Die Entmachtung des Ego

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Östliche Religionen sind im Westen seit mehr als 100 Jahren en vogue. Oft ist es die "Mystik", die diese Glaubensrichtungen attraktiv erscheinen lässt.

Vielleicht sind es ja die Räucherstäbchen, die asiatische Religionen in Europa so populär gemacht haben. Denn in der katholischen Kirche wird Weihrauch nur noch selten verwendet, und Räucherstäbchen sind ein gutes Äquivalent.

Aber im Ernst: die asiatischen Religionen haben in Europa schon seit dem 19. Jahrhundert Zulauf. Zunächst interessierte sich nur die gebildete Avantgarde für die fernöstlichen Religionen, doch seit dem Ende des 2. Weltkriegs sind in Europa und den USA Menschen aus unterschiedlichsten Schichten von der Mystik des Hinduismus, Buddhismus, Taoismus fasziniert. Jedenfalls kann man die vielen Yoga- und Tai Chi-Kurse und auch das Interesse an Meditation im Allgemeinen so interpretieren.

Durch Meditation, Yoga oder Tai Chi machen Menschen zunächst einmal Erfahrungen mit sich selbst, mit ihrem leiblich-seelisch-geistigen Da- und So-Sein. Die Interpretation dieser Wahrnehmungen und Wandlungsprozesse erfolgt nur selten wirklich in dem Begriffsfeld, das von Hinduismus, Buddhismus oder Taoismus vorgezeichnet wird. Meistens ist es ein Theorie-Mix, mit dem Menschen sich selbst zu verstehen suchen, ein Hybrid aus verschiedenen Traditionen. Hybridität ist ein legitimes Kennzeichen der Globalisierung, das ist das eine. Und das andere: Menschen sind komplexe Prozesse, Zeitgestalten zwischen Geburt und Tod.

Lebens-Hilfe oder Esoterik?

In der europäischen Kultur gibt es schon seit längerem keine Sprache mehr, mit Hilfe derer man diesen differenzierten Prozess des Lebens umfassend reflektieren kann. Physiologie, Psychologie, Ethik und Theologie werden säuberlich getrennt und als verschiedene Fächer ausgewiesen, und die Fachleute für das eine Fach haben von den anderen keine oder wenig Ahnung. Die Religionen Asiens dagegen haben elaborierte Theorie-Sprachen, in denen Menschen die Dimensionen und Ziele ihrer Lebensprozesse umfassender reflektieren können, und dies tun heute viele, so gut sie eben können. Ein Blick in die deutschsprachige Bücherlandschaft zeigt: Lebenshilfebücher beziehen sich häufig auf asiatische religiöse und medizinische Traditionen.

Was Mystik (nicht) ist

Nichteuropäische Kulturen und Religionen stehen allerdings noch immer im Geruch der Esoterik und des irgendwie Minderwertigen. Zu lange hat man die Religionen Asiens - und auch Afrikas - mit der Brille der Kolonialisten und Missionare gesehen. Sie erscheinen vielen bis heute als etwas Fremdartiges und Unheimliches, dem nicht Respekt, sondern Ablehnung oder Verachtung gebührt. Eine der Folgen: Religionswissenschaftliche Fachliteratur, aber auch indische oder chinesische Quellentexte findet man im deutschen Sprachraum oft unter der Rubrik Esoterik bei populären Verlagen. Auf der anderen Seite ziehen vor allem der Buddhismus, aber auch der Taoismus und der Hinduismus jene Menschen an, die mit kirchlich-bürgerlichen Lebensformen nichts mehr anfangen können. Das ist seit mehr als 100 Jahren so. Asiatische Religionen gelten als Beispiele von Religionen ohne Hierarchie, ohne Dogma - und vor allem, sie gelten im Unterschied zum Christentum als Wege der Erfahrung. Denn sehr vielen, die sich mit asiatischer Spiritualität beschäftigen, geht es um Mystik, um mystische Erfahrung.

Was das ist, darüber streiten jedoch die Gelehrten, die Theologen und Philosophen und Religionswissenschafter. Theologen neigen dazu, Mystik als "Erfahrung eines personalen Gegenübers" zu definieren, Religionswissenschafler sprechen von "Einheitserfahrungen", von "außeralltäglichem Charakter", und Philosophen würden sich dem vielleicht anschließen. Der Streit um die "richtige" Bestimmung der Mystik ist auch ein Streit um religionspolitische Definitionsmacht. Das stiftet Verwirrung, zum Beispiel, wenn es darum geht, ob Zen-Buddhismus Mystik sei oder nicht.

Der japanische Zen-Buddhist D. T. Suzuki - er hat mit seinen Büchern wesentlich zur Rezeption des Buddhismus im Westen beigetragen - reiht den Zen-Buddhismus genauso unter Mystik ein wie Ignatius von Loyola, den Gründer der Jesuiten. Ein anderer Zen-Buddhist dagegen, der Philosoph Masao Abe, lehnt diese Position ab. Ein gelehrter Kenner der deutschen Mystik, Alois Haas, lässt den Zen-Buddhismus als Mystik gelten, wenngleich er den Zen-Buddhismus als unvereinbar mit christlicher Mystik beschreibt, der Theologe Josef Sudbrack dagegen lehnt eine Identifizierung beider grundsätzlich ab.

Leben mit der Endlichkeit

Einfacher ist es, wenn man wie unlängst der deutsche Philosoph Ernst Tugendhat - nach Habermas wahrscheinlich der angesehenste deutsche Denker der Gegenwart - Mystik von der anthropologischen, praktischen Seite her bestimmt. Demnach ist Mystik der Versuch, mit der eigenen Endlichkeit zu Rande zu kommen und die Sorge um sich selbst hintanzustellen. Es geht um die Auflösung des Egoismus, stellt Tugendhat fest.

Mit seiner anthropologischen Definition von Mystik stimmen jüdische, christliche, islamische, hinduistische, buddhistische und taoistische Mystiker überein. Ihre Ontologien und Metaphysiken sind verschieden, aber alle fordern eine Entmachtung des selbstsüchtigen Ego. Überall dort, wo es darum geht, das eigene Ego hintanzustellen und von der Selbstsucht Abstand zu nehmen, überall dort kann man von Mystik sprechen.

Pionier Enoyima-Lasalle

So hat der Jesuitenpater Hugo M. Enomiya-Lassalle (1898-1990) bereits 1942 nach seinen ersten Erfahrungen in einem Zen-Kloster festgestellt, dass die Zen-Mönche eine ähnliche Lebensweise und ein ähnliches Ziel wie christliche Mystiker haben, und dass die Zen-Übung Christen daher auf ihrem Weg helfen kann. Dass sich die Christen wieder auf die Mystik besonnen haben, ist wesentlich sein Verdienst. Man macht ihm bis heute oft den Vorwurf, dass er Christentum und Buddhismus vermischt habe. Das stimmt nicht, denn sein Interesse galt vor allem den Menschen; und es ging ihm auch nicht darum, Recht zu haben.

Ein Weiser urteilt nicht, liest man beim Taoisten Chuang Tzu, und ähnlich steht es in der Bergpredigt. Die metaphysischen und ontologischen Beschreibungen mystischer Erfahrung in den Religionen unterscheiden sich zwar voneinander, aber wie sich ein Mensch verhält, der aus der Quelle mystischer Erfahrung lebt, darüber herrscht weitgehend Einigkeit: Gelassenheit, Heiterkeit, Demut, wache Spontaneität, Hilfsbereitschaft - einfach Qualitäten, die man sich von einem guten Freund oder einer guten Freundin wünscht.

Die Autorin ist Religionswissenschafterin (Schwerpunkt: Buddhismus) und Religionsjournalistin beim ORF-Hörfunk.

BUCHTIPP:

Hugo M. Enomiya-Lassalle

Jesuit und Zen-Lehrer, Brückenbauer zwischen Ost und West Von Ursula Baatz. Verlag Herder, Freiburg 2004. 160 Seiten,TB, e 9,20

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