes echten Dialogs ist.

Konvivenz und Kooperation schließen jedoch nicht das Eintreten für die eigene Religion aus. Wer sich an einen Gott oder eine bestimmte Offenbarung des Göttlichen gebunden weiß, weiß sich im Gespräch mit anderen zur Be-zeugung dieses Glaubens verpflichtet. Ohne die Überzeugung vom Wahrheitsanspruch und Verpflichtungscharakter der eigenen Religion ist jeder Glaube unernst. Zum christlichen Glauben aber gehört auch unter den Bedingungen einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft konstitutiv seine missionarische Dimension. Der Christusglaube realisiert sich nämlich als gelebtes Bekenntnis. Christlicher Glaube und Leben aus Glauben haben stets Zeugnischarakter.

Mission, verstanden als zeugnishaftes Christenleben, ist eine Gestalt der Nächstenliebe. Was nämlich der gläubige Christ als Heil erfährt, schließt die solidarische Hoffnung für alle Menschen ein. Mission geschieht darum auch nicht nur durch Verkündigung und mündliches Eintreten für den eigenen Glauben (martyria), sondern ebenso durch den praktischen Einsatz für den hilfsbedürftigen Mitmenschen {diakonid). Aber auch die öffentliche Feier des Gottesdienstes (kiturgia) ist eine Gestalt christlicher Mission. Die Bezeugung des eigenen Glaubens geschieht freilich nur dann in Übereinstimmung mit seinem eigenen Grund, wenn sie im Geist der Anerkennung, das heißt im Respekt vor fremden Religionen, im Respekt vor der religiösen Bindung und Integrität anderer Menschen erfolgt, auch im Respekt vor der Verweigerung einer bewußten Auseinandersetzung mit dem Christentum.

Daß das Christentum heute als Religion unter Religionen gestellt ist, muß theologisch als spirituelle Herausforderung, als Herausforderung des Geistes Gottes an die Christen begriffen werden. Das Resultat der vom Heiligen Geist in dieser Phase der Weltgeschichte bewirkten Begegnung der Religionen muß der Glaube jedoch Gott allein überlassen. Es ist ganz Gottes Sache, ob und wie Christus heute in die Welt der Religionen Eingang findet. Die Sache der Christen ist es lediglich, durch ihre Reden und ihre Weise des Lebens dafür Sorge zu tragen, daß die Stimme Christi Gehör findet und nicht unglaubwürdig wird.

Der Autor ist Professor für Systematische Theologie an der Evang.-theoL Fakultät in Wien.

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