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Karen Armstrongs Ideengeschichte des Fundamentalismus liefert - obwohl von der Aktualität überholt - bestechende Einblicke zum Thema Religion und Gewalt.

K eine Frage, die Weltereignisse haben im letzten Jahrzehnt die Religion wieder ins Spiel gebracht, und die Auseinandersetzungen um die Frage nach Religion und Gewalt nimmt seit den Anschlägen des 11. September auch im politisch-philosophischen Diskurs einen immer breiteren Raum ein. Dabei herrscht bei der historischen Aufarbeitung - nach Jahren, in denen Religion bei der Analyse politischer Vorgänge kaum eine Rolle spielte - Nachholbedarf. Wenig verwunderlich, dass "Im Kampf für Gott", die brillante Fundamentalismus-Analyse der britischen Religionswissenschafterin Karen Armstrong, im angelsächsischen Raum ein Bestseller war.

Mit großen Strichen malt Armstrong die Geschichte des Fundamentalismus in Judentum, Christentum und Islam und kommt zum Schluss, dass dieses Phänomen in allen drei Monotheismen zu finden ist, und dass es sich um ein Phänomen der Moderne handelt, kurz: Fundamentalismus - ob jüdisch, christlich oder islamisch - ist eine Reaktion auf die als Bedrohung empfundene säkulare Gesellschaft.

Packend entwickelt dies Armstrong von 1492 aus, jenem Jahr, in dem geleichzeitig die Juden aus Spanien vertrieben wurden, die letzte muslimische Bastion auf der iberischen Halbinsel fiel und Kolumbus seine Fahrt nach Indien antrat, die in Amerika endete. 1492 als Beginn der Geschichte des Fundamentalismus ist ein willkürlich gesetztes Datum, aber es macht Sinn, von hier aus die Religionsentwicklungen nachzuzeichnen. Armstrong geht exemplarisch einigen Vorgängen nach: Im Fall des Judentums von der Ansiedlung jüdischer Kabbalisten in Palästina in Folge der Vertreibung 1492 bis zum heutigen Staat Israel, in dem Ultrareligiöse mehr und mehr die Politik beeinflussen; beim Islam die Geschichte zweier Länder - des sunnitischen Ägypten und des schiitischen Iran -, beim Christentum schließlich die Entwicklung des Fundamentalismus in den USA.

Die von Armstrong aufgezeigten Zusammenhänge eines jahrhundertelangen Auseinanderdriftens der westlich-aufgeklärten Moderne mit ihrer Rationalität und Wissenschaftsgläubigkeit und der Verlierern dieser Entwicklung bestechen: Die mittelalterliche Einheit von Mythos und Logos, von mythischer und rationaler Wirklichkeit zerbricht; dagegen entstehen in allen drei Religionen Bewegungen, die aus den religiösen Überlieferungen selektiv ein einfaches Weltbild zimmern, das in der unübersichtlichen Welt wieder Klarheit schafft. Die Beispiele sind historisch und geografisch sehr unterschiedlich, aber die Grundmuster ähneln einander frappant. Kolonialisierung, kulturelle Entwurzelung, soziale und wirtschaftliche Marginalisierung haben religiöse Folgen: Armstrong macht das 20. Jahrhundert als Zeitalter des Fundamentalismus aus, wobei sie um 1980 die Entwicklung am Höhepunkt sieht: In den USA ist da die religiöse Rechte als "Moral Majority" stark wie nie zuvor, in Ägypten erreicht der Islamismus mit der Ermordung von Anwar Sadat 1981, im Iran mit der Islamischen Revolution 1979 einen Gipfelpunkt, und in Israel spielen die ultrareligiösen Parteien die Rolle des Züngleins an der Waage.

Dann stellt Armstrong die Frage nach der Niederlage des Fundamentalismus - und glaubt Anzeichen dafür im Wahlsieg von Präsident Khatami im Iran und in der Ära Clinton in den USA auszumachen: Hier zeigt sich aber die Grenze dieser Ideengeschichte: "Im Kampf für Gott" ist 2000 erschienen, also noch bevor rund um George W. Bush die religiöse Rechte in den USA neu erstarkt. Natürlich kann das Buch dann auch nicht auf den 11. September 2001 eingehen, der die weltweite Lage zum Thema Religion und Gewalt grundlegend veränderte, und auch Hoffnungspflänzchen wie im Iran welken wieder, jedenfalls scheinen dort wieder die islamische Hardliner am Ruder.

Sonderbar, dass die deutsche Übersetzung von Karen Armstrongs wichtigem Buch erst vier Jahre nach der Originalausgabe erscheint. Noch sonderbarer, dass nirgendwo im Buch - und sei es durch ein neues Schlusskapitel - auf die globalen Verwerfungen seit 2000 Bezug genommen wird. Denn die Analyse Armstrongs könnte auf die gegenwärtige Weltlage hin fortgeschrieben werden: Es spricht für die Arbeit der Religionswissenschafterin, dass auch die heutigen Entwicklungen auf der Grundlage ihres Buches bestechend interpretiert werden können. Trotzdem die Aktualität das Buch überholt hat, ist seine Lektüre aber nachdrücklich zu empfehlen: Die Grundlagen dieser Aktualität sind zur Zeit kaum so klar argumentiert (und gut lesbar) zu finden wie hier.

IM KAMPF FÜR GOTT. Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam

Von Karen Armstrong. Siedler Verlag, München 2004. 608 S., geb. Euro 28,80

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