"Die Friedenstrommel schlagen“

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Ein christlicher und ein muslimischer Geistlicher kämpfen in ihrem Heimatland Nigeria für Aussöhnung und interreligiösen Dialog. Die FURCHE traf die beiden in Wien zum Gespräch.

Mit ihren traditionellen afrikanischen, wallenden weißen Gewändern passen die beiden nicht recht ins westliche Großstadtmilieu. Wenn sie durch die Hotellobby gehen, sieht man ihrem ausholenden ruhigen Schritt an, dass sie gewohnt sind, weite Strecken zu Fuß zu gehen. Die beiden - der Imam Muhammad Nurayn Ashafa und der Pastor James Movel Wuye - sind Gründer und Co-Direktoren einer der wichtigsten afrikanischen Friedensinitiativen und waren auf Einladung des KAICIID-Dialogue-Center in Wien. "In Nigeria ist die Balance zwischen den Religionen sehr heikel“, sagt Pastor James Movel Wuye. In Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas, kommt es seit Jahren immer wieder zu blutigen Konflikten zwischen Muslimen und Christen. Von den rund 175 Millionen Einwohnern sind ca. 50 Prozent Muslime, 40 Prozent Christen, und zehn Prozent folgen traditionellen Religionen. Vor allem der Norden Nigerias, wo die Mehrheit muslimisch ist und eine große christliche Minderheit lebt, ist betroffen. Allein seit Beginn dieses Jahres sind in Nordnigeria mehrere hundert Menschen bei Angriffen der Terrorgruppe Boko Haram getötet worden.

Politisierung von Religion

Die Stadt Kaduna, in der Imam Ashafa und Pastor Wuye das "Interfaith Mediation Center“ gegründet haben, liegt in dieser Region. Gründe für die andauernden Kämpfe gibt es viele, zählt Imam Ashafa auf: "Da ist erstens die politische Instabilität unseres Landes. Zweitens ist ein wesentlicher Grund der hohe Grad an Unwissenheit. Drittens ist es die Armut, vor allem im Nordosten Nigerias, wo diese Konflikte stattfinden. Hier leben die Ärmsten unseres Landes, diejenigen, die am wenigsten Schulbildung haben, und es gibt eine enorme Jugendarbeitslosigkeit. Dazu kommt der Missbrauch von Religion durch die Politik. Die Politisierung von Religion ist der verbindende Faktor für die Ursachen der Aufstände im Nordwesten Nigerias.“

Beide wissen, wovon sie reden. Als in Nordnigeria in den 1990er-Jahren Kämpfe ausbrachen, führten Pastor Wuye und Imam Ashafa bewaffnete Gruppen an, um ihre Glaubensgenossen zu schützen. In diesen Kämpfen kamen der spirituelle Lehrer und zwei Familienmitglieder von Imam Ashafa ums Leben. "Wir waren Feinde, aber jetzt sind wir Freunde“, sagt Pastor Wuye lakonisch und hebt seine Handprothese. "Das ist eine Hand aus Plastik, ich habe sie im Kampf verloren. Ich kenne den Schmerz, wenn man jemanden oder etwas verliert.“ Durch Zufall trafen die beiden einander und erkannten die Sinnlosigkeit der Kämpfe. So begannen sie 1995 mit ihrer Friedensinitiative, für die sie mittlerweile eine ganze Reihe prestigeträchtiger internationaler Auszeichnungen erhalten haben. "Es war nicht so, dass ein Christ einen Moslem zur Konversion bewegen oder ein Moslem einen Christen bekehren wollte. Bei den meisten interreligiösen Initiativen laden z. B. Hindus, Katholiken oder Anglikaner zum Dialog ein. Unser Dialog entstand ganz von selbst.“

Nigeria braucht nicht nur einen interreligiösen Dialog, sondern auch einen intrareligiösen Dialog, betonen beide. Neben Katholiken, Anglikanern und der nichtkonfessionellen Dachorganisation Christian Association of Nigeria gibt es eine ganze Reihe weiterer Kirchen. Einig sind sie sich nur, wenn es gegen die Muslime geht. Auf der muslimischen Seite dominiert der traditionelle Sufismus, doch vor allem jüngere Leute engagieren sich bei schiitischen Gruppen oder den radikalen orthodox-sunnitischen Salafisten, aus denen sich die Boko Haram (wörtlich "westliche Bildung ist Sünde“) rekrutieren. Nigeria gehört laut Religionsmonitor zu den religiösesten Ländern der Welt. "Wenn man in Nigeria Religion benützt, dann hat man Anhänger, und diese jungen Leute manipulieren die Religion, entsprechend den Zielen, die Politiker vorgeben. Viele dieser Politiker kennt man, doch man erwischt sie nicht mit Blut an den Händen und kann sie deswegen nicht verfolgen.“

Pastor Wuye und Imam Ashafa möchten "sich selbst vervielfältigen“ und möglichst viele religiöse Führer in interreligiösem Dialog ausbilden. Zurzeit suchen sie nach einer Finanzierung für dieses Ausbildungszentrum.

Es geht um menschenwürdiges Zusammenleben, sagt Pastor Wuye. "Ich sollte meine Kinder lehren, andere Religionen und andere christliche Konfessionen zu achten. Ich sollte selbst mit meinem Leben ein Beispiel geben.“ Wenn Christus "Friedenskönig“ genannt wird und das Wort "Islam“ Frieden bedeutet, sollten doch die Anhänger der beiden Religionen sich um Frieden bemühen, sagen die beiden Kleriker.

"Die an der Peripherie“

Muhammad Nurayn Ashafa entstammt einer konservativen muslimischen Familie, die westlichen Werten und dem Christentum misstraute. Als ältester Sohn wurde er - wie seit 13 Generationen üblich - Imam. Heute sieht er die Ähnlichkeiten von Islam und Christentum - beide erwarten eine Endzeit, die einen warten auf die Wiederkunft Christi, die anderen auf die Ankunft des Mahdi, des "Rechtgeleiteten“. Für viele scheint die Endzeit heute angebrochen, meint Imam Ashafa, weil "sich Nation gegen Nation erhebt und überall von Krieg die Rede ist. Doch es gibt auch in dieser Zeit Initiativen für den Frieden von Menschen, die Wahrheit und Reinheit lieben - Reinheit der Handlungen, Heiligkeit der Taten und Mitgefühl in ihrem Herzen. Dies sind jene, die mit Christus bei seiner Wiederkunft vereint werden, oder mit dem Mahdi bei dessen Wiederkunft. Trotz aller Herausforderungen der Gewalt in den Zentren gibt es große Gruppen von nigerianischen Christen und Muslimen, die an den Frieden glauben und miteinander in Schulen, in Spitälern, auf den Marktplätzen zusammenarbeiten und einen Friedensprozess ermöglichen. Wir nennen sie ‚die an der Peripherie, die an den Rändern‘, die wir dazu bewegen, ihre Stimme zu erheben. Sie sind die schweigende Mehrheit. Mit ihnen arbeiten wir, um ein neues Paradigma zu entwickeln. Die Welt soll wissen, dass es mehr friedliebende Nigerianer als zornige und blutdürstige gibt.“

Schlüsselrolle der Frauen

Nigeria ist ein junges Land - das Durchschnittsalter ist 18 Jahre, mehr als 60 Prozent sind unter 24. In Camps lernen Jugendliche die Menschenrechte und Wege der Friedensstiftung durch religiöse Werte und durch die Ordnung der Gesetze kennen. Ein zweiter Schwerpunkt: "Die Arbeit mit Frauen ist der effektivste Weg, um Gewalt zu beenden“, sagt Wuye, "denn es sind ihre Männer und Kinder, die getötet werden.“ Da reichen oft ganz einfache Mittel. Wenn beispielsweise muslimische und christliche Frauen gemeinsam eine von der Friedensinitiative gestiftete Mühle benützen, um aus Erdnüssen ihrer eigenen Felder Öl zu pressen, dann schafft das Vertrauen. Internationale Dialogtreffen sind gut, aber besser wäre Unterstützung für weltweit bestehende lokale Dialog- und Friedensinitiativen, sagt Imam Ashafa. "Es muss eine gemeinsame Friedenserklärung geben, von Katholiken, Protestanten, Juden - die Kinder Abrahams gemeinsam mit den anderen Religionen müssen nach innen schauen und statt der Kriegstrommel die Trommel des Friedens schlagen.“

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