Werbung
Werbung
Werbung

Die Konzilserklärung "Nostra Aetate" - der Umbruch im Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen.

Eher unbemerkt von der Öffentlichkeit veranstaltete der Päpstliche Rat für Interreligiösen Dialog unter Leitung von Erzbischof Michael Fitzgerald im September bei Wien ein Symposium. Anlass war die Verabschiedung der Konzilserklärung Nostra aetate vor 40 Jahren. Thema war der religiöse Pluralismus in der westlichen Welt. Dabei wurde deutlich, dass zusammen gesehen werden muss, was zusammen gehört. Der inzwischen wohl bekannteste Konzilstext stammt aber ursprünglich aus dem von Kardinal Augustin Bea geleiteten Sekretariat für die Einheit der Christen. Dort gehörten im Vorfeld des Konzils zusammen: die gespaltene Christenheit, das Verhältnis der Kirche zum Judentum, die anderen Religionen, schließlich die Religionsfreiheit.

Gegen "Kampf der Kulturen"

Fragt man im Rückblick, welche Richtung die Kirche des Konzils in diesen Fragen eingeschlagen hat, gibt es zwei Schlüsselworte: Dialog und Freiheit. "Dialog" lautete die Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit der verwirrenden Vielfalt der Welt. Gegen den Kampf der Kulturen (S. Huntington) haben nur Friedens- und Versöhnungsstrategien eine Chance. Die Erklärung Nostra aetate bedarf daher "40 Jahre danach" erneut einer grundlegenden Gesellschaftsanalyse. Dieser kommt nach den langen Jahren kirchlich-theologischer Selbstreflexion sogar ein gewisser Vorrang zu. Was fällt nun auf?

* In den letzten 40 Jahren ist es zu wichtigen technologischen Entwicklungen gekommen: Fernsehen gibt es weltweit, die Telekommunikation verbindet schnell überallhin, die Genforschung verändert den Menschen und wird zum ethischen Problem, wir streben ins Weltall. Die Welt wächst zusammen, wir sprechen von "Globalisierung".

* Globalisierung erzeugt aber Ängste, dass die Identität des Einzelnen und Eigenen zugrunde geht. Gegen die Kultur der Vereinheitlichung steht die Wahrnehmung der Vielheit und der Kampf, sie zu bewahren und die Freiheit nicht zu verlieren.

* Es gibt nicht nur die Vielheit der Sprachen und Kulturen, sondern auch der Religionen. Religion wird heute wieder als grundlegender Gestaltungsfaktor der Gesellschaft wahrgenommen. "Religion ist Privatsache" ist überholt. Kein Kirchenmann hat diese Situation nachdrücklicher erkannt als der verstorbene Wiener Kardinal König.

* Der in der ganzen Welt verbreitete Zug zur Säkularisierung ist nur noch eine Facette modernen Lebens. Nicht zu Unrecht spricht Jürgen Habermas in den letzten Jahren lieber von einer "postsäkularen" als von einer "postmodernen" Zeit.

* "Postmodern" bleibt unsere Zeit dennoch, weil auch die Absolutsetzung menschlicher Vernunft trotz aller wissenschaftlichen Erfolge gescheitert ist. Zu oft hat rationales Denken versagt und ist es an seine Grenzen gestoßen. Selbst Politikern dämmert es, dass wir im ethischen Verhalten mit dem "Unverfügbaren" rechnen müssen. Ein Signal dafür ist, dass in Europa der Ruf verstärkt hörbar ist, Gott einen Platz in den Verfassungen einzuräumen.

Vielfalt besagt zugleich Reichtum und Konfliktpotenzial. Wo in Vielfalt sich vieles ergänzt, kommt es zur Erfahrung von Bereicherung. Wo hingegen in Vielfalt sich der Einzelne mit seinem Standpunkt durch andere Standpunkte gefährdet sieht, sind Auseinandersetzungen angesagt. Konflikte aber können nur gelöst werden, wo Menschen sich partnerschaftlich und "auf Augenhöhe" begegnen. Der Streit beginnt aber inzwischen schon im Vorfeld des Dialogs, zumal auch die Frage "Wer spricht verbindlich mit wem?" zu klären ist.

Dialog von Menschen

Zwei Beobachtungen zu Nostra aetate helfen hier weiter:

* Der Text will sich zu unserer Zeit äußern. Zu seiner Zeit war er ein lautes Signal, weil er sich als erstes Konzilsdokument ausdrücklich zu anderen Religionen geäußert hat. Dennoch: Reicht es heute aus, wenn wir uns mit einigen Grundaussagen zu Judentum und Islam, Hinduismus und Buddhismus begnügen, wo doch diese Religionen wie auch das Christentum jeweils sich weiterentwickelnde Organismen sind? Religionen bestehen aus Menschen. Dialoge werden zwischen Menschen geführt. In Zukunft kommt man nicht mehr mit Buchwissen und Religionsstudien aus. Menschen verschiedener Richtungen müssen zu gegenseitigem Verstehen finden.

* Dialoge müssen in Freiheit möglich sein. Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae und Nostra aetate gehören eng zusammen. Wo Staaten die Religion beherrschen (wie heute noch in der Volksrepublik China) oder Religionen sich als Staatsreligionen verstehen (wie in vielen islamischen Ländern), hat der interreligiöse Dialog keine wirkliche Chance. Dabei ist die "kopernikanische Wende" zu beachten, von der Kardinal Walter Kasper gesprochen hat: Das Konzil tritt nicht mehr im Zeichen des Rechts der Wahrheit, sondern im Blick auf die Würde der menschlichen Person und die Menschenrechte für die Religionsfreiheit ein, d.h. für eine religiöse Betätigung ohne Zwang von irgendeiner Seite.

Wo der Zusammenhang von Dialog und Freiheit gesehen wird, braucht sich niemand darum zu sorgen, für den eigenen Standpunkt als Zeuge bekennend einzutreten. Denn das Recht zur Bezeugung kommt jedem Menschen zu, dem Gläubigen wie dem Ungläubigen, dem Christen wie dem Nichtchristen. Im Wettkampf des Geistes und der Geister aber wird sich am Ende der Geist der Wahrheit durchsetzen.

Dialog will geführt werden

Diese Überlegungen finden ihre Bestätigung in den ersten Monaten des neuen Papstes. Ohne weitere Anmerkungen zur Theorie von Dialog und Freiheit zu machen, ist er auf Anfragen zum Gespräch eingegangen und hat das Gespräch gesucht. Für die eine Seite stehen die Begegnungen mit dem Leiter der Pius-Bruderschaft Bernard Fellay, mit der islamkritischen Journalistin Oriana Fallaci und Hans Küng. Letztere enthielt insofern deutliche Signale über Dialogmöglichkeiten, als im Vorhinein ausdrücklich auf die Behandlung kritischer Themen verzichtet wurde.

Für die andere Seite stehen die Besuche der jüdischen Synagoge in Köln während des Weltjugendtags und das Gespräch mit den Muslimen. Bei letzterem waren nicht alle Gruppen vertreten, doch ein Anfang ist gemacht. Das beweist: Dialog will nicht besprochen, sondern geführt werden. Die Freiheit des Menschen aber ist ein unverzichtbares Gut.

Der Autor ist emerit. Prof. f. Fundamentaltheologie und Theologie der Religionen an der Universität Bonn.

Nächste Woche: VII. KONZIL UND BIBEL.

Chronologie

18. September 1960: Johannes xxiii. beauftragt das Sekretariat für die Einheit der Christen und seinen Leiter, Kardinal Augustin Bea,eine "Judenerklärung" des Konzils, die nicht zuletzt die antijüdische Geschichte des Christentums thematisiert, vorzubereiten. Wesentliche Impulse dazu kamen vom französischen Historiker Jules Isaac und dem aus Wien in die usa emigrierten Theologen Johannes Oesterreicher.

Herbst 1962 & 1963: Zuerst soll die Judenerklärung zum Ökumene-Dokument gehören, was aber beim Konzil auf großen Widerstand stößt - einerseits von Seiten der Konservativen, die an sich gegen eine Haltungsänderung gegenüber den Juden opponieren, andererseits von Bischöfen arabischer Länder, die aus politischen Gründen (Israel-Palästina-Konflikt) die Judenerklärung zu Fall zu bringen suchen. Das Thema wurde in die 3. Konzilssession verschleppt.

4.-6. Jänner 1964: Paul vi. besucht das damals noch geteilte Jerusalem. Die päpstliche Reise wirkt sich positiv auf die Weiterbehandlung des Dokuments aus.

Herbst 1964 & 1965: Bischöfe aus der Dritten Welt dringen auf die Ausweitung der Judenerklärung zu einem Dokument über die Weltreligionen. Das Judentum wird "nur" mehr ein Kapitel davon, dennoch sind die Aussagen eine revolutionäre Abkehr vom christlichen Antijudaismus. Als ähnlich radikal neu gilt aber auch die Annäherung an die anderen Religionen.

28. Oktober 1965: Das Konzil verabschiedet die Erklärung Nostra aetate über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. ofri

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung