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Die Gemeinde und ihre Struktur

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Somit stellt sich vordringlich die Aufgabe einer realistischen und exakten Bestandsaufnahme der Situation der katholischen Kirche in Österreich, und diese Aufgabe ist vielleicht die schwierigste jener postkonziliaren Arbeit, welche die Ergebnisse des Konzils pastoral fruchtbar machen will. Selbst die Feststellung, daß von ihr schließlich der Erfolg dieser vielfältigen und mühevollen Arbeit in den vielen Kommissionen abhängt, dürfte nicht zu weit gehen. Denn sowohl die innere Struktur der Kirche als auch die pastorale Sorge um das Heil dieses gesellschaftlich verfaßten Volkes Gottes hängt von ihr ab.

Es besteht zum Beispiel kein Zweifel, daß die Kirche das Volk Gottes ist, die lebendige Gemeinschaft derer, die an Christus glauben, also die Gemeinde Jesu Christi. Das ist eine pastoraltheologisch fraglos gültige Aussage. Aber mit ihr ist durchaus noch nicht die ebenso bewegende Frage nach der gesellschaftlichen Verfaßtheit dieser theologisch konzipierten Gemeinde in unserer Zeit und Gesellschaft gelöst. Der Pastoraltheologe vermag von sich aus kaum mit letzter Gültigkeit die Fragen zu beantworten, ob es in der Kirche unserer Gesellschaft wesentlich sekundäre Strukturelemente geben muß, die ihr eine Ähnlichkeit mit den großen Institutionen unserer Gesellschaft, wie Gewerkschaft, politischer Gemeinde oder dem Staat, verleihen, oder ob sie im Prinzip ein überschaubares, primäres Sozialgebilde sein muß, oder ob sie — wegen des tödlichen Effektes beider Extreme — immer in einer belebenden Spannung zwischen Institution und lebendigen Kleingruppen (Gemeinden) in oder neben ihr leben muß, mit anderen Worten, ob unsere Kirche heute Volkskirche (nicht Staatskirche), Verbandskirche oder Bruderschaftskirche verschiedener Größenordnung sein soll. Diese Fragen lassen sich nicht allein von der Pastoraltheorie her beantworten. Ihre gültige Beantwortung hängt auch davon ab, wie die tatsächliche religiöse Situation der 89 Prozent katholisch Getauften von allen Österreichern aussieht, in welchen sozialen Gegebenheiten sie ihre Religiosität im vollen Sinn leben, und auch davon, zu welcher Gestalt religiösen Vollzuges sie überhaupt fähig sind.

Es kann auch, um ein anderes Beispiel zu nennen, für die Erstellung eines effektiven pastoralen Konzepts nicht belanglos sein, wie „gläubig“ und „kirchlich“ unsere Katholiken sind, welche Kräfte die Menschen formen, denen die Heilssorge des kirchlichen Amtes gilt; von welchen regionalen, sozialen, sozialökologischen und individuellen Faktoren Ihre religiöse Situation mitgeformt ist; welchen Hemmnissen die Religiosität und Kirchlichkeit ausgesetzt ist; welches die Ursachen dafür sind, daß einzelne Lebensalter und viele Männer beim sonntäglichen Gottesdienst nicht regelmäßig zugegen sind; ob diese Abwesenheit — etwa noch verbunden mit einer sehr uneinheitlichen reflexen Glaubenssituation — bedeutet, daß dieser Mensch, genau besehen, nicht mehr zur Kirche gehört und er einem „lebendigen Vollchristen“ zu gelten habe „wie ein Heide oder Zöllner“; oder ob auch ein solcher getaufter Katholik noch jenes Ausmaß an Gläubigkeit und Kirchlichkeit besitzt, das ihn zwar nicht zu einem „Kernkatholiken“ macht, dem aber gerade deshalb erst recht die Heilssorge der Kirche gelten muß, nicht, um aus ihm überhaupt erst ein Glied der Kirche, sondern um aus ihm ein besseres Glied am Leibe jener sichtbaren Kirche zu machen, der er auf Grund seiner Taufe angehört und die er durch eine nicht zu übersehende Zahl echter Zustimmungshandlungen „wortlos“ bejaht.

Schon der bloße Hinweis auf solche grundlegende Probleme zeigt, daß mit einer verläßlichen Diagnose zur religiösen Situation der Kirche (in Österreich), die sich nicht bloß mit allgemein soziologischen Aussagen über die Industriegesellschaft wie ihre Mobilität, ihren säkularen

oder ihren pluralistischen Charakter begnügen kann, jedes Modell der gesellschaftlichen Struktur der Kirche und ihrer pastoralen Heilssorge steht und fällt. Diese klare Erkenntnis war auch bei der Einrichtung der vorbereitenden Kommissionen in den einzelnen Diözesen und auch bei der Errichtung der postkonziliaren Studienkommission zugegen, weil ihnen allen ein „Situationsarbeitskreis“ vorangestellt wurde und weil darüber hinaus auch alle Teilkommissionen ein gutes Stück ihrer Arbeit auf die empirische Situationsanalyse ihrer jeweiligen speziellen Teilgebiete verwenden.

Der „Situationsarbeitskreis“ der postkonziliaren Studienkommission hat nun das Institut für kirchliche Sozialforschung (IKS) ersucht, soziologische Ergebnisse zu sammeln, die in den letzten Jahren in Österreich erhoben wurden und für die pastorale Neubesinnung der Kirche in Österreich von Bedeutung sind. Das IKS kann dafür schon allein dadurch einen wesentlichen Beitrag leisten, daß sich in der Zeit seiner Tätigkeit ein Berg ergiebigen Materials zur religiösen Praxis aufgehäuft hat. Hauptsächlich zum Meßbesuch liegen relativ geschlossene Analysen vor, die nicht nur über das Ausmaß des Meßbesuches, sondern auch über seinen Zusammenhang mit verschiedenen regionalen und sozialen Faktoren Aussagen enthalten. Zur Verfügung stehen weiter Veröffentlichungen und Arbeiten aus dem soziologischen Institut von Professor Rosenmayr über die Jugend und die alternden Menschen, außerdem das umfangreiche Material einer erst teilweise in Innsbrucker Dissertationen veröffentlichten Untersuchung von Prof. Schasching in österreichischen Großbetrieben der Schwer-und Textilindustrie hinsichtlich des religiösen Verhaltens der Industriearbeiter.

Es würde zu weit führen, an dieser Stelle detaillierte Ergebnisse vorzulegen. Doch soll wenigstens kurz angedeutet werden, welche Schwerpunkte 'bei der Aufarbeitung der vorliegenden Daten, angezielt wurden. Das vorhandene Material, das keineswegs alle Bereiche der Religiosität, der Gläubigkeit und der Kirchlichkeit erfaßt, wurde bisher vor allem hinsichtlich der Zustimmung zur Institution Kirche und zu Glaubenswahrheiten befragt. In the-senhafter Form wurden empirisch erhärtete Aussagen gemacht über die konfessionelle Struktur Österreichs und ihren Wandel. Es folgen Thesen über eine Reihe von Handlungen, die eine — wie auch immer geartete, empirisch jedoch klar gegebene — Zustimmung zur Institution Kirche beinhalten: über den Meßbesuch, die Taufe von Kindern, die Zustimmung der Eltern zur religiösen Erziehung des schulpflichtigen Kindes im Religionsunterricht; damit zusammenhängend über die Erstkommunion und die Firmung dieser Kinder; weiter über die kirchliche Trauung, die Beerdigung, über den Meßbesuch an hohen Feiertagen, die Erfüllung der Osterpflicht oder auch über die klaglose Begleichung des KirchenbeitEa-ges. Eine andere Reihe -von Thesen bezieht Sich auf die Zustimmung zu Glaubenswahrheiten, wie Glaube an ein höheres Wesen, an die Gottes-sohnschaft Jesu Christi, an das Weiterleben nach dein Tod, an die Weltschöpfung oder die Glaubwürdigkeit der Bibel. Ein nicht unwichtiger Teü der Thesen befaßt sich schließlich damit, inwieweit soziale, regionale, sozialökologische und individuelle Merkmale das Ausmaß dieser Zustimmungshandlungen mitformen, wie also etwa der Meßbesuch und andere Formen religiösen Verhaltens bei den verschiedenen Altersgruppen, bei Männern und Frauen, bei den einzelnen Berufsarten oder auch in den je verschiedenen sozialökologischen Regionen, wie Industriestadt oder landwirtschaftliche Gemeinde, aussehen.

Die Arbeit des Instituts für kirchliche Sozialforschung zielt allerdings nicht auf eine bloße Wiederholung schon anderswo veröffentlichter Daten ab. Das ist zu einem guten Teil in der religionssoziologischen Studie von Prof. Bodzenta über „Die Katholiken in Österreich“ geschehen. Als Ziel schwebt uns so etwas wie ein Modell der religiösen Situation der Kirche in Österreich vor Augen, das der Wirklichkeit abgelesen ist und so eine verläßliche Grundlage für ein realistisches Modell der gesellschaftlichen Struktur der Kirche und der institutionellen Gestaltung ihrer Heilssorge bietet. Die diesbezüglichen Arbeiten sind im Gange und lassen interessante Ergebnisse erwarten. Ein weiterer Beitrag soll darüber Bericht geben.

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