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Die Heilige „unserer“ Zeit

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Therese von Llsleux. Geschichte einer Sendung. Von Hans Urs von Balthasar. Hegner-Bücherei, Summa-Verlag, Ölten. 344 Seiten.

Ungeachtet einer fast einzigartigen Verehrung der Heiligen von Lisieux bereitet die Erforschung ihrer besonderen Sendung Schwierigkeiten, die nur unter bestimmten Voraussetzungen überwunden werden können. Daß die Heilige eine ausgesprochen lehrhafte Sendung empfangen habe, hat Pius XI. selbst bestätigt. Diese wäre also von der Heiligkeit, die an sich schon Sendung ist, abzuheben. Hans Urs von Balthasar unterscheidet „gewöhnliche“ von „repräsentativer“ Heiligkeit: die erste soll der Christ innerhalb der Kirche und Gemeinde verwirklichen) in der zweiten hebt Gott einen einzelnen zum Besten der Kirche als besonderes Beispiel hervor. Aber es gibt Sendungen, „die wie Blitze vom Himmel herab in die Kirche geschleudert werden“, und Sendungen, „die aus dem Schoß der Kirche und der Gemeinde ... emporwachsen“. Theresens Sendung ist der ersten Art. Insofern kann von der Sendung freilich nur gesagt werden, daß sie gegeben und empfangen wurde; sie hat eigentlich keine „Geschichte“. Theresens Sendung nun ist, dies ist die These der Untersuchung, eine theologische, sogar das „einzige ganz evidente Beispiel einer theologischen Sendung im 19. Jahrhundert“ neben dem Pfarrer von Ars; sie liegt im Tun, im Leben der Wahrheit. „Wahrheit ist das Grundwort ihres Lebens, und dadurch rückt dieses unter das Zeichen der Theologie.“ Und zwar geht es um „Wahrheit als Zeugnis der ganzen Existenz bis in ihre heimlichsten Fasern für das Licht Gottes . Therese hat uns das besondere Beispiel einer theologischen Existenz gegeben, die ja die Aufgabe eines jeden Christen ist, insofern er Christus nachlebt, der Identität von Wort und Leben. Das einzige Werk Theresens ist ihr Leben; sie hat nur dieses zu geben, nur dieses zu vollenden, von der Gnade vollenden zu lassen; darum legt sie ihr Leben selbst aus. Hierauf beruht das „psychologische Mißverständnis“, das die Sendung so häufig verdeckte, verschleierte — zu schweigen von anderen Verirrungen der Theresienverehrung, die bereits hinreichend kritisiert worden sind.

Hans Urs von Balthasar strebt nach der Wiedervereinigung von Theologie und Heiligkeit. Er überwindet die psychologisierende Darstellung, indem er ganz Ernst macht mit der Tatsache, daß Therese von Lisieux zum Ordensstand erwählt war und in ihm ihre Sendung gelebt hat; die Heilige hat sogar einen „ignatianischen“ Zug, der sich darin ausprägt, „daß ihre ganze Existenz innerhalb der Klammer der Wahl Gottes steht“. Der Ordensstand beginnt mit dem Auszug aus Jer Familie; er ist ein „Stand außerhalb aller weltliohen und soziologischen Rahmen und Gesetze, ein Stand auf Gott allein“. Er bedeutet eine Umprägung der Seele; nur vom Stand her und der Erwählung zu ihm kann man die Heilige verstehen: „wer Therese am Ideal eines ,standeslosen' Christen überhaupt mißt, verkennt... Berufung wie Sendung“. Die uns befremdenden Züge sind im wesentlichen schon Standesmerkmale, Vorbestimmtheit zur „heiligen Regel“ und deren Ausprägung. Die Regel aber bedeutet „Enge, die letzte Weite bezweckt, Abstraktheit, die die Durchblutung des konkretesten Augenblicks möchte, Absterben des Herzens, das auf seine höchste Verlebendigung zielt“.

Aus dieser eigentümlichen Antithese, aus Distanzierung und Nähe, Indifferenz und Personalität, die gleichzeitig zu ihrem Rechte kommen, gewinnt das Buch eine eigentümliche Kraft, die in das religiöse Leben des Lesers einströmen muß: Theresens Vermächtnis, das Beispiel ihrer theologischen Existenz, rührt uns an, möchte uns einfordern; es wird uns keine Ruhe mehr lassen. Die eigentliche Absicht des Buches aber geht weiter; es hat, bei aller Sorgfalt der Ausarbeitung und Nachweise, das Gepräge eines Entwurfes: eine — mindestens für Deutschland — neue Art der Erforschung und Darstellung des Heiligenlebens wird deutlich. Und zwar wird versucht, zu zeigen, wie der Blitz eine Existenz entzündet-, dagegen treten die Geschichte der Wirkung ebenso wie die Vorgeschichte, das Zeitgeschichtliche überhaupt zurück: Probleme der Lebensgeschichte, der Kraukheit, selbst theologische Fragen, wie das Verhältnis zum Bösen, bleiben offen; gewisse Verhängnisse der Seelenführung, die eine Art „vorzeitiger Heiligkeit“ zur Folge hatten, werden nur behandelt, insoferne eine Bedrohung der Sendung von ihnen ausgehen konnte. Eigentlich geht es nur um das Rementsprungene, das was am Heiligen „vollkommen ist. Daß dieses Absolute sich in der Erscheinung verhüllt und gleichwohl strahlend darstellt: das macht die große Schwierigkeit aus, die hier überwunden wurde.

Damit scheint uns die entworfene Methode gerechtfertigt; es könnte für das religiöse Leben von sehr großer Bedeutung sein, wenn der Verfasser diese Methode für weitere, vielleicht noch schwierigere Aufgaben einsetzte. Gegen den Anschein ist das theologische — nicht das psychologische — Verständnis der Heiligen das Lebensnächste, handelt es sich doch für sie — wie für uns — einzig darum, daß das Wort Wahrheit wird im persönlichen Leben.

Dr. Reinhold Schneider

Geschichte einer Seele. Von Theresia vom Kinde Jesu. Übertragung von Adrienne von S p e y r. Geleitwort von Hans Urs von Balthasar. Johannes-Verlag, Einsiedeln. In Österreich ausgeliefert durch Verlag Herold, Wien. 336 Seiten. Preis S 36.—.

Es gibt wenige Werke, die das Signum der „Unvergänglichkeit für sich in Anspruch nehmen können. Begreiflich: denn jede Zeit hat ihre Worte, ihren Geschmack, ihre Ideen, ihre Sorgen, Ihre Diskussionen. Und nur selten wird es einem Buch gelingen, über alle Zeiten hinaus allen Generationen endgültiges für ihre Zeit zu sagen. Eine These, die — abgesehen natürlich von der Heiligen Schrift, den Vätern, den Summen des hl. Thomas usw. — auch für die religiöse Literatur gilt. Nur wenige von den Tausenden von Andachtsbüchern, Betrachtungen, Bekenntnissen, Anleitungen haben ihre Zeit überdauert und sich durch Jahrhunderte ihre Bedeutung bewahrt. Die „Nachfolge Christi“ des Thomas von Kempen, die bis heute nichts von ihrer Beliebtheit eingebüßt hat, gehört darunter. Ähnlich, wenn auch in weit geringerem Maß, die „Philothea“ des hl. Franz von Sales. Unvergänglich im wahrsten Sinn des Wortes die „Bekenntnisse“ des hl. Augustinus, die allen Generationen ewig neu sein werden.

Ähnliches gilt von einem religiösen Buch unserer Tage. Es sind die „Bekenntnisse“ der heiligen Karmeliterin Theresia vom Kinde Jesu, welche am 30. September 1897 im Kar-mel von Lisieux im Alter von 24 Jahren starb, „Bekenntnisse“, die nach ihrem Tode unter dem Titel „Geschichte einer Seele“ von ihrem Kloster herausgegeben wurden.

Oft wurde behauptet, unsere Zeit kenne keine Heiligen mehr, die das Format der Heiligen früherer Zeiten erreichen. Ein nur zu unwahrer Satz. Denn in der kleinen heiligen Karmeliterin wurde der Welt eine Heilige geschenkt, die in ihrer Bedeutung nur noch vom hl. Franz von Assisi übertroffen wird. Ähnlich wie dieser, gehört sie zu den wenigen Menschen, die keine, aber auch schon gar keine Gegner hat. Ähnlich wie der hl. Franz genießt sie eine Verehrung, die weit den Rahmen der katholischen Kirche, ja des Christentums überhaupt, sprengt. Ähnlich wie der Poverello lehrt sie für alle Armen, Kleinen Schwachen, für alle „Nullen“ (wobei zu bemerken wäre, daß wir doch alle Arme,

Schwache und „Nullen sind) den „kleinen Weg“ zur Heiligkeit. Und durch diese Großtat hat nicht nur sie, sondern auch ihr Werk Bedeutung für alle Zeiten.

Was sie aber' bisher, besonders im deutschen Sprachraum, so zeitgebunden erscheinen ließ, war die Form der Ausgabe ihres Werkes. Enthielt das französische Originalwerk wenigstens noch die schöne Sprache der Verfasserin, so war dieser Eindruck teilweise verwischt, wenn nicht zumindestens schwer beeinträchtigt durch die überaus kitschige Ausstattung des Buches; besonders die Bilder waren religiöser Kitsch, wie ihn nur unsere Zeit hervorbringen kann. Die deutsche Ausgabe hatte als weiteren Nachteil eine Ubersetzung, die diese in die Nähe der Bilder rückte, also ebenfalls kitschig wirkte.

Hier Wandel geschaffen zu haben ist das große Verdienst der Übersetzung, welche Adrieirne von Speyr herausgibt. Diese berühmte Schweizer Schriftstellerin, deren Betrachtungsbücher Aufsehen erregten, stammt aus Neuchätel, also jener Stadt, die angeblich das schönste Französisch spricht. Ihre Kenntnis beider Sprachen einerseits, der Mystik andererseits ließen eine Übersetzung entstehen, die der Heiligen gerecht wird. Der Verlag tat sein übriges, indem er die bisher üblichen Bilder wegließ.

Endlich tritt aus diesen Zeilen die Heilige in ihrer ganzen Schönheit, in ihrem Charme, in ihrer Herbheit, ihrer Stärke, ihrer Begnadung vor uns und zeigt uns den „kleinen Weg“, der jedem etwas zu sagen hat, dem Kind, dem Priester, dem Ordensmann, dem Intellektuellen, dem einfachen Menschen. Nicht nur unserer Zeit, sondern wohl auch allen kommenden. Ein unvergängliches Buch.

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