Die Altlasten der serbischen Geschichte

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Die Serben sahen und sehen sich von Europa angefeindet. Ihre Geschichte wurde zum Opfertrauma der serbischen Nation.

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Die Serben sahen und sehen sich von Europa angefeindet. Ihre Geschichte wurde zum Opfertrauma der serbischen Nation.

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Was in vielen Publikationen als serbischer "Verfolgungswahn", als "paranoide Geschichtsauffassung" dargestellt wird, versucht ORF-Redakteur Malte Olschewski in seinem Buch "Der serbische Mythos" zu differenzieren und zu erklären. Ohne serbische Schuld und Untaten zu verschweigen, wirbt er um Verständnis für dieses "tragische Volk" (Olschewski).

Er analysiert einen Zeitraum von fast 1.500 Jahren serbischer Geschichte, von der Wanderung der Urslawen und ihrer Ansiedlung am Balkan bis zu Slobodan Milosevi'c. Der Band endet mit Beginn des Bürgerkriegs, bezieht aber Geschichte und Opfertrauma der Serben in eindrucksvoller Weise darauf. Eine zusammenhängende Darstellung des Balkankrieges von 1990 bis zum jetzt aufflammenden Kosovokrieg wird ein bald erscheinender zweiter Band bringen.

Mythen, Helden, Legenden, Herrscher, Verräter wirken in der serbischen Tradition weiter - viel stärker als bei uns. Aus der verlorenen Schlacht am Amselfeld (Kosovo polje) vor 600 Jahren hat sich der Mythos der Serben entwickelt: Sie hätten das Abendland vor den Türken gerettet, die serbischen Opfer, der Tod Sultan Murads durch Serbenritter Milos Obili'c hätten die Kraft türkischer Angriffe für lange Zeit gebrochen. Von Europa, von Österreich und Rußland im besonderen, seien sie allein gelassen worden am Amselfeld. Fast 400 Jahre Türkenherrschaft schlossen sie von allen Entwicklungen Europas aus: Der Adel war großteils ausgerottet, als "Rajas" verfielen sie einer Art religiösen Apartheid unter den Moslems. Viele zogen in die abgelegenen Karstlandschaften oder siedelten als Wehrbauern im Grenzgebiet ("Krajina") der Habsburgermonarchie. In den Türkenkriegen nützten die Österreicher den Kampfgeist der Serben, zogen sie sich wieder zurück, dann überließen sie die Serben der Rache der Türken.

Die Annexion Bosnien-Herzegowinas brachte den serbischen Teil der Bevölkerung Bosniens - damals über 50 Prozent - anstatt ins Königreich Serbien diesmal unter österreichische Fremdherrschaft.

Das Attentat von Sarajevo hätte nicht zum Ersten Weltkrieg führen müssen. Selbst der Säbelrassler Kaiser Wilhelm II. riet den Österreichern zu Frieden und Vernunft. Aber die Kampagne gegen die "Hammeldiebe", "Schweinehirten", das "Läusevolk", die Karikaturen und Gedichte (nur wenige Dichter der Monarchie hatten sich daran nicht beteiligt) deckten jegliche Vernunft zu - und wirken bis heute nach! Der Antislawismus ließ "zeitweilig die Umrisse Hitlers ahnen" (so Hans Weigel), und die Historikerin Brigitte Hamann zeigte auf, daß der junge Hitler in Wien in seiner Rassenideologie auch von der österreichischen Serbenhetze beeinflußt wurde.

Sieht man von der Zwischenkriegszeit ab, in der im "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen" und der serbischen "Königsdiktatur" das Serbische - auch mit Repression und Gewalt - dominierte, so ist am serbischen Mythos etwas Wahres: Unter Tito auf fünf der sechs Teilrepubliken aufgeteilt, bevorzugte der Marschall die moslemischen Bosniaken und Albaner gegenüber den Serben.

Im Bürgerkrieg wurde es dann den serbischen Politikern und Medien sehr leicht gemacht, das Trauma der von der ganzen Welt angefeindeten serbischen Nation wieder verifiziert zu sehen. Und in den Augen der Serben wiederholt sich die Geschichte schon wieder: Für sie bahnt sich die "zweite Schlacht am Amselfeld", im Kosovo also, an ...

DER SERBISCHE MYTHOS Die verspätete Nation Von Malte Olschewski Herbig Verlag, München 1998478 Seiten, öS 364,

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