Die Irrungen einer Linkskatholikin

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Umstritten war die Schriftstellerin Luise Rinser schon bisher. Doch eine neue Biografie zu ihrem 100. Geburtstag lässt die Autorin noch einmal in ganz anderem Licht erscheinen.

Der Sohn war entsetzt. Zwar hatte er gewusst, dass seine Mutter nicht makellos durch die Hitlerzeit gekommen war. Aber mit so viel auch ihm unbekannter Verstrickung von Luise Rinser in das NS-System hatte er nicht gerechnet. Schließlich war die vor hundert Jahren, am 30. April 1911, geborene Autorin nach dem Krieg immer wieder, in zahllosen Aufsätzen, Stellungnahmen, auch in ihrer Autobiografie "Den Wolf umarmen“, mit ganz anderen Darstellungen an die Öffentlichkeit getreten. Sie sei im Dritten Reich eine Widerstandskämpferin gewesen, sei wegen Hochverrats in Haft gesessen und habe unter Publikationsverbot gelitten.

Alles nicht wahr. Im Gegenteil: Die knapp 22-Jährige war bereits 1933 eine begeisterte Nazisse, dichtete in schwülstigen Versen den Führer an und suchte ihr Heil nicht, wie später behauptet, im christlichen Glauben, sondern in inbrünstigem Hitlerkult. Dem neuen Regime diente sie sich gleich nach der NS-Machtübernahme mit Feuereifer als Ausbildnerin weiblicher Führer des "Bundes deutscher Mädchen“ an und wurde ob ihres Tatendrangs sogar belobigt. Ihren freiwillig verfassten Bericht "Aus einem oberbayerischen BdM-Führerlager“, abgedruckt im Januar 1934 in der Blut-und-Boden-Zeitschrift Herdfeuer, beschloss die "Junglehrerin Luise Rinser“ enthusiastisch mit dem Ausruf: "Führer, Dir diesen ersten Gruß im neuen Jahr, Dir unseren heißesten Wunsch - Heil Dir!“ In derselben Zeitschrift durfte sie bald darauf unter dem Titel "Junge Generation“ auch dichterisch ihre Führertreue öffentlich bekunden.

Kein Publikationsverbot in der NS-Zeit

Nachzulesen ist das alles und mehr in einer soeben erschienenen Luise-Rinser-Biografie. Verfasser ist - unter Mithilfe von Rinsers ältestem Sohn Christoph - der einstige Rinser-Freund, gewissenhafte Faktensammler und geübte Stilist José Sánchez de Murillo. Bündig fasst der in Deutschland lehrende Literaturwissenschafter das Ergebnis seiner lebensgeschichtlichen Nachprüfungen über die junge Autorin zusammen: "Sie war nicht nur Nazi-Sympathisantin, sondern Nazi-Ausbildnerin für junge Lehrerinnen. Eine zentrale Funktion im Dritten Reich.“ Mehr noch: Um im NS-System als Pädagogin in Oberbayern weiterzukommen, schreckte Luise Rinser nicht davor zurück, ihren jüdischen Schuldirektor zu denunzieren. Später wurde sie, unter der Regie des Altnazis Karl Ritter, Drehbuchautorin für Propagandafilme der Ufa. Entgegen eigener späterer Armutsbekundung verdiente sie damit im Dritten Reich viel anrüchiges Geld. Auch die Behauptung, man habe ihr Publikationsverbot erteilt, ist nur umgedreht richtig: Ihre erste Erzählung "Die gläsernen Ringe“ erschien 1941 mit offizieller Druckerlaubnis bei S. Fischer und wurde noch im selben Jahr in zweiter Auflage, insgesamt 10.000 Exemplare, ausgeliefert. Die Papierzulieferung klappte anstandslos.

Golo Mann, zwei Jahre älter als Luise Rinser, doch schon vom Elternhaus her immunisiert gegen das Nazigift, schrieb über die NS-Bewegung: "Sie nahm das Elend der Armen auf und den Reichtum der Reichen, die brave Sehnsucht der Jungen und die hartherzige Kalkulation der Alten, den hirnlosen Leichtsinn, der nun einmal ‚etwas anderes‘ wollte, die Leichtgläubigkeit, die Hysterie. Und sie nahm den Hass in sich auf. Hass gegen die Welt, Hass gegen das System, die ‚Bonzen‘, die sozialdemokratischen Amtswalter […] Wer es nicht erlebt hat, der kann sich gar nicht vorstellen, zu welcher Tiefe das öffentliche Leben damals herabsank.“

Zu fragen wäre: Sind die politischen Fehltritte einer jugendlichen Schwärmerin, einer karrieresüchtigen Mittzwanzigerin im NS-Terrorstaat nicht verzeihlich? Gewiss. Doch Luise Rinser hat die vielen Spuren ihrer frühen politischen Irrwege nicht nur nachträglich verwischt, sondern zum eigenen Vorteil in einen Alleingang mutigen Widerstands umgedeutet. Und das tat sie mit klar erkennbarer Karriere-Berechnung. In der Endphase von Hitlers Vernichtungswahn hatte sie gegenüber einer Nachbarin ihre Befürchtung geäußert, der Krieg könnte verloren sein. Prompt wurde sie von der Volksgenossin denunziert und im Oktober 1944 wegen "Wehrkraftzersetzung“ in Traunstein in Haft genommen. Nach einigen Wochen Gefängnisaufenthalt noch vor Jahresende 1944 entlassen, galt die Autorin gleich nach dem Krieg als "politisch Verfolgte“ und veröffentlichte 1946 ihr viel beachtetes "Gefängnistagebuch“ mit dem gefälschten Anklagegrund Hochverrat. Nun durfte die zum Nazi-Opfer Gewandelte im Dienst der alliierten Entnazifizierung vor NS-Belasteten Referate zur demokratischen Umschulung halten. Die Rolle muss sie verinnerlicht haben, wozu offenbar die Verleugnung eigener Mitschuld zwingend gehörte.

Im "klerikalen Liebesdreieck“

Die Akzeptanz dieser Rolle im sich fleckenrein wünschenden Nachkriegsdeutschland machte sie geradezu angriffslustig. 1951 prangerte sie in einem Vortrag in München Papst Pius XII. wegen dessen angeblichen Schweigens über die Judenvernichtung an, legte ihm das als Zustimmung aus und bezichtigte die katholische Kirche der Heuchelei. Im Jahr zuvor hatte sie ihr erfolgreichstes Buch "Mitte des Lebens“ veröffentlicht. Hauptgestalt ist Nina Buschmann, eine in chaotischer Zeit zwischen Liebesgier und moralischem Widerstand selbstbewusst entscheidende Frau: ein idealtypisches Alter Ego der Autorin.

Zur Genüge ausgebreitet werden in Murillos Biografie die amourösen Wirrungen der Autorin, die über Jahrzehnte dem immer gleichen Inbild eines mit Autorität und virilem Aplomb auftretenden Männertyps folgen, der auch ihre politischen Irrungen maßgeblich beeinflusst hat. Literaten, Lehrer, Philosophen, Verleger, Komponisten sind darunter, auch Berühmtheiten wie Carl Orff, mit dem sie (in dritter Ehe) verheiratet war. Später richtet sie den Magneten ihres besitzergreifenden Eros eher auf zölibatäre Kirchenmänner, lebt in Rom während des Zweiten Vatikanischen Konzils, wie ihr Biograf es ausdrückt, in einem "klerikalen Liebesdreieck“ zwischen dem Abt des bayerischen Benediktinerklosters Ettal und dem Theologen Karl Rahner - eine Rolle, die sie so lange genießt und fördert, bis Rahner sich weigert, eine Lobhudelei über ihr literarisches Werk zu verfassen. Sofort spuckt sie Gift und Galle: "Ich würde sofort das Tollste über Dich schreiben, um Dir zu helfen. Nein, ich verstehe Dich wirklich nicht.“ Dabei hat sich Rahner von ihr, wie alle vor ihm, über ihre Jugendzeit gründlich hinters Licht führen lassen, indem er zu ihrem 60. Geburtstag voll Huldigung schrieb: "Hat Luise Rinser nicht instinktsicherer als viele ihrer Kritiker von Anfang an dem Ungeist der braunen Zeit widerstanden bis an den Rand des Todes?“ Wie sehr er sich täuschte, wissen wir heute - dank Murillos Biografie.

Der "Dritte Weg“ Kim Il-sungs

Als die 68er-Bewegung sich daran machte, endlich die NS-Reste aus der Nachkriegsgesellschaft zu entfernen, stellte sich die Linkskatholikin Rinser in die vorderste Reihe der Räumkommandos - ohne auf sich selbst zu zeigen. Die Faszination für den starken Mann blieb ihr erhalten und gipfelte in der schwärmerischen Verehrung, die sie in den achtziger Jahren dem nordkoreanischen Diktator Kim Il-sung entgegenbrachte. Siebenmal besuchte sie sein Land und fand in ihrem "Nordkoreanischen Reisetagebuch“ nur höchste Töne der Anerkennung: "Diese Begegnung hat mich mit Kraft aufgeladen. Ich glaube wieder an die Zukunft der Menschheit […]. Der Sozialismus Nordkoreas ist der Sozialismus mit dem menschlichen Antlitz, wie ihn Dubˇcek für die Tschechoslowakei wollte und wie ihn die Sowjets niedergeschlagen haben. Aber Kim Il-sung führt ihn weiter. Seine Ideologie und seine Praxis, das ist die Alternative, der Dritte Weg. Der Westen sollte sich intensiv mit ihm befassen.“ Dass das ganze Land ein hermetisch abgeriegelter Gefängnishof und die Insassen Sklaven einer korrupten, menschenverachtenden Führungsfamilie waren, sah sie nicht. Luise Rinser, der es zuletzt sogar gelungen war, für die Grünen als Kandidatin in die deutsche Bundespräsidentenwahl 1984 (gegen Richard von Weizsäcker) zu ziehen, hatte ihre Lektion aus dem Dritten Reich nie gelernt, sondern lebenslang erfolgreich verdrängt.

Luise Rinser. Ein Leben in Widersprüchen.

Von José Sánchez de Murillo S. Fischer Verlag Frankfurt/M. 2011 464 S., geb. e 22,95

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