"Die Enttäuschung wird sehr groß sein"

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Die Wahlsieger in Griechenland haben die Herzen des Volkes gewonnen, aber nicht jenes des obersten Schuldenexperten Österreichs. Bernhard Felderer über Politik, falsche Versprechen und ihren Fluch.

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Die Wahlsieger in Griechenland haben die Herzen des Volkes gewonnen, aber nicht jenes des obersten Schuldenexperten Österreichs. Bernhard Felderer über Politik, falsche Versprechen und ihren Fluch.

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Der Chef des österreichischen Staatsschuldenausschusses hält die Misere Griechenlands nur für sehr schwer lösbar, pocht aber auf die Einhaltung der Spardisziplin und kritisiert die Wahlversprechen des SYRIZA.

Die Furche: Alexis Tsipras und seine SYRIZA haben die Wahlen gewonnen. Und nun gab es die Erwartung auf eine Trendwende in der Krisen- und Austeritätspolitik. Können Sie seine Kritik nachvollziehen angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Griechenland und den prekären sozialen Zuständen?

Bernhard Felderer: Ich bin mir bewusst, dass es nicht leicht ist für Griechenland. Aber Tsipras hat Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können. Man kann nicht sinnvolle Reformen zurückdrehen, die bereits eingeleitet wurden. Diese aufgeblähte griechische Verwaltung soll wieder auf den Stand von vorher gebracht werden? Das wäre doch Wahnsinn.

Die Furche: Konkret geht es um 9.400 Planposten im Staatsdienst.

Felderer: Exakt, die sollen wieder eingestellt werden. Und dann wollen sie einen Schuldenschnitt. Man hegt wohl die Vorstellung, dass die EU sich einfach erpressen lasse, weil Griechenland dabei bleiben soll. Die Griechen haben aber schon ein Geschenk von über 100 Milliarden Euro bekommen. Und das wollen sie jetzt noch einmal wiederholen. Das wird aber so nicht gehen.

Die Furche: 60 Prozent der Kreditgeber Griechenlands kommen aus der Eurozone. Würde ein Ausfall durch einen Staatsbankrott Griechenlands nicht auch diverse Banken sehr hart treffen?

Felderer: Die Erpressungsmöglichkeit Griechenlands gegenüber der EU ist sehr gering geworden. Die griechischen Staatsanleihen, die bei europäischen Banken liegen, sind doch regelmäßig verteilt. Für die Größe der Banken sind die Anleihen nicht existenzgefährdend.

Die Furche: Aber wie soll denn ein Land mit einer Gesamtstaatsverschuldung von 177 Prozent des BIP je saniert werden?

Felderer: Das ist sehr schwer. Es gäbe die Möglichkeit, die Kredite zu strecken, wenn sich die Regierung zu weiteren Reformen entschließen könnte. Das ist vielleicht ein möglicher Weg, den sich Frankreich offenbar vorstellen kann. Und selbstverständlich ist die Einhaltung der bisherigen Zusagen eine Grundvoraussetzung dafür. In Deutschland selbst wird das viel umstrittener sein. Die Wähler akzeptieren diese Art der Politik nicht mehr einfach so. Das heißt, es wird sich fast nichts von den SYRIZA-Versprechungen realisieren lassen. Die Griechen werden noch sehr enttäuscht sein.

Die Furche: Und was könnte Griechenland selbst tun?

Felderer: Griechenland muss die Reformen, die es bereits durchgeführt hat, und die durchaus beachtlich sind, fortsetzen. Das Land benötigt eine öffentliche Verwaltung, die bei Investoren als zuverlässig gilt. Die Investitionen aus dem Ausland sind derzeit gleich null. Hier muss man ansetzen. Aber bei der neuen Regierung müssen Investoren fürchten, dass es zu einer exzessiven Besteuerung ihres Vermögens kommt. Mit dem, was diese Regierung angekündigt hat, schafft man sicher kein Klima für Investoren. Das würde ein Desaster bedeuten.

Die Furche: Aber ist es nicht ein Neuanfang, dass man Oligarchenfamilien aus der Politik vertreibt, die zum Teil für die Missstände verantwortlich sind?

Felderer: Natürlich kann man sie verjagen. Aber sie sind heute die einzigen Investoren in Griechenland. Stimmt, viele von ihnen haben sich dem ineffizienten Steuersystem entziehen können Aber sie haben wenigstens investiert. Nehmen Sie an, diese Leute investieren nicht mehr. Dann wird Griechenland zum Armenhaus.

Die Furche: Aber beraubt man sich nicht eines Marktes von 10 Millionen Menschen, wenn man den Griechen nicht hilft?

Felderer: Die deutschen Exporte nach Griechenland machen aber nur etwa ein Prozent der Gesamtexporte aus. Das heißt, Deutschland würde das überhaupt nicht treffen.

Die Furche: Fragen wir anders: Was hätte Griechenland für ein Potenzial?

Felderer: Griechenland hätte gute Möglichkeiten. Aber wichtig sind stabile Rahmenbedingungen. Wenn es Chancen gibt und man die Unternehmer nicht in ihren Aktivitäten behindert, sondern mit einem wesentlich verbesserten System einfach und fair besteuert, dann gibt es in jedem Land der Welt ein Potential. Auch in Griechenland.

Die Furche: Ist die Sanierungsstrategie von EU und IWF denn nicht falsch gewesen? Hat man Instrumente falsch eingesetzt? Hat man an den falschen Stellen gespart? Hat man in einzelnen Bereichen zu viel gespart?

Felderer: Die Strategie war insofern falsch, als man bei der Gründung der Eurozone einen Vertrag aufgesetzt hat, der nicht vorgesehen hat, dass es auch einen Ausschluss geben kann. Das hätte bedeutet: wenn ein Land die Regeln nicht erfüllt hätte, wäre es automatisch ausgeschlossen worden.

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