Die Abstimmung per Austritt

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Die Entwicklung ist seit Jahr und Tag in Gang. Neu ist das, was die exorbitanten Austrittszahlen aus der katholischen Kirche aussagen, also wahrlich nicht. Dennoch dokumentiert die Zahlengrafik der letzten 20 Jahre (vgl. Seite 18 dieser FURCHE) das Drama der Institution: Steil nach oben weist die Kurve; man darf zwar hoffen, dass 2011 der Verlauf in den "normalen“ Anstieg zurückkehrt.

Dennoch täte der katholischen Kirche Österreichs ein heilsamer Schock gut - in den kirchlichen Reaktionen auf die Austrittszahlen gab man sich allerdings nicht wirklich schockiert.

Längst nicht mehr hinter vorgehaltener Hand unken Berufene (etwa Paul Zulehner & Co), dass die katholische Kirche die Relevanz für den Einzelnen einbüßt - selbst in einem struktur- und wertkonservativen Umfeld, als das die österreichische Gesellschaft gemeinhin gilt. Natürlich ist man hierzulande noch meilenweit von einer Marginalisierung des Katholischen wie in den Niederlanden entfernt. Aber dass sich das katholische Milieu auch hierzulande auf einem Weg nach dorthin befindet, ist kaum von der Hand zu weisen.

Das katholische Milieu schwindet

Nun wird - vom Papst in Rom ebenso wie vom Kardinal in Wien - die Glaubens- und die Gottesfrage ins Spiel gebracht, um die es gehe und welche die katholische Kirche zu verkünden habe. Das ist richtig. In der ökonomischen Nützlichkeitsgesellschaft ist die Sehnsucht nach einem Mehr keineswegs verschwunden - im Gegenteil. Aber warum nehmen immer weniger Menschen der katholischen Kirche und ihren Protagonisten ab, dass sie für diese Bedürfnisse der Menschen gerüstet sind?

Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Kirche. So lautete die menschennahe Zentralvision des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die an den Austrittszahlen festzumachende Absetzbewegung zeigt: Mehr und mehr Menschen glauben das der katholischen Kirche nicht mehr. Kann dieser Anspruch jedoch nicht überzeugend erfüllt werden, wird die andere Zentralvision des Konzils, nämlich Christus als das "Licht der Völker“ zu verkünden, obsolet.

Auf den Punkt gebracht: Ja, die Gottesfrage wachzuhalten, muss die erste Aufgabe der Christen im Lande sein. Aber das ist nicht ohne ebenso glaubwürdige Menschensorge zu haben. Die Abstimmung per Austritt spricht Bände dazu.

Das ist auch an alltäglichen Ungereimtheiten festzumachen: Im Evangelium stehen etwa das Verbot Jesu zu schwören und das Verbot der Ehescheidung unmittelbar hintereinander. Die katholische Kirche schert sich um das erstere nicht, beim zweiten hingegen verlangt sie 100-prozentige Erfüllung (Stichwort: keine Sakramente für wiederverheiratete Geschiedene).

Sträfliche Ausdünnung vor Ort

Oder an der dramatischen personellen und damit sakramentalen Ausdünnung der Gemeinden vor Ort: Der Anspruch einer "Sorge um die Leute“, eines Lebens mit und für die Menschen, wird unglaubwürdig, wenn es kaum mehr Gottes Bodenpersonal gibt. Nicht nur Helmut Schüller und die Pfarrerinitiative mahnen ein, eine unter heutigen Bedingungen plausible und authentische Lebensform für Priester zu entwickeln. Darum drückt sich die katholische Kirche.

Um also die Gottesfrage wirklich ins Spiel bringen zu können, sind auch Rahmenbedingungen nötig, deren Schaffung sehr wohl in den Händen der Kirche(nleitung) liegt. Diesbezügliche Untätigkeit ist mit ein Grund für den Austrittsboom. Zwar sind für die katholische Kirche auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an sich unwirtlich. Dennoch tut sie viel zu wenig für ihre innere Erneuerung.

Und damit ist nicht gemeint, bloß auf die geistlichen Erneuerungsbewegungen zu setzen. Die mögen für ihre jeweilige Klientel von Bedeutung sein. Aber etwa bei der Bewältigung der Missbrauchskrise war von diesen Bewegungen herzlich wenig zu hören.

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