Die Kirche - (k)ein Ort für Intellektuelle?

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Am Beginn standen junge Intellektuelle um den Akademiker- und Künstlerseelsorger Otto Mauer. Heute kann der Katholische Akademikerverband auf 70 Jahre seines Wirkens zurückblicken.

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Am Beginn standen junge Intellektuelle um den Akademiker- und Künstlerseelsorger Otto Mauer. Heute kann der Katholische Akademikerverband auf 70 Jahre seines Wirkens zurückblicken.

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Für den normalen Kirchenbetrieb gilt die Pfarrgemeinde als Normalfall der Seelsorge. Doch die traditionelle, in unseren Breiten dafür übliche Ordnung folgt zwei einander ergänzenden Konzepten: die territoriale und die kategoriale Pastoral. Pfarre, Dekanat, Vikariat oder Diözese bezeichnen das erste Konzept, in dem - wenigstens im räumlichen Sinn - jeder Katholik verortet ist. Das zweite Konzept versucht jene Gläubigen zu erreichen, die in Pfarren weniger oder gar nicht eingebunden sind: etwa an Universitäten oder Krankenhäusern, aber auch im Gefängnis, im Militärdienst und bei den Studierenden am Studienort. Deshalb gibt es neben den Pfarren auch die ständisch profilierten Gliederungen der Katholischen Aktion, darunter die wegen ihrer kleineren Zielgruppe schmale und sehr spezialisierte Akademikerund Künstlerseelsorge. Diese Sparte, in der die Diözesen Österreichs in sehr unterschiedlichen Ausprägungen, Bezeichnungen und Formaten - oder auch gar nicht mehr - tätig sind, erinnert an ihr 70-jähriges Bestehen.

Akademiker, Intellektuelle, Künstler

Zugegeben, der tradierte Name "Katholischer Akademikerverband"(KAV) hört sich irgendwie abgehoben und elitär an. Zudem ist diese Bezeichnung nicht geschlechtergerecht, steht für ein überholtes Klassenbewusstsein und klingt wie eine bürokratische Vereinsbezeichnung. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine der Gliederungen der Katholischen Aktion, die von der Katholischen Jungschar, über die Jugend, die Frauenund Männerbewegung noch eine ganze Reihe von Zielgruppen umfasst: Die Frauenbewegung mit der Zeitschrift Welt der Frau ist von beachtlicher Breite und Stärke - doch der Akademikerverband, gemäß seiner Zielgruppe überschaubar, universitätsnahe, in kleineren Diözesen fast vergessen. Die inzwischen neu gewählten Bezeichnungen variieren - nur gesamtösterreichisch und international blieb es beim KAVÖ. In der Diözese Linz heißt es schon seit Jahren: "Forum St. Severin - für christliche Spiritualität, Bildung und Kunst", als Zielgruppe gelten "Akademiker, Künstler und Intellektuelle"."Forum Zeit und Glaube" heißt es in der Erzdiözese Wien, "Forum Glaube-Wissenschaft-Kunst" in Graz.

Wie umfang-und erfolgreich die Aktivitäten und Bezeichnungen dieses Bereiches in den einzelnen Diözesen sind, hängt zwar einerseits vom Engagement einzelner ab, aber auch von den diözesanen, also letztlich von der Diözesanleitung zugebilligten Finanzen. Die gut informierten und daher auch häufig besonders kritischen Mitglieder sind in manchen Diözesen in Kirchendingen schon deshalb besonders vorsichtig und diplomatisch. Auch im kirchlichen Dienst sollte man nicht in die Hand beißen, die einen füttert. Die Erzdiözese Wien verfügt seit Jahrzehnten über eigene Räumlichkeiten - das Otto-Mauer-Zentrum. Sein Name erinnert an den legendären Domprediger und Akademikerseelsorger Otto Mauer. Bei ihm, dem legendären "Monsignore", wurde die traditionelle päpstlich verliehene Ehrenbezeichnung zum Markenzeichen. Seinem gegenwärtigen Nachfolger Helmut Schüller wurde eben dieser Ehrentitel -aus seiner Zeit als Generalvikar der Erzdiözese Wien - auf hierarchisches Betreiben von Rom wieder aberkannt.

In der 70-jährigen Geschichte der Akademikerseelsorge spiegelt sich vom kraftvollen Aufbruch nach dem Weltkrieg über Jahrzehnte des geschätzten Mitwirkens in der kirchlich-intellektuellen Landschaft und der inzwischen ausgebrochenen Mühen der Ebene die Kirchengeschichte Österreichs: zuerst eine kraftvolle Phase des Aufbaus nach dem Krieg, dann der selbstbewusste Katholizismus mit den Katholikentagen und dem Konzil in Rom (1962-65), sodann die legendäre Erschütterung seit dem Wendejahr 1968, die wenig erfolgreiche Zähmung der Aufmüpfigen - besonders unter Studierenden, unter kritischen Akademikern und Intellektuellen. Konfliktreicher Höhepunkt und zugleich hierarchischer Tiefpunkt waren die von Rom zur Zähmung der Aufmüpfigen bestellten Bischöfe (Erzbischof Georg Eder, Diözesanbischof Kurt Krenn und Weihbischof Andreas Laun). Wie jeder Sozialpsychologe leicht erklären kann, förderte ihre autoritäre Amtsführung Kritik und Widerstand und trieb letzten Endes viele der Aktiven und Reformbemühten in den Rückzug oder den Auszug.

Beispiel Oberösterreich

In der Diözese Linz übergab 1985 Bischof Maximilian Aichern die damals frisch renovierte, seit dem Weggang des Ordens fast funktionslose barocke Ursulinenkirche in der zentralen Fußgängerzone als Rektoratskirche dem Akademiker- und Künstlerseelsorger für seine Arbeit. Seither wuchs dort rund um die Sonn- und Feiertagsgottesdienste eine Gemeinde: ein stets gut besuchter Gottesdienst um 20 Uhr, mit knapper Predigt, sparsamer Liturgie und gepflegter Musik -häufig von Lehrenden und Studierenden der Bruckner-Universität, dazu ein seither angewachsenes Konzert-und Kulturprogramm. An den jeweils ersten Sonntagen im Monat ist das Forum St. Severin Gastgeber in der barocken Sakristei bei der anschließenden Agape mit Brot und Wein. Im Bachjahr 1985 begann es mit einer "Bach-Nacht" als Vorläufer für die später im ganzen Land eingeführte "Lange Nacht der Kirchen". Seither überfüllen am Karfreitag zur Todesstunde Jesu Passionsmusiken die Kirche, dazu kam eine inzwischen große Zahl von Konzerten, Abendmusiken und Ausstellungen - letztere in der Krypta.

So entstand in Linz ein ähnlich bedeutsamer Ort wie das Otto-Mauer-Zentrum nahe der Universität Wien. In anderen Diözesen gibt es Kirchen oder andere Orte für regelmäßige Gottesdienste und kulturelle Veranstaltungen. Doch ungeachtet dessen, was in 70 Jahren in der kategorialen Seelsorge geleistet wurde, ist der kirchliche "Hauptwohnsitz" engagierter Christen die Gemeinde, in der sie leben.

Der Autor ist langjähriger Akademiker- und Künstlerseelsorger der Diözese Linz, Autor, Musiker und Rektor der Ursulinenkirche

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