Die Fremden und das Pielachtal

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Auf ein Wort

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Goldene Spätsommertage und blank geputzte Voralpendörfer. Wieder einmal hat das Pielachtal (NÖ) zum "Kardinal König-Gespräch“ geladen. Vor 106 Jahren ist der große Mann der Kirche hier geboren worden. Von der Andreaskirche zwischen Rabenstein und Kirchberg fällt der Blick auf sein Geburtshaus. "Hierher komme ich immer wieder zurück“, hat er gesagt, "denn Glaube und Heimat sollen zusammengehören - nicht nur für mich, sondern für euch alle.“

An diesem August-Wochenende aber reden seine Pielachtaler über das, was diesen Heimatbegriff zu unterwandern scheint: über das Fremde. Genauer: über die Fremden, die Muslime vor allem. Heikel, so knapp vor dem 11. September - zehn Jahre "danach“.

Die Not der Ärmsten

Schon seit Wochen haben sie heftig diskutiert: die "Eingeborenen und die "Zugewanderten“ im Tal: was sie verbindet; was sie trennt, stört und verstört. Jetzt, zum Abschluss, sind zwei Profis gekommen: Ute Bock, die "Mutter Courage“ aller Randgruppen. Und Helmut Schüller, der Priester und Ex-Präsident der Caritas. Sein soziales Engagement hat ihm einst eine Briefbombe von Franz Fuchs eingetragen.

Und siehe da: Ein längst durchgekautes Thema bekommt plötzlich neue Facetten.

Zunächst klagt Ute Bock, die Not der Ärmsten in Österreich sei jetzt "so arg wie noch nie“. Eingekreist von so viel Elend überlege sie manchmal, "ob ich mir zu Mittag eine Wurstsemmel leisten soll oder nicht“. Auch der Umgang zwischen Bürokratie und Asylanten werde zunehmend schlimmer.

Vor allem aber findet sie es unerträglich, der schlichten Mitmenschlichkeit immer Begründungen unterschieben zu müssen. Etwa dass wir "die Fremden ja noch als Krankenschwestern und Altenpfleger brauchen könnten, damit sie uns den Hintern putzen“.

Schüller wiederum hält die Abwertung von Wirtschaftsflüchtlingen für menschenverachtend: "Keiner geht gerne von zu Hause weg“, sagt er, "aber jeder Verzweifelte träumt davon, dass es zumindest den Kindern einmal besser geht.“ Im übrigen sei Ausländerfeindlichkeit oft nur ein Phantomschmerz für Frust und Wut ganz anderer Art; vor allem in Beruf und Familie, auch Politik. Viele Österreicher hätten einen enormen Bedarf, Ärger loszulassen.

Säkulare Verbitterung

Und noch etwas sagt er: Hinter der Islamophobie verstecke sich viel säkulare Verbitterung über eine Rückkehr von Religion durch die Hintertür - wo doch Transzendenz längst als überwunden galt. Den kürzesten Weg zum "Fremden“ aber weise gerade die Religion, behauptet Schüller: "Wenn jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist, dann haben wir Christen gar keine andere Möglichkeit, als überall dort unangenehm aufzufallen, wo die Gesellschaft versucht, an der gottgegebenen Würde eines Menschen herumzufummeln.“

Es wäre nicht das Pielachtal, würde am Ende nicht der unvergessene Kardinal vor den Vorhang geholt: "Von Mensch zu Mensch ist es oft weiter und schwieriger als von der Erde zum Mond“, hat er einmal gesagt. Und hat sein langes Leben dazu genützt, um zu dieser Mondfahrt zum Nächsten zu ermutigen. Auch zum Fremden.

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