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Die Aussichten des Konzils

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Johannes XXIII. sagte am 8. Dezember 1962, die erste Konzilsitzungsperiode sei „die langsame und feierliche Einleitung zum großen Werk gewesen: ein bereitwilliges Vortasten zum Kern und zur Substanz des vom Herrn beabsichtigten Planes“. Am 4. Dezember 1963 faßte Paul VI. die Ergebnisse nicht genauso kurz zusammen, sondern verbreitete sich in einer ausführlichen Bilanz über die abgeschlossenen Arbeiten und beurteilte sie trotz ihrer ausgiebigen Unvollständigkeit in der Substanz positiv.

Tatsächlich wurden in der zweiten Sitzungsperiode nur eine Konstitution und ein Dekret feierlich verkündet, die zudem schon in der vorhergehenden diskutiert worden waren, während die Prüfung dreier anderer Entwürfe zu keinem endgültigen Abschluß gelangen konnte. Jetzt dürfen wir uns fragen, ob das Konzil nicht schon zu weit hinter seinem Programm zurückgeblieben ist, als daß wir ohne Sorge in die Zukunft blicken könnten. Wir wollen nicht behaupten, daß die Bedeutung und der Erfolg eines Konzils einzig und allein von der Zahl der Konstitutionen und Dekrete abhänge, die es zu verkünden vermag. Es erscheint uns jedoch unzweifelhaft, daß das Verhältnis zwischen den angekündigten und den tatsächlich behandelten Themen dennoch ein nicht übersehbares Urteilselement bildet.

Wie erinnerlich, wurden die rund 70 ursprünglichen Entwürfe von Johannes XXIII. noch während der ersten Sitzungsperiode auf nur 17 herabgesetzt. Zugleich verfügte er, daß die Konzilstexte so stark zu kürzen seien, daß sie ausschließlich die wesentlichen Leitgedanken über die wichtigsten, heute die Weltkirche interessierenden Probleme aussprechen. Diese Überarbeitung sollten die Konzilskommissionen während der ersten Zwischenzeit besorgen, und zwar unter der Leitung der eigens dafür geschaffenen Koordinationskommissian. Weil das für die Generalkongregationen letztes Jahr praktisch abgeschaffte Geheimnis für die Entwurfstexte aufrechterhalten wurde, können wir nicht sicher sagen, ob die den Vätern in der zweiten Sitzungsperiode vorgelegten Entwürfe alle den von Johannes XXIII. angegebenen Forderungen entsprachen. Die Mitteilungen über viele Konzilsreden lassen anderes vermuten. Es besteht indessen kein Zweifel, daß die Kürzung in den Kapiteln des liturgischen Entwurfs, die das Konzil während der ersten Sitzungsperiode noch nicht approbiert hatte, unterblieb.

Die Tatsache bleibt bestehen, daß von den 17, noch auf der Tagesordnung des Zweiten Vatikanischen Konzils stehenden Entwürfen, bisher nur zwei approbiert worden sind. Durch die Entscheidung, den marianischen Entwurf in jenen „De Ecclesia“ einzufügen, wurde die Zahl der noch zu approbierenden Entwürfe auf 14 herabgedrückt, die selbst dann, wenn man das bisherige Arbeitstempo verdoppeln könnte, noch sieben Sitzungsperioden erfordern würden. Entschieden zu viele für eine Welt, in der sich so vieles von einem Tag zum andern verwandelt und die Kirche, auch wenn sie nicht in die internationalen politischen Ereignisse verwickelt ist, zu einer beständigen Anpassung ihrer eigenen Urteile, ihrer eigenen Gesichtspunkte über die von ihr selbst aufgestellte Hierarchie der Werte zwingt.

Doch die Empfehlung, das Konzil nicht übermäßig hinauszuziehen, hängt auch von Faktoren ab, die zuinnerst geistlich und deshalb substanzieller mit dem Leben der Kirche verbunden sind. Die Hoffnungen und Erwartungen, die das Zweite Vatikanische Konzil überall, sogar außerhalb der katholischen und selbst christlichen Welt geweckt hat, dürfen nicht einer zu langen Abnutzung ausgesetzt werden, um die Gefahr zu bannen, daß bestimmte Reformen und Methoden der kirchlichen Anpassung an die heutige Zeit nicht schließlich als Täuschung erscheinen, allein schon deshalb, weil man jahrelang — wenn auch nur verschwommen — davon reden hörte.

Für die jetzige Zwischenpause hat Paul VI. nicht angekündigt, daß die Zahl der Entwürfe verringert werden soll, sondern nur, wie sein Vorgänger, ihre höchste Straffung empfohlen. Was die noch nicht behandelten Themen angeht, sagte er wörtlich: „Wir möchten die Prüfung dieser Fragen erneut vertieft sehen, um der nächsten Konzilsperiode kürzere und so abgefaßte Entwürfe vorlegen zu können, daß es nicht schwer sein wird, ein Urteil des Konzils über einige grundlegende Sätze zu erreichen, während ihre nähere Auslegung und praktische Anwendung den nach Abschluß des Konzils weiterarbeitenden Kommissionen überlassen wird.“

Besonders wichtig ist in diesem Satz der unmißverständliche Hinweis auf das Verfahren, das die Moderatoren anzuwenden beschlossen, als sie die „Fragen“ über die Hauptpunkte des Entwurfes „De Ecclesia“ den Vätern vorlegten und durch eine Abstimmung den klaren Gegensatz, der sich über das Prinzip der bischöflichen Kollegialität geoffenbart hatte, lösten. Diese Fragen beantworteten die Konzilsväter mit eindeutigsten Mehrheiten.

Es schien der Gedanke gestattet, daß das Ergebnis dieser Abstimmungen für alle, einschließlich der ablehnenden Minderheit, hätte bindend sein müssen, und daß der zuständigen Konzilskommission nichts anderes übrig geblieben wäre, als dies zur Kenntnis zu nehmen und den Entwurf auf der Basis der von der Versammlung festgelegten Prinzipien neu auszuarbeiten. Dies war um so mehr anzunehmen, als ihr Vorsitzender, Kardinal Ottaviani, in einem Interview vom 19. Dezember 1962 für Radio München erklärt hatte, daß nach dem Abschluß der in der Vorbereitungszeit durchgeführten Aufgaben „die gegenwärtige theologische Kommission nichts anderes tun soll, als das, was die Mehrheit der Konzilsväter vorlegt, in die Entwürfe einzuführen“.

Wir alle erinnern uns, was nach den Abstimmungen vom 30. Oktober im Gegenteil geschehen ist. Es wurde ihnen jeder wirksame Wert abgestritten. Ja, es wurde sogar in Zweifel gezogen, ob das von den Moderatoren angewandte Verfahren angebracht, geschweige denn gesetzmäßig war.

Ohne uns ein eigenes Urteil über das Problem der bischöflichen Kollegialität anzumaßen — das unseres Erachtens falsch gestellt wird, falls es auf ausschließlich und kalt-juristischen Grundlagen geschieht, wie einige seiner Gegner es oft getan haben —, scheint uns die Bemerkung erlaubt, daß eine Wiederholung dessen, was in der letzten Sitzungsperiode geschehen ist, das Konzil paralysieren oder wenigstens die Schnelligkeit, besser gesagt, die Rechtzeitigkeit seiner Beschlüsse schwer beeinträchtigen könnte.

Ein rascheres und sichereres Voranschreiten der Konzilsarbeiten wird nicht nur von weniger detaillierten Texten, von einer schärferen Abgrenzung der Vollmachten der verschiedenen Konzilsorgane, von möglichen Änderungen in der Geschäftsordnung abhängen. Jenseits der schwierigen Verflechtung der Zuständigkeiten, Wechselbeziehungen und Geschäftsordnungsnormen, die sich nicht immer als geeignet erwiesen für eine Versammlung, die nicht nur menschlich ist, blieb das Grundproblem des Zweiten Vatikanischen Konzils, was Kardinal Lercaro in einem der Zeitschrift „Regno“ gewährten Interview auseinandergelegt hatte: „Es ist kein Geheimnis, daß sich sofort zwei Einstellungen zeigten: einerseits Traditionssprache, Traditionshaltung, Traditionsmethode, anderseits ein eminent pastorales Anliegen, das heißt, die brennende Sorge, der Welt von heute die Lehre, das ewige, unveränderliche Wort Gottes, in einer Sprache vorzutragen, die leicht verstanden, mit Liebe angehört und angenommen werden kann — in einer Sprache, die nicht anstößt und gar jene vertreibt, die sich wegen ihrer Artverschiedenheit fremd fühlen gegenüber der abendländischen Kultur, Tradition und Mentalität oder gegenüber bestimmten Standpunkten, die eher mit zeitbedingten Momenten als mit Elementen verbunden sind, die zum Wesen der katholischen Lehre gehören —, die Sorge, mit der Welt von heute ein fruchtbares Gespräch zu eröffnen.“

Diese beiden Einstellungen zeigten sich erneut in der zweiten Sitzungsperiode bei der Behandlung des Entwurfs „De Ecclesia“ und zwar nicht nur, als die Kollegialität der Bischöfe zur Sprache kam, sondern auch als es um die Rolle und Verantwortung der Laien ging, und bei der Erörterung des ökumenischen Entwurfs. Sobald diese beiden Themen und andere von den Konzilsvätern aufgegriffen werden, ist sicher damit zu rechnen, daß die beiden Einstellungen von neuem zutage treten und gegeneinander Front machen werden. Niemand wird es bedauern, denn dadurch wird erneut „die heilige Freiheit der Kinder Gottes“, wie Johannes XXIII. sich ausdrückte, unter Beweis gestellt.

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