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Die „Hetze“ und die Rede des Papstes

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Verstehen Sie, bitte, von hier aus sowohl die Rede des Papstes zur Eröffnung dieser Konzilsphase wie das etwas unheimliche Tempo der bisherigen Verhandlungen. „Glauben Sie nicht, daß wir dieses Tempo durchhalten werden“, sagte am Samstag der Erzbischof Heenanvon Westminster in einer Pressekonferenz. „Es galt aber, solange wir noch frisch sind, an den entscheidenden Punkt heranzukommen, auf den der Papst nicht umsonst hingewiesen hat.“ So hat sich die sonderbare Umkehrung ergeben, daß im Augenblick die Abstimmungen weit wichtiger sind als die Debatten im Konzil! Weil wichtiger, auch spannender und erregender. Viele Journalisten bemerken das kaum. Aber ein Blick auf die Tabelle der Abstimmungen könnte sie belehren. Zum ersten Kapitel des Kirchenschemas, „Das Geheimnis der Kirche“, gab es nur eine Abstimmung, zum zweiten, „Volk Gottes“, fünf.

Über das dritte Kapitel jedoch gibt es im ganzen gleich 40 Abstimmungen (39 über einzelne Abschnitte, eine letzte über das ganze Kapitel). Wundern Sie sich nicht, wenn nun auf einmal die erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht erreicht werden wird. Das wird kein schlechtes Zeichen sein, denn die Einwände kommen von rechts und links. So können aus den 40 Abstimmungen noch viel mehr werden. Vermutlich werden auch weitere Relationen, das heißt „Erklärungen“, vor den Abstimmungen notwendig sein. Der Papst — so sagt man — fiebert. Er findet keinen Schlaf mehr. Bischöfe bedrängen ihn, das dritte Kapitel überhaupt fallen zu lassen. Doch das will er unter keinen Umständen, so qualvoll diese ganze Prozedur für ihn auch sein mag. Warum eigentlich? Nun, die einseitige Behandlung des Primates im ersten Vatikanum, deren Ausgleich ja damals schon geplant war, aber infolge äußerer Gewalt nicht mehr erfolgen konnte, hat manche schwerwiegende und nachteilige Folgen gezeitigt. Der Graben zu den anderen Christen ist dadurch vertieft und erweitert worden. Ich sage das nicht von den Definitionen dieses Konzils als solchen! Wohl aber von ihrer Isolierung! Es haben sich tiefe Furchen in die Lehrbücher eingegraben, die erst die neuesten Forschungen einzuebnen sich bemühen. Sollen nicht dauernde Schäden sich einfressen, dann muß jetzt das Gleichgewicht wieder hergestellt werden. Es ist höchste Zeit. Ich glaube, es würde genügen, wenigstens das, was die Vorlage jetzt schon enthält, festzulegen, den Rest freizugeben. „Ganz unvermeidlich würden sich die theologischen Lehrbücher daraufhin in die Richtung der oben als dritte Ansicht gezeichneten Lehre entwickeln“, sagte mir heute ein Theologe. Er hat damit wohl recht; aber dieses Minimum muß erreicht werden.

Das Kapitel über die Eschatologie

Geringfügig scheinen daneben die beiden bisher mit Siebenmeilenstiefeln durcheilten Kapitel 7 und 8 des Kirchenschemas. (Vielleicht werden sie in der endgültigen Fassung die Kapitel 6 und 7 bilden, denn noch besteht keine volle Einheit darüber, ob man wirklich „Heiligkeit“ und „Ordensleben“ — wie es der Text jetzt vorsieht — als zwei getrennte Kapitel bestehen lassen will.)

Ich möchte zugeben, daß beide Kapitel keine Meisterwerke darstellen und gegenüber den anderen abfallen. Das siebente Kapitel — sein voller Titel lautet: „Über den eschatologischen Charakter unserer Berufung und unsere Einheit mit der himmlischen Kirche“ — ist mühsam zusammengenäht aus Paragraphen, die im alten Kirchenschema an ganz anderen Stellen standen. Im ersten Kapitel gab es einen Abschnitt, der überschrieben war: „Von der pilgernden Kirche“. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß die Gestalt der Kirche hier auf Erden keine endgültige ist, sondern am Ende dieser Weltzeit „aufgehoben“ wird in die Gestalt der himmlischen Kirche. Daraus verbietet sich „ein falscher Trium- phalismus im diesseitigen Erscheinungsbild der Kirche wie auch eine falsche Gleichsetzung der Kirche mit dem erhöhten Christus oder eine verabsolutierende Überbetonung der äußeren Dinge im Leben der Kirche“, wie Prof. Semmelroth sehr gut in einer Konferenz bemerkt hat. Der Abschnitt war sehr passend gerade vor der Frage nach den Ämtern in der Kirche angebracht, die ja am meisten der Gefahr des Triumpha- lismus ausgesetzt sind und doch in der himmlischen Kirche „aufgehoben“ werden. Jetzt, als Kapitel sieben, wirkt es etwas verloren. Man sieht den inneren Zusammenhang mit dem unmittelbaren Gegenstand der Konstitution nicht recht.

Das Marienkapitel

Es bleibt ein Wort zu sagen über das Marienkapitel. Ich habe es enttäuschend genannt, weil es eigentlich auch nicht hält, was es verspricht. Kardinal Bea hat darauf hingewiesen, daß er offen gestehen müsse, er habe erwartet, daß das ganze Kapitel direkt und ausdrücklich über Maria in ihrer Beziehung zur Kirche handeln werde. Die Vorlage aber greife dieses Thema erst nach fünf Spalten (das ganze Kapitel hat zehn) auf. „Gewiß“, meinte der Kardinal, „die Aussagen des ersten Teils sind keineswegs überflüssig, aber sie hätten in Hinsicht auf die Eigenart dieses Kapitels gestaltet werden müssen“ (welches den Abschluß des Kirchenschemas bildet!).

Man fragt sich, wie so etwas geschehen konnte. Die Antwort kann nicht sein, daß man flüchtig gearbeitet habe. Ganz im Gegenteil, das vorliegende Kapitel ist der fünfte Versuch! Er stellt das vorläufige Ende eines langen Tauziehens dar! Man könnte — wollte man Namen nennen — sagen: ein Kompromiß zwischen dem Franziskanerpater Balic (Leiter des Mariologischen Institutes in Rom) und Prof. Lauren- tin. Aber einzelne Namen sagen hier wenig. Es geht um viel mehr. Eigentlich treffen sich hier zwei Wellen religiösen Lebens, die Kardinal Frings als die beiden charakteristischen Merkmale der katholischen Welt in den letzten 50 Jahren bezeichnet hat. Die eine Welle oder Strömung ist uns wohlbekannt; es ist das neuerwachte Kirchenbewußtsein. Man hat deshalb vom „Zeitalter der Kirche“ gesprochen. Das Konzil legt beredtes Zeugnis von dieser Strömung ab. Die andere Welle ist vorwiegend in südlichen Ländern beheimatet; es ist die ma- rianische. Sie hat ohne Zweifel in den letzten Jahrzehnten große und glückliche Fortschritte gemacht, indem sie nicht mehr bloß darauf bedacht war, immer neue Ehrentitel auf Maria zu häufen, sondern sich bestrebte, sie in das Ganze der Theologie hineinzustellen. Trotzdem, beide Bewegungen liefen nebeneinander her. Kardinal Frings hat vor Konzilsbeginn in seiner Genua- Rede (1962) bereits darauf hingewiesen, daß sich die beiden Wellen miteinander verschmelzen sollten, und er dachte sich das so, daß die Marienfrömmigkeit und -lehre in die Kirchentheologie integriert werden.

Grundsätzlich hat sich dieser Plan mit dem Beschluß, über Maria im Schlußkapitel über die Kirche zu handeln, verwirklicht. Die mariani- sche Strömung jedoch möchte nicht, wie es hier notwendig wäre, den Ton darauf legen, daß Maria in ihrer Geschöpflichkeit Christus, dem Erlöser, gegenübersteht, sondern vielmehr darauf, daß sie Christus zur Seite und den Christen gegenübersteht. H. M. Köster nannte das auf dem marianischen Kongreß in Lourdes (1958) die ekklesiotypische und die christotypische Perspektive der Mariologie. Im Schema stehen beide als erster und zweiter Teil einander gegenüber. Der Wunsch von Kardinal Frings ist also nicht ganz erfüllt.

In der Diskussion suchen beide Seiten, ihre Sicht stärker zur Geltung zu bringen. Daher einerseits die Einwände gegen den im Text zwar nicht empfohlenen, aber erwähnten Ehrentitel .„Vermittlerin“, anderseits die Klagen, daß der Titel „Maria, Mutter der Kirche“ nicht mehr in der Vorlage steht. Ich will gar nicht in Abrede stellen, daß Kardinal Wyszynski mit seiner Aufforderung, sogar ein neues Dogma „Mutter der Kirche“ zu proklamieren, ebenfalls die beiden Ströme zu verbinden suchte. Aber die Perspektive ist hier eine christotypische, das heißt, Maria steht deutlich den Christen gegenüber.

Wenn ich so herumhöre, was die Theologen meinen, dann vermute ich, daß sich keine der beiden Richtungen durchsetzen wird. An beiden ist nämlich etwas Richtiges. Zwar besucht dieser Tage Kardinal Bea eine große Versammlung südamerikanischer Bischöfe, um rein von der Heiligen Schrift her eine biblische Marienfrömmigkeit darzulegen. Dabei wird er gewiß wie in seiner Konzilsintervention sich dafür aussprechen, den Titel „Mittlerin“ fallen zu lassen und statt „Mutter der Kirche“ lieber „Mutter aller Gläubigen“ zu sagen. Ob das aber genügen wird? Mir kommt vor, der Rat von Kardinal Frings, die Vorlage zu lassen, wie sie ist, wird den meisten der gangbarste Ausweg erscheinen.

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