"Die bosnische Suppe ist ungenießbar"

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Jakob Finci ist die Personifikation des Unbills von Dayton, jenes Vertrags, mit dem sich 1995 die drei ethnischen/religiösen Gruppen zähneknirschend in eine Art Staat fügten. Valentin Inzko, der Hohe Repräsentant, nennt Dayton einen "erfolgreichen Friedensvertrag", der aber "kein guter Verfassungsvertrag" sei. Finci, der Vorsteher der nur mehr wenige Hunderschaften zählenden jüdischen Gemeinde, passt aber nicht ins Schema: Denn er ist weder Bosniak/Muslim noch Kroate/Katholik noch Serbe/Orthodoxer. Aber weil in Dayton das Land und seine Institutionen geografisch und institutionell nur nach diesen Gruppen aufgeteilt wurde, sitzt einer wie Finci zwischen den Stühlen. Auch den Roma geht es ähnlich, ebenso den Nachkommen aus ethnisch-religiös gemischten Familien, von denen es in der jugoslawischen Zeit viele gab. Vom Staatspräsidium abwärts muss man sich als Angehöriger einer der drei Ethnien/Religionen deklarieren, sonst ist man von politischen Ämtern ausgeschlossen oder auch von allen möglichen Posten, die nach dem Proporz vergeben werden. Finci reichte gemeinsam mit dem Sprecher der Roma beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Klage gegen diese Diskriminierungen ein und bekam 2009 -zumindest den Buchstaben nach -recht. Die Journalisten treffen Finci in der österreichischen Botschaft in Sarajewo, wo sich der Präsident der Jüdischen Gemeinschaft von Bosnien und Herzegowina, der einige Jahre auch bosnischer Botschafter in der Schweiz war und sich während der Belagerung Sarajewos als Friedensstifter viele Verdienste erworben hat, kein Blatt vor den Mund nimmt: Europa spreche nicht mit einer Stimme, meint er bitter, sondern mit mindestens vier, jener von Großbritannien, Frankreich, Deutschland oder der Rest-EU. Dazu kämen zusätzliche Interessen der Türkei, der USA oder Russlands. Die "bosnische Suppe", so Finci, sei "ungenießbar". Trotz des

EGMR-Urteils sei die Verfassung nicht geändert worden. Nach wie vor gebe es im Land keine Wahlen, die europäischen oder Menschenrechts-Standards genügen würden. Wie viele Bosnier, die nicht am derzeitigen politischen System teilhaben, wirft Finci den Führern der regierenden ethnischen Parteien vor, alle nötigen Veränderungen zu verhindern. Einem für sich sprechenden Negativ-Beispiel begegnen die Journalisten dann in der herzegowinischen Hauptstadt Mostar, wo im Lokalparlament seit Jahren ein Patt zwischen kroatischen und bosniakischen Repräsentanten herrscht: Die Stadt, heißt es, sei de facto zweigeteilt, alles gibt es doppelt -von den Schulen bis zu den Fußballklubs. Der Bürgermeister amtiert aufgrund eines zahnlosen Übergangsstatuts. Eine Lösung der gegenseitigen Lähmung ist nicht in Sicht. (ofri)

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