Freiheit, so lautet die gewöhnliche Meinung, heißt tun und lassen können, was man will.
Sogleich regt sich moralischer Widerspruch gegen eine schrankenlose Freiheit, die sich um keine Regeln schert.
Nun ist es leicht, Klage über den allgemeinen Verfall der Sitten und moralischen Werte zu führen und gegen den libertinistischen oder hedonistischen Zeitgeist, der nur das persönliche Glücksverlangen oder, noch banaler gesagt, die Lust am Spaß als oberste Maxime kennt.
Dabei enthält gerade dieses vermeintlich so oberflächliche Freiheitsverständnis, das offenbar keinen Unterschied zwischen sittlich gebundener Freiheit und verantwortungsloser Willkür macht, eine tiefere Einsicht in das Wesen der Freiheit, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Freiheit wird üblicherweise als Wahl- und Handlungsfreiheit bestimmt. Wir definieren sie also über den Begriff des Handelns oder der Tat. "Freiheit", so der Philosoph Karl Jaspers, "erweist sich nicht nur meine Einsicht, sondern durch meine Tat." Es entspricht nun aber zutiefst dem biblischen Freiheitsverständnis, dass die wahre Freiheit nicht nur in einem Tun, sondern in einem Lassen beziehungsweise in einem Lassen-Können besteht.
Die vermeintliche Freiheit des Handelnkönnens verkehrt sich unter dem Vorzeichen der Sünde zum Zwang des Handelnmüssens und des Moralismus. Die Freiheitserfahrung des christlichen Glaubens äußert sich dagegen als Befreiung von eben diesem Zwang. Die Freiheit, zu der uns Christus befreit, besteht im Sein-Lassen.
Die Frucht der Glaubensgewissheit ist Gelassenheit. Sie zeigt sich darin, dass ich Gott Gott und den Mitmenschen ihn selbst sein lassen kann. Wer Gott seinen Gott sein lässt, spielt sich nicht länger selbst zum Gott auf, auch nicht Gestalt des moralischen Richters über das Gewissen anderer.
Der Autor ist Professor für Systematische Theologie H.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.