Die Fragen des Friedens

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Am 20. November wäre Jean Goss 100 Jahre alt geworden. Ein Mystiker und Vorreiter einer Spiritualität der Gewaltfreiheit. Das Zeugnis dieses Mannes muss in Erinnerung bleiben.

Mag sein, dass hierzulande das unmittelbare Friedensengagement in der Gesellschaft nicht als oberste Priorität gilt. Mag sein, dass bald sieben Jahrzehnte Frieden in weiten Teilen Europas das Thema Friedensarbeit aus dem Blickwinkel rückt. Mag sein, dass die Hochzeiten einer lokalen und auch globalen Friedensbewegung vorbei zu sein scheinen.

Dennoch wird kaum ein Weltbürger - und als solcher gilt jedermann ja längst durch die globale Vernetzung - bestreiten, dass die Erde vom Frieden weit entfernt ist. In derartigem Zusammenhang kommt dem Einsatz für den Frieden aus einer religiösen Perspektive heraus bis heute eine besondere Bedeutung zu. Das war und ist nicht selbstverständlich, denn auch die Religion und die Religionen sind in die weltweite Gewalt- und Kriegsgeschichte verstrickt; in den religionspolitischen Debatten ist es zurzeit der Islam, der unter dem Generalverdacht steht, sein Verhältnis zur Gewalt nicht geklärt zu haben.

Christen haben dem entgegen aber keinerlei Anlass, hochmütig sein, denn eine Abkehr von einer Lehre des gerechten Kriegses ist etwa in der katholischen Kirche erst mit dem II. Vatikanum markant erfolgt (und auch dort nicht vollständig, vgl. das Interview auf Seite 22/23). Umso wichtiger sind die Beispiele von Menschen, die Zeugnis geben können von einer Friedensgesinnung, die sie auf ihren Glauben zurückführen. Jesu und seine Spiritualität der Gewaltlosigkeit ist als Vorbild zwar nicht neu, aber eben dieses droht ohne beständige Vergewisserung desselben verschüttet zu werden.

Kein direkter Weg zur Gewaltlosigkeit

Vor diesem Hintergrund ist an einen Zeugen zu erinnern, der in diesen Wochen 100 Jahre alt geworden wäre: Jean Goss, einen der viel zu wenig bekannten und doch wirkmächtigen "Mystiker“ des gewaltfreien Widerstandes. Seine Frau Hildegard würdigt ihn gemeinsam mit dem belgischen Priester Jo Hanssens in einem biografischen Erinnerungsbuch und hilft auf diese Weise mit, Jean Goss jedenfalls ein wenig aus dem Vergessen treten zu lassen.

Das Ehepaar Jean und Hildegard Goss war im Rahmen des Internationalen Versöhnungsbundes tätig, einer kleinen, aber kraftvollen Friedenbewegung, die Christen rund um die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs zusammengebracht hat und die heute als eine globale Organisation für Gewaltfreiheit mit einem religiösen Hintergrund tätig ist.

Jean Goss’ Weg in diese Spiritualität ist allerdings kein direkter: 1940, als die Deutsche Wehrmacht Frankreich überrennt, ist Goss Unteroffizier in der französischen Armee. In der Schlacht bei Lille kämpft er gegen die Deutschen und hilft dabei, den Rückzug der alliierten Truppen über Dünkirchen nach England zu sichern. Dabei gerät er in deutsche Kriegsgefangenschaft in einem Arbeitslager nahe Schwerin verbringt er den Rest des Kriegs.

Kurz vor der Kriegsgefangenschaft hat er, der dekorierte Soldat, ein mystisches Erlebnis, das ihn vom leidenschaftlichen Soldaten zum leidenschaftlichen Kämpfer für Frieden werden lässt samt der Gewissheit, dies in Nachfolge Jesu aus der Spiritualität der Gewaltlosigkeit heraus zu tun. Zurück in Frankreich 1945 setzt er sich mit Theologen über eine neue Friedenstheologie auseinander und findet diese im Internationalen Versöhnungsbund erfüllt, zunächst in dessen französischer Sektion, aber bald weit darüber hinaus.

Als seine spätere Frau Hildegard in Wien ein Kontaktbüro des Versöhnungsbundes für die Ost-West-Arbeit errichtet, zieht er hierher. 1958 heiraten die beiden und sind fortan gemeinsam in der gewaltlosen Friedensarbeit tätig.

Erste Schritte dabei sind Aktionen bei den - kommunistischen - Weltfestspielen der Jugend 1957 in Moskau und 1959 in Wien, wo sie versuchen, auch mit den Menschen von "drüben“ in Dialog zu treten. Dass Jean und Hildegard Goss dabei verdächtigt werden - es herrscht ja der Kalte Krieg - Agenten oder Handlanger des Ostens zu sein, überrascht. Beim II. Vatikanum gelingt den beiden dann, das Friedenskapitel im Konzilsdokument "Gaudium et spes“ wesentlich zu beeinflussen. Die Konzilserfahrungen fließen auch wesentlich in ihre weiter Arbeit ein.

Als Schwerpunkt kristallisiert sich Lateinamerika heraus, wo in den 60er- und 70er-Jahren viele Befreiungsbewegungen, auf Gewalt setzen; und in einem Land nach dem anderen putschten sich dort die Militärs, meist mithilfe der USA, an die Macht. Die Arbeit von Jean Goss und seiner Frau fokussiert sich gerade in dieser Situation auf den gewaltferien Widerstand, so schwer und so unmöglich dieser auch scheinen mag. Mit ihrer Initiative wird die kontinentale Bewegung "Servicio Paz y Justicia“ gegründet, deren Präsident, der Argentinier Adolfo Perez Esquivel, 1980 mit dem Frediensnobelpreis ausgezeichnet wird. Ein weltweites Zeichen auch und gerade des Wirkens von Jean und Hildegard Goss.

Als spektakulärster Erfolg der Goss’ gilt aber die "Rosenkranzrevolution“ auf den Philippinen, wo die beiden seit 1984 Schulungen zu Gewaltfreiheit organisieren, die zwei Jahre später zur "friedlichen“ Vertreibung des Diktators Ferdinand Marcos führen. Dass dieser Erfolg keine nachhaltige Transformation der philippinischen Gesellschaft zur Folge hat, ist eine der Lehren, die Hildegard Goss-Mayr heute aus den Ereignissen zieht.

Unbändiger Impetus des Glaubens

Nach diesem Engagement wird Jean Goss nach Zentralafrika gerufen, 1990 schult er Gruppen in Zaire, am 3. April 1991, einen Tag bevor er mit Hildegard nach Madagaskar abreisen will, stirbt er in Paris. Seine Frau setzt im südostafrikanischen Inselstaat ihr Engagement fort, auch dort kann der Abgang von Diktator Didier Ratsiraka mit friedlichen Mitteln erreicht werden.

Neben diesen Aktivitäten hat sich Jean Goss auch in Irland, auf dem Balkan, im Libanon, in Bangladesch und Thailand engagiert - nicht ohne auch Enttäuschungen hinznehmen zu müssen. Der Zweite Golfkrieg 1991, als Saddam Hussein Kuwait besetzt und danach die US-Armee in den Irak einmarschiert, ist für ihn ein schmerzhaftes Erleben.

"Man muss“, so zitiert dem entgegen Hildegard Goss-Mayr ihren Mann im Buch, "die Wahrheit aussprechen, das Unrecht anprangern, so wie Jesus es getan hat. Es gibt nur ein Mittel, die Gewissen aufzurütteln, das ist, die Wahrheit auszusprechen und sich zu weigern, am Unrecht mitzuwirken. Dieser Weg ist so mächtig wie die Atombombe. Er kann alle ungerechten Strukturen auf der ganzen Welt verwandeln. Es ist der Weg der Liebe und der Wahrheit Christi.“

Nicht nur an dieses Lebenszeugnis ist zu erinnern, sondern an die Kraft, die von ihm auch heute ausstrahlen kann. Gerade wer die Fragen des Friedens angeht, sollte wissen, dass es so etwas wie eine religiöse Kraft gibt, einen unbändigen Impetus des Glaubens, der einen Menschen wie Jean Goss zu solchem Wirken befähigt hat: "Ich habe die Liebe Gottes entdeckt und ich habe mir gesagt: Das ist es! Und ich bin vorangeschritten, weil ich nicht anders konnte.“

Jean Goss

Mystiker und Zeuge der Gewaltfreiheit

Von Hildegrad Goss-Mayr, Jo Hanssens. Vorwort: Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel. Patmos 2012. 158 Seiten, geb, € 15,40

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