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Die Begründung des Zölibats

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Dieselbe von Prof. Klostermann so hart verurteilte Haltung möchte man hinter dem Artikel von P. Schrott SJ. vermuten, wenn dort, nach Begründung der Zölibatsforderung der Kirche durch Gewohnheit und Recht, weiter ausgeführt wird: „Der Priester hat seiner Gemeinde gegenüber die Funktion des Bräutigams.“ Soll damit überspielt werden, was sich sofort bei Erwähnung von Recht und Gewohnheit als echte Frage auf drängt: Welches Recht macht die Kirche geltend, wenn sie eine, so schwere Forderung an ihre Priester stellt? Etwa göttliches Recht? Die Gewohnheit aber ist in diesem Fall ein schlechter Rechtsanspruch, da es auch in der katholischen Kirche (in der griechisch- katholischen) eine gegenteilige Gewohnheit seit Jahrhunderten gibt, ganz zu schweigen von der griechisch-orthodoxen Kirche, die sich von jeher geweigert hat, den Priesterzölibat für alle ihre Kleriker verpflichtend zu machen. Tatsache ist, daß sich heute namhafte katholische Theologen melden, die auf die Erkenntnis hinweisen, „daß manches, womit man den Zölibat mitunter begründete und was seine Entwicklung bisweilen förderte, theologisch nicht haltbar ist und unterschwellig mehr von platonischen, dualistisch-manichäischen, stoischen, leibverachtenden und eheabwertenden Ideen, von den alttestamentlich- levitischen Reinheitsvorschriften getragen war als von christlich-evangelischen Gedanken“ (F. Klostermann in „Der Seelsorger“, Num mer 5 1965, S. 301 f. und Hinweis auf A. Auer und F. Böckle). Auf diesem Hintergrund scheint es unverständlich, wenn P. Schrott in seinem Artikel dem Verfasser obgenannter Schrift vorwirft, daß er „nicht über den Zölibat diskutieren, sondern vielmehr ihn bekämpfen will“.

Auch die Frage, ob man von der aus der Not der Zölibatsforderung entstehenden „faktischen Not der kirchlichen Öffentlichkeit“ auf eine „Forderung zur Entbindung von der Zölibatspflicht schließen darf“, scheint falsch gestellt. Müßte die Frage nicht vielmehr so lauten: Kann die Kirche ihre Forderung zum Zölibat als „conditio sine qua non“ überhaupt biblisch, theologisch, pastoral und anthropologisch glaubhaft begründen? Denn: Wenn die „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“ kein Befehl, sondern ein Rat Christi ist, darf dann die Kirche das heilsnotwendige Priestertum damit verknüpfen? Ist hier die Forderung von „Oatholicus“ nicht viel einleuchtender, daß für ein solches Gesetz ein ausdrücklicher Befehl Christi erforderlich ist?

Drei Voraussetzungen

Ein Wort auch zu den „Voraussetzungen zur Zölibatspflicht“, die gemäß CIC im Artikel aufgezählt werden:

1. Freisein von psychischen und moralischen Mängeln,

2. die zu einem solchen Entscheid notwendige Erkenntnis und Bildung des eigenen Urteils,

3. die volle Entscheidungsfreiheit.

Zur ersten Forderung sei nur angeführt, daß in der Praxis der Priesterseminare wohl die moralischen, selten aber die psychischen Mängel der Kandidaten geprüft werden, da in den meisten Fällen die geeigneten Erzieher fehlen.

Viel schwieriger und wichtiger ir die zweite Forderung. Es ist eine derzeit noch umstrittene Frage, ob ein junger Mann mit 23 Jahren die geforderte Einsicht in die. Folgenschwere seiner Entscheidung hat. Vielfach wird, von erfahrenen Priestererziehern eine Hinaufsetzung des Weihealters auf 28 bis 30 Jahre gefordert. Daß damit Schwierigkeiten hinsichtlich der Verwendung der Kandidaten bis zum erreichten Weihealter verbunden sind, ist kein

Gegenargument.

Zu dem Einwand, mit diesem Alter müßten sich heute auch viele junge Menschen für die Ehe entscheiden, erwidert F. Klostermann folgerichtig: „aber einerseits wäre reiflichere Überlegung auch hier oft angebracht, anderseits liegt die Ehe doch auf dem von der Natur vorgezeichneten Weg“ (a. a. O., Nr. 5 1965, S. 301). Nicht zuletzt müßten neben allen theoretischen und psychologischen Erwägungen gerade in dieser Frage die offenen Bekenntnisse vieler junger Priester gehört werden, die rückblickend unumwunden zugeben, daß ihnen damals die geforderte geistige Reife für einen solchen Entschluß offensichtlich gefehlt habe. Eine solche Feststellung tut weh, aber sie muß endlich ernst genommen werden.

Die „freie Entscheidung“

Eine Schwierigkeit aus der dritten Forderung scheint wenig berücksichtigt worden zu sein — vielfach wird sie geleugnet. Freie Entscheidung heißt: Freisein von äußerem Zwang und innerer Nötigung. Dabei wird kaum die Tatsache gewürdigt, daß die äußere freie Entscheidung durch den Milieudruck oft stark beeinträchtigt wird. In jenen Kreisen, aus denen die Mehrzahl unserer Priester stammt, gilt der Priesterberuf noch etwas. Und jeder von uns weiß, welche Schwierigkeiten schon dem Knabenseminaristen nicht nur von seinem Elternhaus erwachsen, wenn er erklärt, nicht Priester werden zu wollen. Um vieles mehr gilt dies für den Theologiestudenten. Die Tatsache allein, daß ein junger Mann,

der aus dem Knaben- oder Priesterseminar austritt, sein Leben lang als „ehemaliger“ oder „potentieller“ Kleriker gezeichnet ist, möge als Beweis für die erwähnte Schwierigkeit genügen.

Dazu kommt noch eine Form der inneren Nötigung, die zuwenig ernst genommen wird: Wenn ein junger Mann sich zum Priestertum berufen fühlt, aus der Erkenntnis der Notwendigkeit des Apostolats, so nimmt er oft die Verpflichtung zum Zölibat als ein notwendiges Übel in Kauf. Mit anderen Worten: So mancher würde es nicht wagen, das Priestertum nicht zu ergreifen, bloß weil er etwa Angst vor den Schwierigkeiten eines zölibatären Lebens hat. Mancher Priester nimmt auf diese Weise eine latente Angst vor dem Versagen mit sich, ein Trauma, das einerseits aus der Forderung der Kirche hinsichtlich Priestertum und Zölibat, anderseits aus der persönlichen Überzeugung seiner Berufung zum Priester stammt. In den seltensten Fällen wird der Zölibat von den Priesterkandidaten als Ideal gewählt.

Niemand aber wird bezweifeln, daß aus diesem seelischen Dilemma der Ausweg nicht leicht zu finden ist, zumal die Erziehung der Kandidaten alles andere als lebenszugewandt ist. Vielleicht liegen gerade in diesen Fakten die Hintergründe für so manches, für Priester und Gläubige gleich schmerzliches Versagen. Aber gerade diese innersten Zweifel und Ängste werden von den einschlägigen Paragraphen des CIC und der Praxis der Kirche kaum berücksichtigt.

Oft schon — auch beim II. Vatikanischen Konzil — wurde daher mit Nachdruck die unversöhnliche Haltung der Kirche den „abgefallenen“ Priestern gegenüber beklagt (vgl. Kathpress, Wien, Nr. 244, S. 7 vom 20. Oktober 1964, Bericht über den Beitrag von Msgr. Stavermann, Apostolischer Vikar von Sikärna- pura auf Neuguinea). Aber hier scheint die Kirche weiterhin taube Ohren zu haben. Warum läßt man einen Priester, der „nicht mehr kann“,' nicht in Frieden ziehen? Manifestiert sich in dieser Haltung etwa die Angst, daß zu viele diesen Weg beschreiten kohnfėn? Jeden-’ falls kann man nicht von Verständnis und christlicher Liebe sprechen, wenn vielfach die Ansicht vertreten wird, daß der „Gestrandete“, das Ausgestoßensein als „persönliche“ Strafe für sein .selbstverschuldetes“ Versagen zu tragen habe.

Flucht nach vorne?

Von P. Schrott wäre eine genauere Präzisierung zu erbitten, was unter „affektiver Nachreifung“ zu verstehen ist und welche Schritte von den verantwortlichen kirchlichen Stellen tatsächlich in dieser Richtung geplant sind. Denn oft hat man den Eindruck, daß das Problem zwar richtig erkannt wurde, die kirchlichen Stellen aber völlig hilflos davor stehen, oder — Was noch schlimmer ist — sich hinter dem Wall des Gesetzbuches verbarrikadieren.

Der Hinweis, daß man sich auch in den evangelischen und orthodoxen Kirchen auf den Zölibat besinnt, scheint völlig eine Flucht nach vorne zu sein. Denn es steht wohl außer Zweifel, daß man in den erwähnten christlichen Kirchen die evangelischen Räte achtet und hochhält. Aber nichts spricht dafür, daß sie etwa daran denken, auch in ihrem Bereich den Zölibat nach dem Vorbild der römisch-katholischen Kirche einzuführen.

P. Schrott beklagt es, daß „Catho- licus“ anonym bleiben will. Er merkt scheinbar gar nicht, daß er in seinem Artikel selbst die Begründung für diese Maßnahme liefert. Denn, wenn man jemanden, der es wagt, offen. nichtapprobierte Meinungen über das Tabu Zölibat zu äußern, sogleich des „psychologischen Pan- sexualismus“ zeiht, ist das wohl Grund genug, vorläufig seinen Namen zu verschweigen. Zusätzlich kann dies als ein Beweis dafür angesehen werden, daß der Zölibat noch immer das Tabu der Kirche ist und offenbar weiterhin „tiefgekühlt werden soll“.

Abschließend wäre zu sagen: Wenn der Schrift „Um den Zölibat“ auch manche Mängel vorzuwerfen sind, so ist ihr doch zugute zu halten, daß sie ein offenes und mutiges Wort zu einem brennenden kirchlichen und menschlichen Problem aufgreift.

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