Die Islamisierung der Politik und des Sozialen

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Islamkritik à la Thilo Sarrazin oder Geert Wilders ist europaweit längst auf dem Vormarsch. Charakteristisch, dass dabei soziale Probleme mit religiösen Kategorien benannt werden.

Da es sich beim Großteil der in Österreich lebenden Musliminnen und Muslime um ehemalige #Gastarbeiter# handelt, verflechten sich soziale und religiöse Fragen immer stärker.

Sprach man in den sechziger Jahren von #Gastarbeitern#, in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Ausländern, so spricht man heute # vor allem nach dem 11. September 2001 # von #den Muslimen#. Die Verschiebung der Zuschreibungskategorien von #Gastarbeiterschaft# zum #Muslimsein# spiegelt die veränderte Wahrnehmung innerhalb der Gesellschaft, der eine Hinwendung von sozialen zu religionsbezogenen Fragen entspricht.

Soziale Probleme werden mit religiösen Kategorien zu klären versucht. So werden Behauptungen aufgestellt wie #muslimische Jugendliche sind gewaltbereiter als nichtmuslimische# oder #muslimische Jugendliche haben mehr Probleme im Bildungssektor beziehungsweise am Arbeitsmarkt als nichtmuslimische Jugendliche#, #Muslime sprechen schlechter Deutsch als Nichtmuslime#.

#Muslime# und #Nichtmuslime#

Die Kategorie #Muslimsein# dient als Erklärungsmuster für soziale Probleme mit der Folge, dass #Muslimsein# mit sozialen, aber auch Sicherheits- sowie Integrationsproblemen assoziiert wird. Durch die Kategorie #Muslimsein# wird die Gesellschaft immer stärker in #Muslime# und #Nichtmuslime# gespalten.

Dazu kommt, dass die rechtspopulistische Politik in Europa in den letzten Jahren die Angst vor dem Islam immer mehr als Instrument für die Polarisierung der Gesellschaft entdeckt hat. Die Wahlergebnisse der letzten Jahre in Ländern wie Österreich, Italien oder zuletzt in den Niederlanden haben gezeigt, dass die rechtspopulistische Politik mit dieser Strategie auf Erfolgskurs ist.

Keine Islamfeindlichkeit per se

Nun lässt sich aber fragen, was steckt hinter dieser Erfolgsstrategie? Handelt es sich bei den Wählern solcher Parteien tatsächlich um eine islamfeindliche Haltung? Ich glaube nicht.

Es ist vielmehr die Identitätsverunsicherung auf beiden Seiten, die zu vielen Spannungen in der Gesellschaft führt.

Durch die Präsenz des Islam und der Muslime in Europa und durch ihre Sichtbarkeit taucht aufseiten der Mehrheitsgesellschaft die Frage nach der Identität Europas auf: Nimmt uns der Islam unsere europäische Identität weg? Gibt Europa seine Identität auf?

Da stellt sich jedoch auch die Frage: Was macht die europäische Identität eigentlich aus? Um gerade diese letzte Frage zu beantworten, suchen immer mehr Europäer nach einem Gegenüber, nach einem #Anderen#, von dem man sich abgrenzt, um sich vom Eigenen zu vergewissern. Das Eigene wird also in der Abgrenzung zum #Anderen# gesucht. Der in den letzten 30 Jahren immer stärker sichtbar werdende Islam eignet sich gut als das #Andere#.

Hinzu kommen Ereignisse, wie der 11. September beziehungsweise die Anschläge in Großbritannien oder Madrid, die aus dem Islam nicht nur den #Anderen# machen, sondern darüber hinaus zu einer großen physischen und somit existenziellen Gefahr für das #Eigene#. Muslime werden dadurch immer mehr als die gefährlichen #Anderen# stigmatisiert.

Durch diese Fremdzuschreibung #ihr Muslime# wird das Muslimsein nicht nur für die erste Generation, sondern immer stärker auch für Muslime der zweiten und dritten Generation als identitätsstiftend attraktiver.

Ausdruck der Identitätssuche

Gerade jene jungen Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, hegen große Erwartungen an die europäischen Gesellschaften und möchten als Einheimische anerkannt werden. Wird ihnen jedoch vermittelt, sie seien die #Anderen#, wird das #Muslimsein# immer stärker zur Eigenzuschreibung, zur eigenen Identität. Das Interesse an Religion ist in diesem Fall nicht primär eine Suche nach Antworten auf die Sinnfrage, sondern eine Suche nach einem sicheren #Wir#-Gefühl, nach einer kollektiven Identität.

Solche Jugendliche können sagen, wer sie nicht sind, nicht aber, wer sie sind. Dadurch entsteht eine #Schalenidentität#: Es ist die Schale einer ausgehöhlten Identität, die man als Schutz um sich legt # sie ist aber ausgehöhlt, entkernt.

Eine verunsicherte und ausgehöhlte europäische Identität und eine ebenfalls verunsicherte und ausgehöhlte islamische Identität treffen aufeinander in einem Kampf der Selbstvergewisserung durch Abgrenzung vom jeweils Anderen. Dieses Spannungsfeld bietet optimalen Nährboden für rechtspopulistische Parteien, um die Gesellschaft noch stärker zu polarisieren: #Wir# und die #Anderen#. Es liegt daher in der gemeinsamen Verantwortung von Muslimen und Nichtmuslimen, daran zu arbeiten, dass der Islam zum selbstverständlichen Teil Europas wird und Muslime zum großen #Wir Europäer# werden.

* Der Autor ist Professor für Islamische Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

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