Die andere Globalisierung

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Auch die Gegner des Neoliberalismus haben sich globalisiert.

Um Gehör zu finden, mussten sich die Zweifler an der Globalisierung selber globalisieren. Michel Reimon beschreibt in "Days of Action", wie es zur Gegenbewegung kam und wie die Dinge nun laufen. Das Infragestellen des Neoliberalismus läuft auf einer ganz neuen Schiene.

Am Anfang standen ein kalifornischer Aktivist gegen die südafrikanische Apartheid und ein Mestize aus dem mexikanischen Chiapas, der seit elf Jahren versucht hatte, in den Dörfern um San Christobal die Gegenwehr der Indios gegen die Übergriffe der Viehzüchter und der Polizei zu organisieren. Marcos und seine Anhänger kamen als mexikanische Che Guevaras, doch bei den Indios herrschten andere Sitten. Bei ihnen musste jeder Punkt so lange besprochen werden, bis die große Mehrzahl begriff, worum es ging, und mit der Lösung einverstanden war. Fast elf Jahre brauchten die einstigen Revolutionäre, um sich dieser Demokratie anzupassen.

Dazwischen waren Helfer mit anderen Vorstellungen aus Kalifornien gekommen. "Global Exchange" mobilisierte "zwischen dem armen Süden und dem reichen Norden Kontakte auf persönlicher Ebene", erfahren wir. Bischof Samuel Ruiz Garcia initiierte in San Christobal ein Friedenszentrum. Alsbald kam auch das Internet ins Spiel und damit eine völlig neue Art der globalen Information und der Vernetzung bisher isolierter Gruppen. Über das Internet wurde der "Subcommandante Marcos" plötzlich beispielgebend. Das "Sub" sollte man als Hinweis verstehen, dass er nicht kommandiere, sondern als Vertreter der ihm übergeordneten Indiogemeinden handle. Man schrieb das Jahr 1994.

Über Internet von einander wissend, entwickelte sich der Widerstand gegen die negativen Folgen des Neoliberalismus. In Europa förderte vor allem die Rinderseuche BSE die Erkenntnis, was die Abschaffung von Schutzmaßnahmen für die Konsumenten bedeuten kann. In vielen Entwicklungsländern eskalierte nach dem Zusammenbruch etablierter Strukturen die Gewalt gegen Bevölkerungen, die gegen die Zerstörung ihrer Umwelt protestierten. So bei den Ogonis in Nigerien, wo eine dem Shell-Konzern willfährige Militärregierung die Vertreter der betroffenen Dörfer zum Tod durch den Strang verurteilen und hinrichten ließ.

Gegenkräfte, die früher hoffnungslos isoliert geblieben wären, wurden über das Internet immer besser miteinander verbunden. Das fiel nicht weiter auf, bis es 1998 zu den ersten weltweit koordinierten Aktionen gegen die Globalisierung kam, die vor allem durch die Welthandelsorganisation WTO verkörpert wurde. Anlass war die Feier zum 50. Gründungstag des GATT in Genf. Das General Agreement on Tariffs and Trade war der Vorläufer der WTO. Es gab zunächst noch keine Großaktion vor Ort, sondern kleine Aktionen in vielen Städten gleichzeitig. Die lokalen Gruppen agierten selbstständig, doch über das Internet wusste jede, was zur Stunde anderswo vor sich ging.

Die erste gemeinsame Aktion fand in Seattle statt. Aus allen Kontinenten kamen besorgte Menschen, die voneinander bereits gehört hatten. Nun lernten sie sich kennen und verstanden, dass sie Teil einer ebenso heterogenen wie weltweiten Bewegung waren. Dabei gab es keinerlei zentrale Organisation. Reimon betont auch, dass es sich nicht um "Globalisierungsgegner" handelt, sondern um Kritiker der neoliberalen Globalisierung. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil auch diese Bewegung nur durch Globalisierung entstehen konnte.

Reimon selbst gelangte unverhofft zum entscheidenden Aha-Erlebnis der konkreten Folgen neoliberaler Globalisierung. Er war mit seiner Freundin 1997 in Südostasien unterwegs, als die Asienkrise ausbrach. Plötzlich vermehrte sich ihre Reisekasse auf wundersame Art und Weise. Binnen kurzem verdoppelte sich der Wert ihrer Dollars. So konnten sie statt vier volle achteinhalb Monate Südostasien genießen. Allmählich merkten sie allerdings, dass ihre Freude für die Menschen um sie nackten Hunger bedeutete. Was sie besonders verblüffte: Vor der Krise hatte eine gute Wirtschaftslage geherrscht. Der Journalist Reimon fand schnell heraus, dass es sich keineswegs um eine Konjunkturschwankung handelte. Finanzmanipulationen hatten den Währungssturz ausgelöst. Reimon wurde klar, dass die Alternative zur neoliberalen Globalisierung nur eine faire Globalisierung sein kann.

Auf Seattle folgten Washington, Prag, Nizza, Cancun in Mexico, Neapel, Quebec, Göteborg, Barcelona, Salzburg und schließlich Genua als Höhepunkt der Konfrontation. Zu keinem Zeitpunkt gab es eine zentrale Leitung. Durch permanenten Informationsaustausch konnte sich jede "Affinity Group" auf die anderen einstellen und entsprechend handeln. Heute weiss man, dass es in Genua zu exzessiven polizeilichen Ausschreitungen kam. Selbstverständlich gab es auf der anderen Seite kleine, gewalttätige Gruppen. Doch die überwältigende Mehrzahl der Demonstrierenden wollte und will nichts mit Gewalt zu tun haben.

Daher scheinen sie nun wieder zu kleineren Veranstaltungen anlässlich von WTO- und sonstigen Tagungen zu tendieren. Daneben werden Gegentagungen veranstaltet, zum ersten Mal in Porto Allegre in Brasilien. Anlässlich der letzten Tagung des Europäischen Wirtschaftsforums in Salzburg wurde dieser Strategie entsprechend eine erfolgreiche Gegentagung in Florenz veranstaltet.

Viele Beobachter guten Willens sehen die ganze Bewegung als anarchisch an. Die Welt war bisher Bewegungen gewöhnt, die konkrete, meist ideologische Ziele anstrebten und dazu eine mehr oder weniger schlagkräftige nationalstaatliche oder weltweite, zentral geführte Organisation aufbauten. Die Globalisierungskritiker sehen in ihrer Unbestimmtheit einen entscheidenden Vorteil. Jede Gruppe verfolgt das ihr und den lokalen Umständen entsprechende Ziel. Ständiger Informationsaustausch über das Internet stärkt jeder von ihnen den Rücken. Pläne für Initiativen und Lösungen für Probleme werden nicht mehr von oben erwartet, sondern an der Basis entwickelt. Was diese neue, basisdemokratische Strategie auf die Dauer vermag, dürfte sich in den nächsten Jahren erweisen.

DAYS OF ACTION - Die neoliberale Globalisierung und ihre Gegner

Von Michel Reimon

Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2002

200 Seiten, Ln., e 19,90

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