Die Antwort schuldig geblieben
Karl Rahner und die Frage nach dem Leid.
Karl Rahner und die Frage nach dem Leid.
Gesteckt voll war das Auditorium maximum der Universität Wien an jenem Herbstabend des - wenn ich mich recht erinnere - Jahres 1978. Karl Rahner sprach über "Warum lässt uns Gott leiden?" - also zum Thema, das Glaubensverkünder wie Glaubenssucher seit jeher umtreibt: Auch ich - Nicht-Theologe - wollte hören, welche Antwort der große Rahner auf diese Urfrage geben würde.
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Und nicht nur ich wurde überrascht: Da ging der schmächtige alte Mann im Saal auf und ab und zerpflückte jede gängige Erklärung der Theodizee. Von der Dialektik des Dualismus, dass also jedes Gute das Böse zu seiner Existenz brauche, wollte Rahner gleich gar nicht reden. Er verneinte heftig auch jede Erklärung des Leides als unvermeidliche Begleiterscheinung der Natur; dann widerlegte er die Sicht des Leides als "Wirkung der schuldigen Freiheit", also dass es das Leid gibt, weil der Mensch schuldig geworden ist. Schließlich weigerte er sich auch, das Leid als "Verweis" auf das ewige Leben zu rechtfertigen.
Gut eine Stunde lang hatte der kleine, schwarz gekleidete Weißhaarige Erklärungsmodell um Erklärungsmodell verworfen - und stand dann ganz und gar mit leeren Händen da: "Die Unbegreiflichkeit des Leides ist ein Stück der Unbegreiflichkeit Gottes." Punkt. So lautete Rahners Conclusio.
Für mich 19-Jährigen war diese Nicht-Antwort eine Befreiung: Die Gewissheiten und vorschnellen Antworten, die der eben überstandene, sehr konservative Religionsunterricht vorgegeben hatte, trugen nicht mehr. Dass eine existenzielle Frage eben eine Frage - und somit antwortlos - bleiben kann, das war für mich Teenager ein großes religiöses Aufatmen, wie ich es danach kaum je wieder erfahren durfte.
Ich habe Karl Rahner dann noch das eine oder andere Mal bei Vorträgen erlebt, ihn aber nie persönlich kennen gelernt. Die geschilderte "Begegnung" mit Karl Rahner ist für mich aber bis heute ein prägendes Glaubenserlebnis geblieben.
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