Die Helden und Gegenhelden am Nil

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Geht es nach rohen Zahlen, dann hat Ägypten vergangenen Woche 25 Prozent seines Unternehmertalents im Microchip-Design verloren. "Im ganzen Land gab es nur vier Leute, die das konnten. Seit Assem El-Gamal vergangene Woche im Chaos der Demonstrationen getötet wurde, gibt es nur mehr drei.“ So schreibt ein Freund online in einem Nachruf und zollt El-Gamal Tribut - als Freund und Ägypter, denn so ein "Kaliber wie ihn werden wir in 15 Jahren nicht finden“.

El-Gamal ist eines von Hunderten Opfern, und doch bedeutend. Mit dem Ziel, den am 3. Juli gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi wiedereingesetzt zu sehen, das Militär zu unterstützen oder gegen die Haftentlassung des ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak ein Zeichen zu setzen, gehen Ägypter wie El-Gamal auf die Straße - und begeben sich in Gefahr, so wie auch jene, die auf der Gegenseite demonstrieren.

Der aktuell mächtigste Mann am Nil heißt Abdel Fattah al-Sisi: General und ägyptischer Verteidigungsminister. Unter Mubarak fungierte er als Chef des Militärgeheimdienstes, jetzt erteilt er dem Militär - der stärksten Macht des Landes - die Befehle. Unter ihm wurde Muslimbruder Mursi abgesetzt. Um ihn ist ein Personenkult entstanden, seine Fans singen ihm Popsongs. Wie eine ägyptische Version Vladimir Putins lässt er sich bei "Heldentaten“ abfotografieren, so beim Anführen seiner Truppen in einem Marathonlauf. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Tantawi tritt er im Fernsehen auf und gibt Interviews. Wie Israel Radio berichtet, hat ihn der israelische Botschafter Yaakov Amitai in Kairo gar als "Nationalhelden“ ausgerufen - als jenen "aller Juden in Israel und auf der ganzen Welt“. Es gilt als wahrscheinlich, dass Abdel Fattah al-Sisi bei den nächsten Präsidentschaftswahlen antritt. Und doch erachten einer Studie zufolge die eigenen Landsleute al-Sisi als schuldig. Das Massaker bei der gewaltsamen Räumung der Protestlager vergangene Woche forderte hunderte Tote: 73 Prozent der Ägypter halten al-Sisi dafür verantwortlich, während nur 19 Prozent die Muslimbruderschaft verantworten.

Bei "humanem Verbrechen“ getötet

Noch dazu sieht mit 79 Prozent die überwiegende Mehrheit der Ägypter das Massaker als humanes Verbrechen. Das ergibt eine Studie des ägyptischen Zentrums für Medienstudien und öffentliche Meinung, für die 3678 Ägypter befragt wurden.

Die Gewaltschiene al-Sisis vertreten auch nicht alle Regierungsmitglieder. Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei galt als Hoffnungsträger des Westens, als er am 14. Juli Vizepräsident wurde. Zwar hat er Anfang Juli die Militärführung unterstützt, vergangene Woche aber setzte er ein Zeichen und trat zurück: Die Protestlager der Islamisten hätten nicht mit Gewalt geräumt werden müssen. Landesintern erntete er Spott - und eine Anklage. Weil er mit seinem Rücktritt das in ihn gesetzte "Vertrauen verraten“ habe, muss er sich nun vor Gericht verantworten.

Mittlerweile soll er sich in Österreich befinden. Zu den Hardlinern der anderen Seite zählen Muslimbrüder wie ihr geistlicher Führer Mohammed Badie. Die Muslimbruderschaft spielt schon sein ganzes Leben lang eine wichtige Rolle.

Viele Ägypter sahen ihn und das restliche Führungskomitee der Bruderschaft als eigentliche Herrscher, während Mursi als ihr Vertreter Präsident war. Sich jetzt pro Mursi zu äußern, hat Konsequenzen. Badie wurde verhaftet - wie beinahe die gesamte Führungsriege. Auch Islambuli Badir wurde festgenommen: Er hat ein Parfum verkauft, das nach dem abgesetzten Präsidenten Mursi benannt war. Dabei war es "nur ein Werbegag“.

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