Peter Liese, deutscher Europaabgeordneter (CDU), über christliche Positionen in der EU und die Förderung "verbrauchender" Embryonenforschung.
Die Furche: Sie sind darum bemüht, im Europa-Parlament Lobbying für die Positionen der katholischen Kirche zu machen. Wie leicht oder schwer ist es, Gehör zu finden?
Peter Liese: Das ist von Thema zu Thema unterschiedlich. Wenn wir Debatten über die Abtreibung führen, ist es kaum möglich, Mehrheiten im Sinne einer christlichen Position zu erzielen. In den Fragen der Embryonenforschung und des Klonens haben wir aber durchaus Verbündete - etwa die Grünen oder Teile der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Sie vertreten hier eine eher restriktive Position - nicht unbedingt wegen des Lebensschutzes menschlicher Embryonen, sondern wegen der gesellschaftlichen Konsequenzen, wenn man eine Industrie auf die Produktion solcher Embryonen aufbaut.
Die Furche: Am 27. November werden die EU-Forschungsminister entscheiden, ob das bestehende Moratorium auf die Förderung "verbrauchender" Embryonenforschung verlängert wird oder ob der Vorschlag der Europäischen Kommission angenommen wird: Demnach soll die Forschung an jenen menschlichen Embryonen gefördert werden, die vor dem 27. Juni 2002 entstanden sind. Wie lautet Ihre Prognose?
Liese: Meine portugiesischen Kollegen im EU-Parlament sagen mir, dass sich Portugal der restriktiven Haltung von Österreich, Italien und Deutschland anschließen wird. Ich glaube auch, dass wir in Spanien und Luxemburg Verbündete finden können. Wenn es dann fünf oder sechs Länder sind, dann halte ich es für sehr realistisch, dass die
Europäische Kommission ihren Vorschlag überarbeitet.
Die Furche: Aber ein Moratorium kann nicht ewig dauern...
Liese: Zunächst einmal muss uns klar sein, dass das Moratorium überhaupt kein Erfolg ist. In diesem Moratorium ist die Forschung an existierenden embryonalen Stammzellen ausdrücklich ausgenommen; an ihnen kann also schon das ganze Jahr 2003 geforscht werden. Damit ist die europäische Forschung derzeit weitaus liberaler als die amerikanische und die gesetzliche Regelung in Deutschland. Deswegen brauchen wir eine neue, klare Lösung. Wahrscheinlich wird sich meine persönliche Meinung nicht durchsetzen lassen, dass nämlich sämtliche Forschung an embryonalen Stammzellen von der EU-Förderung ausgeschlossen wird. Aber es ist sehr realistisch, dass der Kommissionvorschlag an den entscheidenden Stellen verschärft wird und dass die Forschung an adulten Stammzellen klare Priorität bekommt.
Die Furche: Konsequenterweise müssten Sie eine etwaige Therapie, die im Gefolge der embryonalen Stammzellforschung entwickelt wird, an sich selbst ablehnen. Würden Sie das tun?
Liese: Ja. Wenn es gegen meine Annahme zu einer solchen Therapie kommt, würde ich sie ablehnen - genauso wie ich die Transplantation von Organen ablehne, wenn sie ohne Zustimmung des Spenders entnommen wurden.
Das Gespräch führte Doris Helmberger.
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