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Die Frau als Folge der Paradiesessünde
In der Synagoge ergriff bislang nur der Mann das Wort. Doch in manchen Gemeinden sind seit kurzem Rabbinerinnen möglich.
In der Synagoge ergriff bislang nur der Mann das Wort. Doch in manchen Gemeinden sind seit kurzem Rabbinerinnen möglich.
Die Rolle der Frau im Judentum ist über fast drei Jahrtausende durch die biblischen Vorgaben bestimmt. Die wesentliche Gleichheit von Mann und Frau wurde schon in der Schöpfungsgeschichte zweifelsfrei festgehalten, ebenso die Spannung zwischen Ideal und Realität. So wird der reale, in der Schöpfungsordnung ursprünglich aber nicht grundgelegte, Status der Frau als Folge der Paradiesessünde mit den Worten beschrieben: „Der Mann wird über dich herrschen." (Gen 3,16)
Die Frau steht daher entweder in der rechtlichen Abhängigkeit von ihrem Vater oder nach der Verehelichung in der ihres Gatten. Eine eigenständige Rechtsfähigkeit kommt konsequenterweise nur der unverheirateten oder verwitweten Frau zu. Im biblischen Scheidungsrecht besteht die Regelung, daß nur der Mann das Recht zur Entlassung der Frau hat, die umgekehrt eine solche von sich aus nicht rechtswirksam fordern kann.
Wie sehr jedoch schon in der Antike gesellschaftliche Gegebenheiten auch die religiösen Normen beeinflußten, zeigt der Umstand, daß im fünften Jahrhundert v. Chr. in der jüdischen Kolonie Elefantine (Ägypten) begüterte Frauen auch selbst den Scheidebrief ausstellen konnten. Auch die Rolle der Frau in der antiken jüdischen Gemeinde entsprach, wie neuere Forschungen gezeigt haben, nicht immer nur dem traditionellen Rollenbild.
Die Hochschätzung, die die Frau als unentbehrliche Helferin des Mannes genoß, fand in der biblischen Weisheitsliteratur ihren Ausdruck: „Eine tüchtige Frau, wer findet sie? Auch geht ihr Wert weit über Korallen. Auf sie vertraut ihr Gatte von Herzen..." (Spr 31,10). Die Weisheitsliteratur enthält jedoch auch kritische Aussprüche über die Frau. Insgesamt ist das biblische Frauenbild als sehr ambivalent zu bezeichnen.
Das Rollenbild in der biblischen wie auch in der späteren rabbinischen Literatur ist deutlich durch den Umstand geprägt, daß diese Werke von Männern verfaßt wurden und insgesamt der antiken patriarchalischen Gesellschaft entstammen.
Im gottesdienstlichen Bereich gelten für die Frau besondere Bestimmungen, die sich dadurch erklären, lassen, daß öffentliches Auftreten grundsätzlich dem Mann vorbehalten ist. Die Frau wird bis heute nicht zur Tora-Lesung in der Synagoge aufgerufen.
Im orthodoxen Judentum wird derzeit versucht, im Rahmen des geltenden Religionsgesetzes modernen soziologischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. So wird etwa die Bar-Mitzwa-Feier der Burschen durch die neue Bat-Mitzwa-Zeremonie für Mädchen ergänzt oder das Wahlrecht der Frauen in den Gemeinden verlangt. Wo die Rolle der Frau als hala-chisch endgültig festgelegt gilt, sind wesentliche Änderungen aber ausgeschlossen.
Die Überlegungen des konservativen und des Reformjudentums knüpfen bei zeitbedingten Aspekten der Tradition an, um Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen und sich die Rückbindung an die Tradition zu bewahren. Als Konsequenz daraus ergeben sich bezüglich der Rolle der Frau im gottesdienstlichen und gesellschaftlichen Raum signifikante Unterschiede zur Orthodoxie. So gibt es in Reformgemeinden und im konservativen Judentum seit einigen Jahren Frauen als Rabbinerinnen.
Ein besonderes Spannungsverhältnis ergibt sich im Staat Israel aus der Diskrepanz zwischen religiösem und säkularisiertem Rollenverständnis der Frau, weil im Rahmen des an sich pluralistischen Staates mit dem Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau die gesellschaftlichen Ansprüche des religiös motivierten Frauenbildes allgemeine Verbindlichkeit haben. Jene Frauen, die sich primär aus nationalen und weniger aus religösen Motiven zum Judentum gehörig fühlen, versuchen einerseits den Einfluß der als diskriminierend empfundenen religionsgesetzlichen Bestimmungen auf andere als die religiösen Lebensbereiche auszuschalten. Andererseits bemüht man sich, die zivilen, in allen Kulturkreisen festzustellenden Benachteiligungen der Frau etwa am Arbeitsplatz oder in der Armee zu überwinden.
Die Ursprünge der neuzeitlichen Frauenbewegung sind sicher keine direkte kulturelle Leistung des Judentums, sondern mußten sich gegen deren religiöse Institutionen erst durchsetzen. Allerdings kann die kultur- und sozialgeschichtliche Wirksamkeit des sich trotz aller religionsgesetzlichen und gesellschaftlichen Verkrustungen behauptenden biblischen Gleichheitsprinzips von Mann und Frau nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Der Autor ist
Professorfür Judaistik an der Universität Wien.
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