Die gefallen(d)e Apostolin

Werbung
Werbung
Werbung

Zunächst Erstzeugin der Auferstehung, dann nur mehr schöne, verführerische Gefallene, von Gott begnadigt. Die Literatur prägte Maria Magdalenas Schicksal mit. Heute erinnert sie an ihre eigentliche Bedeutung.

W ie konnte das passieren? Im Johannes-Evangelium noch die Erstzeugin der Auferstehung, wurde sie sogar "Apostolin der Apostel" genannt, im Laufe der Geschichte geriet aber ihre ursprüngliche herausragende Bedeutung in Vergessenheit, blieb von ihr nur - auf vielen Bildern zu bewundern - das schöne, verführerische, barbusige Weib.

Feministische Theologinnen des 20. Jahrhunderts versuchten, die diversen Projektionen deutlich zu machen, die Maria Magdalena in Kultur- und Kirchengeschichte erfahren hatte, indem sie die verschiedenen biblischen Traditionen wieder trennten. Mehrere Erzählungen von Frauen um Jesus, so das Ergebnis, verschmolzen ineinander und ergaben jenes Bild, das Magdalena seither nicht mehr abschütteln konnte. Im Lukasevangelium wird die Heilung Marias von bösen Geistern erzählt. Ihre Heilung führt zur Berufung, sie schließt sich der Jüngergruppe an und nimmt sogar eine führende Rolle ein, was sich vor allem auch daran zeigt, dass sie an den entscheidensten Stellen (unter dem Kreuz und bei der Auferstehung) genannt wird. In der Episode vor der Erwähnung der Berufung wird von einer Sünderin erzählt, die Jesus die Füße salbt. Im Laufe der Zeit wurden die bösen Geister mit sexueller Sünde gleichgesetzt und aus den beiden Frauen - der Sünderin und der Berufenen - entstand die eine Maria Magdalena, zusammen mit der Salbenden aus den Salbungsgeschichten von Johannes und Markus. Die Erstzeugin verschwand also hinter den anderen männlichen Zeugen - so wie die Frauen ihre wichtigen Rollen in der Kirche verloren. Maria Magdalenas Geschichte kann somit auch als Geschichte der Frauen in der Kirche gesehen werden.

Sünderin in Gnade

Die Rollenzuschreibung wurde durchaus auch von der Literatur vorgenommen. In Biografien, seit dem 11. Jahrhundert sehr beliebt, diente Maria Magdalenas Leben als Beispiel dafür, dass auch wer noch so tief gesunken war, auf Gottes Gnade hoffen durfte. In der Kunst des Barocks tauchte Magdalena als Büßerin auf. Im 19. Jahrhundert stand Magdalena für das Thema "Verführung der Frau" (etwa in den Dramen von Friedrich Hebbel, Ludwig Thoma und Franz Xaver Kroetz) und konnte so auch zur Schutzpatronin "gefallener" Mädchen werden (über danach benannte "Magdalenen-Heime" läuft derzeit im Kino der Film "Die umbarmherzigen Schwestern", Die Furche berichtete in Nr 15., S. 16). Der Aspekt der Begnadigung verschwand immer mehr, Maria Magdalena, die Beauftragte, spielte bald keine Rolle mehr.

Auch jene unzähligen Jesusroman-Varianten des 20. Jahrhunderts, nach denen Madgalena die Geliebte Jesu gewesen sein soll, wie etwa von Nikos Kazantzakis oder José Saramago, dienten nicht gerade einem Aufbrechen der gängigen Klischees. Angeregt durch die feministisch-theologischen Forschungen versuchten Literatinnen (tatsächlich meist Frauen) des ausgehenden 20. Jahrhunderts, Magdalenas (und der Frauen) Reputation und Bedeutung zu retten. Vor allem im englischen und französischen Sprachraum entstanden einige Prosatexte über Magdalena mit feministischem Interesse, die literarisch allerdings weniger interessant waren. Im deutschsprachigen Raum erregte 1983 vor allem Luise Rinsers Roman "Mirjam" Aufsehen, dessen Erfolg auf den neuen Perspektiven (vor allem dem Bekenntnis zu Jesus und seinem Pazifismus und der gemäßigten Form eines theologischen Feminismus), aber sicher nicht auf der literarischen Qualität beruhte, die zurecht als biblizistisch und klischeehaft kritisiert wurde. Interessant und prägend für weitere Werke war aber allemal die Darstellung Jesu Leben und Wirken aus der Sicht Mirjams, einer gebildeten Frau, die die Rolle der Ehefrau ablehnt und gegen die gesellschaftlich vorgegebene Situation rebelliert, was ihr später als Sünde angedichtet wird. Die Schwierigkeit, biblische Themen literarisch hochwertig in die heutige Zeit zu übersetzen und ihnen ein neues, innovatives und sprachlich und ästhetisch überzeugendes Gewand zu geben, begegnet auch in "Maria Magdalena", dem Roman der schwedischen Autorin Marianne Fredriksson. Maria Magdalena soll für die Apostel ihre Erfahrungen mit Jesus aufschreiben und erzählt rückblickend u. a. von ihrem Aufenthalt im Bordell in Tiberia und ihrer Begleitung Jesu bis zu seinem Tod. Sprachlich und inhaltlich jedoch bleibt Fredrikssons literarischer Versuch banal. Vielleicht ist es leichter, von der ursprünglichen biblischen Vorlage weit genug wegzurücken, um sich bestimmten Themen aus der Distanz zu nähern, wie es etwa die österreichische Schriftstellerin Lilian Faschinger tat, die 1995 ungleich provokanter an die gesamte Magdalena-Tradition heranging. Die Hauptfigur ihres Romans "Magdalena Sünderin", Magdalena Leitner, entführt aus der Pfingstsonntagsmesse heraus einen Priester, fesselt ihn an einen Baumstamm und knebelt ihn. Schon nach den ersten Sätzen wird klar: Sie will eine Beichte ablegen.

Liebeshungrige Mörderin

Wenn ihr früher jemand zugehört hätte, hätte sie nicht zur Mörderin ihrer Männer werden müssen. Was Magdalena nun über 300 Seiten lang erzählt, ist ein Liebesreigen mit siebenfach tödlichem Ausgang. Sie weigert sich, die den Frauen zugeschriebenen Rollen zu spielen: die Ausgesaugte und Entkräftete, die verständnisvolle Mutter und stets bereite Ehefrau. Die Rolle Magdalenas von der Sünderin zur reuigen Büßerin wird auf den Kopf gestellt, indem Magdalena von der Unschuldigen zur Mörderin wird. Die Morde sind somit auch als Ablehnung der geschichtlichen MagdalenenVorstellungen zu lesen.

Faschinger hat in ihrem Roman - einem Rundumschlag gegen Kunstsinnige und Psychologen, karitative Organisationen und vor allem die katholische Kirche - eine Unzahl von traditionellen Magdalenenbilder eingearbeitet: die Büßerin, die Salbende, die damenhafte und die verführerische Schönheit, die Predigerin - vor allem aber die Liebende.

Magdalena am Grab

Über den Umweg des Protests gegen die überlieferten Traditionen und ihren impliziten Verurteilungen kann man schließlich wieder dort landen, wo der ursprüngliche Ausgangspunkt war. Weniger in historisierender Form, die nie die gelungenste Variante literarischer Umgestaltung biblischer Texte war, sondern als Neuformulierungen bestimmter Momente, wie etwa der "Magdalenensekunde", jenes Moments, in dem die Gerufene ihren Herrn wiedererkennt und so beide neu geboren werden. Ein Thema, das den in Los Angeles lebenden deutschen Autor Patrick Roth umtreibt und das auch zu seinem jüngsten Text "Magdalena am Grab" geführt hat. Historisierung braucht er keine, seine Magdalenen-Szene spielt sich am Mulholland Drive in Hollywood ab.

Die Literatur hat wieder zurückgefunden zur ursprünglichen Bedeutung der Magdalena.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung