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Die Herde hat diesmal die Hirten getragen

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Die Anliegen des „Kirchen-volks-Begehrens” genügen dem Caritas-Chef als Ziele der Kirche nicht. Er hält aber ihre Erfüllung in der Zukunft für „absolut nicht unrealistisch”.

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Die Anliegen des „Kirchen-volks-Begehrens” genügen dem Caritas-Chef als Ziele der Kirche nicht. Er hält aber ihre Erfüllung in der Zukunft für „absolut nicht unrealistisch”.

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DIEFURCHE: Wie wird es nach dem „Kirchenvolks-Begehren” in der Kirche weitergehen? Ist es realistisch, in den nächsten Jahrzehnten eine Erfüllung der hier vorgebrachten Wünsche zu erwarten?

•Helmut Schüller: Ich halte es für absolut nicht unrealistisch. Warum soll sich nicht auch in der Kirche manches ruckartig ändern? Das hat es in der Kirchengeschichte öfter gegeben. Ich bin nur etwas ungeduldig, wenn das schon unser Ziel ist. Denn die Wahrheit ist, daß das die Kirche nicht retten wird, denn ihre eigentlich Gesundheit kommt davon, daß sie sich, ihrem Stifter ähnlich, hineinwirft für den Menschen in dieser Gesellschaft und dabei eigentlich wie von selbst die geistlichen Quellen, die sie hat, auszuschöpfen beginnt und dabei ihre Lebendigkeit von dort bekommt. Sie wird sie von der Hingabe bekommen, nicht von der internen Architektur.

Ich halte es für legitim, Fragen zu artikulieren, auch dazu Unterschriften zu sammeln, ich glaube da gibt es verschiedenste Formen. In der Erzdiözese Wien haben wir dazu ein Diö-zesanforum veranstaltet, und die größten Teile des Volksbegehrens sind dort in Behelfsform im Pastoralamt käuflich erwerbbar. Immerhin hat die Erzdiözese Wien alle Kirchen-beitragszahler von sich gefragt, was sie überhaupt für Sorgen haben, das ist umfassender als das Kirchenvolksbegehren jemals war. Der Bücklauf war nicht aufregend, aber doch. Das heißt die Erhebungsgeschichte liegt am Tisch.

Ich warne davor - es verstehen mich dabei nicht alle, das weiß ich — aber ich warne davor zu glauben, daß man hier einfach so wie eine Art kirchliche Bedürfnispyramide vorgehen und sagen könnte: Zuerst müssen wir uns intern alles so herrichten, daß alle dazu ja sagen können, und dann wirken wir nach außen. Ich glaube nicht, daß das das Gesetz des Lebens ist. Wenn wir uns wirklich unserer gesellschaftlichen Herausforderung stellen, das Evangelium mit Wort und Tat zu verkünden, dann wird uns der Heilige Geist künftig zur Verfügung stehen für eine Lebendigkeit, die wir

uns davon erhoffen. Dann wird es auch garantiert die richtigen Bischöfe zur richtigen Kirche geben. Dieser Aspekt „0 hätten wir doch nur da toben ganz andere oder solche”, das könnte leicht auch iu kosmetischen Zufriedenheiten führen, daß die Umfragewerte besser sind und daß einige Journalisten in einigen Leitmedien etwas freundlicher über uns schreiben. Das würde für mich noch kein Kirchengefühl sein, gemocht, geliebt

und geduldet zu sein. Es gibt einige Beispiele, wo wir uns gar keine Beliebtheit einhandeln können, sondern zunächst einmal Unbeliebtheit.

DIEFURCHE: Das wichtigste, das sich die Kirche einhandeln muß, ist ihre Glaubwürdigkeit; die schien doch in den letzten Wochen angekratzt... schüller: Das ist ein Grundproblem der Kirche überhaupt, daß sie die schärfste aller Meßlatten gegen sich gerichtet hat und selbst jenen Kritikmaßstab mit sich herumträgt an dem jeder jederzeit sagen kann, dem genügt sie überhaupt nicht. Andere Bewegungen haben das überhaupt nicht. Die verändern ihre Skala, ihren Maßstab alle paar Parteitage und Schluß. Wir haben ein glasklares Evangelium, das uns zu allem verpflichtet, was wirklich edelst und bestens ist im Sinn des Menschen, und deshalb haben viele das Glaubwürdigkeitsproblem schon immer mit uns gehabt. Ich bin einer, der in Korrespondenz mit hunderten Menschen steht, und es gibt welche, die uns tagtäglich alles möglich vorwerfen, was sie teilweise tatsächlich, teilweise eingebildet vorfinden. Ich glaube, daß die offene Sprache über unsere Schwächen, über das, was wir zuwege

bringen, wahrscheinlich auch eine Konsequenz aus den Turbulenzen sein könnte, aber auch mehr Nüchternheit, daß wir uns nicht falsche Schonungen erhoffen, oder gewünschte Schonungen.

Wir werden nicht mehr geschont, wir werden eiskalt gemessen. Das ist uns vielleicht bis vor kurzem nicht so ganz klar gewesen, aber so ist es. Wir sollten nicht anstreben, ein Beservat zu werden, sondern wir haben uns in diesem Markt der Meinungen und der Weltanschauungen zu behaupten, neben, mit, im Konflikt mit anderen.

Eines muß ich schon dazu sagen, die Kerngemeinden haben sich in diesen Monaten fabelhaft geschlagen, denn die haben in Wahrheit ihre Hirten getragen. Während auf der Ebene der Geistlichen und Bischöfe Konfusion und Ratlosigkeit oft lange Strecken beherrscht hat, hat man erlebt, wie sich das Rild umkehrt und wie die Herde die Hirten trägt. Das soll vielleicht die Hirten auch bescheidener machen. Da können die Hirten sehr froh sein, daß so viele Leute sich als so zäh und frustrationstolerant erwiesen haben.

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