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Die Heimkehr der „Gottgläubigen“

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Von besonderer Tragik ist der Zusammenbruch des Nationalsozialismus für die sogenannten Gottgläubigen, die noch immer in großer Zahl in ihre frühere kirchlidie Gemeinschaft zurückkehren. Die Rückkehr ist keine bloße Konjunkturerscheinung, wie man zunächst urteilen könnte. Wer wirklich in echt religiöser Art in der Gottgläubigkeit eine neue deutsche Religion im Sinne Rosenbergs sah, meldet sich heute wohl kaum schon zur Rückkehr, und wenn, so darf man mißtrauisch sein. Die andern aber wollen einfach auch geistig wieder daheim sein, in den altgewohnten Verhältnissen des religiösen Lebens, entweder im frohen Gefühl, hierin wieder frei zu sein, oder restlos enttäuscht von dem, was ihnen so groß vorgezaubert worden war.

Trotzdem kommen sie alle aus einer geistigen Welt, die uns heute schon unwirklich, traumhaft vorkommt, weil sie derzeit nur mehr in den Schriften und Berichten für die Gottgläubigen und im „Mythus“ Rosenbergs fortlebt, die jedoch einst wirklich war. Es entspricht aber sicher den Tatsachen, wenn die Rückkehrenden meist angeben, daß sie die betreffenden Schriften nie gelesen haben und im Grunde ihres Herzens eigentlich immer Christen geblieben seien. Sind sie also den Konfessionslosen gleichzusetzen, die keinem bestimmten christlichen Bekenntnis angehören wollten, aber oft, wie Professor Pfliegler in seinem Buch „Vor der Entscheidung“ erwähnt, daheim' eine ganz zerlesene Bibel hatten oder viel beteten? Oder waren sie wirklich glaubenslos, wie bei uns seit Dezember 1945 die amtliche Bezeichnung lautet? Sie haben sich seinerzeit gegen die Bezeichnung „konfessionslos“ gewehrt und sie würden sich ebenso gegen die Bezeichnung

„glaubenslos“ gewehrt haben und dies mit Recht.

Ihr Glaube wie ihr Bekenntnis war klar umrissen, allerdings vor der Öffentlichkeit während des Krieges klug zurückgehalten, aber, wie neulich in den Nürnberger Verhandlungen wieder aufgedeckt wurdi, dazu bestimmt, nach dem Endsieg feierlich verkündet zu werden. Der Glaube beruhte auf der Vorstellung, daß Gott die in der Natur, im Menschen und in den Völkern wirkende Kraft sei. “Wo diese Kraft besonders spürbar wird, dort offenbare sich Gott. In der ungeheuren Kraftentfaltung des deutschen Volkes, vor allem zuletzt durch Hitler, sei die herrlichste Offenbawing Gottes zu sehen; durch sie werde das deutsche Volk zum auserwählten Volk, zum „Herrenvolk“ und Hitler sei in ihm der Gesandte Gottes, wie Mohammed für die Mohammedaner und noch mehr als Christus für die Christen, weil die Offenbarung Gottes durch Hitler viel kraftvoller und darum herrlicher geschehe.

Diese Glaubensüberzeugung war keine bloße Schwärmerei, sondern mit einer bestimmten Haltung verbunden, die uns nur allzu gut bekannt ist, weil sie nicht bloß von den „Gottgläubigen“ gefordert wurde. Denn aus der Wertung des deutschen Volkes als herrlichste göttliche Offenbarung ergab sich, daß alles, was sich der Machtentfaltung dieses Volkes entgegenstellte oder hinderlich im Wege stand, des Lebensrechtes nicht würdig war.

Die Erinnerung daran ist notwendig, um klar den vollendeten Gegensatz zu Christus zu sehen, der keine Macht entfalten, nicht herrschen, sondern dienen wollte, der dem Haß unter den Menschen die Liebe als Hauptgebot entgegenstellte, der selbst das bescheidenste Lebensrecht, den „glimmenden Docht“, nicht verlöschte, der sogar mit dem Einsatz von Ehre und Leben für die Wahrheit Zeugnis gab und dies auch von den Jüngern erwartete.

Wir Christen glauben, daß in Christus Gott Mensch geworden ist, daß sich in ihm die göttliche Liebe, die göttliche Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit offenbarte, in einem handelnden Menschen schauen ließ. Ähnlich glaubten die „Gottgläubigen“, als die geistige Kerngruppe der Partei, daß sich durch Hitler die göttliche Kraft im deutschen Volk offenbarte und sich unwiderstehlich, wo nötig durch Haß und Gewalt, Wissen und List in der Welt durchsetzen muß. So entstand Glaube gegen Glaube und das christliche Handeln gegen das entgegengesetzte Handeln. Es gibt genug Anzeichen, daß sich Hitler als Gegenpol zu Christus fühlte und wie er auf einem Nürnberger Parteitag erklärte, mit seiner Bewegung ein neues Zeitalter beginnen wollte, das an die Stelle des christlichen tritt.

Leider erschwert unser Glaubensbegriff das Erfassen dieser Sachlage. Wir können uns einen Glauben ohne Glaubenssätze, ohne Dogmen, schwer vorstellen. Für die Gottgläubigen waren aber Dogmen ausdrücklich abgelehnt. Dies findet man einheitlich in allen ihren Schriften, vom „Mythus“ angefangen, Stärkstens betont. Dies zu wissen ist zum Verstehen der heimkehrenden Gottgläubigen besonders wichtig. Bei ihnen standen nie Glaubenssätze in unserem Sinn in Frage. Weder sind sie wegen eines Glaubenssatzes aus der Kirche ausgetreten, noch macht es ihnen Schwierigkeiten, jetzt einfach zum alten Schulwissen über die Glaubenslehren wieder zurückzukehren. Einen Unterricht halten sie meist im voraus nicht für notwendig. Der Glaube, der ihnen dazwischen alles überdeckt hatte, ist ohnehin in nichts zergangen, samt allem, was er gefordert hatte. Daß sie dem zugestimmt hatten, kann ihnen nach der Meinung mancher nicht so sehr angerechnet werden, weil es genug Christen gibt, die auch lieber herrschen als dienen wollen, die auch um eines Vorteiles willen über die Rechte anderer hinweggehen und unangenehmen, gefährlichen Wahrheiten irgendwie „ausweichen“.

Wer die Dinge so überdenkt, der sieht durch die heimkehrenden Gottgläubigen den Seelsorger, die Kirche vor eine noch nie erlebte Aufgabe gestellt. Sollen sie wie Gestrandete, wie im Hochgebirge Verirrte, einfach wieder in ihr Heimathaus geführt werden? Oder sollen sie vorerst büßen als Schuldige, die zu den Geistesjüngern des „Antichrist“ gehörten? Genügt es, oder ist es überhaupt möglich, daß sie nach der Aufnahme auf dieselbe Art „Christen“ sind, wie sie es vdr dem Austritt waren? Es ist sicher unmöglich, daß die Zwischenzeit in ihrer geistigen Art keine Spuren hinterlassen hätte und die einstigen Mitchristen sind auch nicht mehr dieselben. Eines ist gewiß: ihr Austritt aus der christlichen Gemeinschaft war nur möglich, weil sie Christus nicht in seiner ganzen göttlichenGrößegekannthaben als einen Menschen, in dem wir Gott selbst sehen, in seinem Wollen und Handeln erkennen können. Sie ertrugen es, daß eine ungeheure Glaubenskraft einem Menschen zugewendet wurde, der in seiner Haltung im vollendeten Gegensatz zu Christus stand. Dieses Erlebnis muß bei vielen und gerade bei den tiefer Veranlagten zur Folge haben, daß sie später, nach dem Erlöschen des Heimwehs, als Christen nur befriedigt sein werden, wenn sie sich von einer ebenso starken Glaubenskraft zu Christus hingezogen fühlen.

Diesen starken Glauben an Christus in ihnen zu erwecken, das ist sicher die größte Aufgabe, die dem Seelsorger jetzt an ihnen zufällt. Es ist aber eine Aufgabe, die sich nicht durch die bisher übliche Lehrweise, nämlich durch die Vermittlung verstandesmäßig entwickelter, systematisch geordneter Lehrsätze über Christus lösen läßt, sondern durch Lenkung der Aufmerksamkeit auf Christus als göttlich Handelnden, im Gegensatz zum Handeln der Menschen, einzeln wie in Gemeinschaft. Einerseits muß er das aus Urzeiten vererbte menschliche Verhalten in seinen tragischen Folgen mit all seinen Rettungsversuchen klar schauen lassen, andererseits dann Christus, wie er mit unbeirrbarer wahrhaft göttlicher Sicherheit und Kraft gegen den Widerstand eines ganzen Volkes das göttliche Wollen verwirklichte. So als Handelnder steht in der Bibel sowohl die Menschheit vor uns als auch Christus, und nur wenn Christus als Handelnder gesehen und verstanden wird, erweckt er staunende Bewunderung und zunehmenden Glauben an sein göttliches Wesen.'Bloß als Gegenstand einer systematischen Sammlung von Lehrsätzen würde er den früheren Gottgläubigen im Leben bald wieder wenig bedeuten, wie allen jenen, die Christus vorwiegend nur aus dem Katechismus kennen oder aus einem Dogmatiklehrbuch.

Die • Heimkehr der Gottgläubigen darf darum keineswegs als Abschluß eines religiösen Zwischenspieles angesehen werden; sie weist vielmehr uns Christen und vor allem die Priester auf eine neue (und vielleicht zugleich die älteste) Art, Christus zu verkünden, auf die wir alle noch zu wenig vorbereitet sind, obwohl schon seit Jahrzehnten die geistige Entwicklung darauf hindrängte: als den Menschen, der zugleich Gott ist und als Gott handelt, so das Leben der Menschen ordnet und zu einem wahren Leben gestaltet.

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