"Die Kirche muß mobil sein"

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Pater Franz, "freischaffender Mönch" in Niederösterreich, und seine "Kirche auf Rädern": ein unkonventionelles Experiment, als Kirche den Menschen buchstäblich nachzufahren.

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Pater Franz, "freischaffender Mönch" in Niederösterreich, und seine "Kirche auf Rädern": ein unkonventionelles Experiment, als Kirche den Menschen buchstäblich nachzufahren.

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Meine Kirche ist Baujahr 1983, hat vier Räder und ist 250 PS stark." Eine ungewöhnliche Kirche, die von einem ungewöhnlichen Priester geleitet wird. Franz Edlinger ist Jahrgang 1940 und seit 23 Jahren Priester des Zisterzienserstiftes in Heiligenkreuz. 15 Jahre diente er als geistlicher Leiter des "Hauses des Friedens" in Katzelsdorf bei Wiener Neustadt. Seit zehn Monaten ist er "Pfarrer" der "Arche des Friedens" - einer Kirche im Bus.

Vor einem Jahr mußte Pater Franz sein "Haus des Friedens" schließen - der Hausbesitzer hatte ihm den Mietvertrag nicht mehr verlängert. Ein Ort, wo sich Woche für Woche bis zu 200 Menschen versammelten, um Eucharistie zu feiern, sich Gedanken um die Probleme der Dritten Welt zu machen und Bibelrunden zu gründen, hörte plötzlich zu existieren auf. "Das bedeutet aber doch nicht, daß wir unsere Experimente in der Kirche beenden müssen", meint Franz Edlinger: "Wir haben im Haus des Friedens in einer geschützten Atmosphäre Kirchenvisionen entwickelt. Ich habe aber gespürt, daß hier nur eine Art Laborsituation geschaffen wurde, wo man zwar neue Wege testen kann. Die müssen dann aber irgendwo in die Realität übergehen."

Zentralraum Kapelle In fremden Pfarren zu arbeiten ist für Pater Franz nichts Neues. Schon seit Jahren bekommt er Einladungen, um in verschiedenen Gemeinschaften und Gruppen Vorträge, Einkehrtage und Exerzitien abzuhalten. Das war eine interessante Herausforderung, oft gab es dabei technische Pannen: "Wenn ich in eine Pfarre gekommen bin und mich jemand angesprochen hat, er möchte gerne mit mir reden, mußte ich überlegen: Wo gehe ich jetzt mit ihm hin? Der Pfarrer ist nicht mehr da. Wer ist also zuständig, mich in den Pfarrhof hineinzulassen? Und der Gläubige möchte vielleicht wirklich einmal eine Lebensbeichte ablegen, da kann ich mich mit ihm nicht ins nächste Wirtshaus setzen. Oder die Überlegung: ich möchte mich mit einer kleinen Gruppe zum Gebet zusammensetzen, wo gehe ich mit ihr hin? Und außerdem will ich mich selbst oft nach einem anstrengenden Tag einfach hinlegen. War ich bei einer Familie untergebracht, so konnte ich nicht gleich schlafen gehen." Pater Franz beschloß, das Problem auf eigene Weise zu lösen. Er kaufte einen ehemaligen Linienbus und baute ihn mit einigen Freunden um.

Den Zentralraum des Busses bildet eine Kapelle. Die Austattung ist schlicht. Der übrige Teil des Busses ist das "Pfarrhaus". Dieses ist klein, aber fein. Es findet sich dort Platz für eine Schlafstelle, eine Kochnische, eine Duschkabine und ein Büro. Hier befindet sich auch die "Zentrale" der Fahrzeugtechnik: Pater Franz ist stolz auf die technische Einrichtung des Busses. Sie reicht von einer Kamera, die beim Parken behilflich ist, bis hin zu einem Bett, das sich automatisch aufklappen läßt.

Büroarbeit erledigt Pater Franz an seinem Schreibtisch. Hier am Computer verfaßt er sein Informationsblatt "Gemeinsam auf dem Weg", sowie seine Bücher. Sein PC, der mit einem Mobiltelefon verbunden ist, bietet auch die beste Möglichkeit zur Kommunikation mit der Außenwelt.

Zwischen dem Büro und der Kapelle befindet sich ein kleiner Verkaufsstand. Dort findet man Honig, der von den Kleinen Schwestern von Jesu hergestellt wird, Produkte der Franziskusgemeinschaft aus Pinkafeld sowie Dritte-Welt-Kaffee und -Tee. In der Auslage, die sich leicht zu einem fahrbaren Verkaufsstand umbauen läßt, liegen unter anderem Musikkassetten und CDs, vor allem mit Kinderliedern.

Ausmisten tut not Obwohl im neuen "Pfarrhaus" alles Notwendige vorhanden ist, mußte Pater Franz seine täglichen Gewohnheiten umstellen. Von seiner umfangreichen Bibliothek sind nur einige Bücher geblieben, auch seine Bekleidung und Gebrauchsgegenstände hat er größtenteils verschenkt. "Als ich in den Bus übersiedelt bin, mußte ich mehr als 90 Prozent meiner Habseligkeiten zurücklassen", erzählt er. "So etwas wünsche ich mir auch in der Kirche: Die Kirche muß endlich bei sich ausmisten. Wir schleppen soviel mit an Tradition, an Konvention und an Institution, daß das oft zu einem riesigen Ballast wird, der die Beweglichkeit der Kirche behindert. Gerade in Österreich haben wir das Phänomen einer sehr etablierten Kirche - schon allein durch Bauwerke dokumentiert, wie etwa die Klöster in Melk, Klosterneuburg oder Göttweig. Zu dem stationären stabilen Element brauchen wir aber das mobile, denn die Kirche ist auf dem Weg und wir sind noch lange nicht am Ziel." Und so will der Bus von Pater Franz - die "Kirche auf Rädern" - ein Gegengewicht zu den mächtigen Kirchenbauten bilden.

In den bisher zehn Monaten als Wanderpriester wurde Pater Franz mit verschiedenen Reaktionen konfrontiert. Einige seiner Amtskollegen meinten etwa: "Ein junger Priester muß bis zu vier Pfarren übernehmen und damit die Lücken etwas auffüllen. Es gibt so viele unbesetzte Pfarren, so daß sich die Kirche neue Ideen nicht leisten kann ..."

Pater Franz wagt dennoch sein Experiment. Verschiedene, oft unerwartete Begegnungen bestärken ihn darin: "Einmal mußte ich mit dem Bus auf die Brückenwaage, weil angeblich bei der Typisierung des Wagens das zulässige Gesamtgewicht nicht korrekt festgestellt worden war. Ich bin dann zu dem Mann hingegangen, der die Brückenwaage bedient, und der hat mich gefragt: ,Ist der Bus leer oder voll?' Und ich habe zurückgefragt: ,Was meinen Sie?' Er antwortete: ,Sind Sünden drinnen, die Sie wegführen, oder ist er leer?' Er hat also die Vorstellung gehabt, daß ich da halt mit dem Bus die Sünden der Menschen wegfahre ... Offensichtlich hat er irgendwo schon von diesem fahrenden Priester gehört, der anscheinend auch Beichte drinnen hält und die Sünden ,hinwegkarrt'. Mein Bus wurde dann als Wohnmobil und Mobilbüro typisiert, weil das jene Kategorie ist, die auch im Gesetz vorgesehen ist."

Der Bus schafft Pater Franz besondere Möglichkeiten für seine pastorale Arbeit: "Ich könnte mir vorstellen, mich mit meinem Bus auf einen Parkplatz vor einem großen Einkaufszentrum zu stellen - und dort eine ganze Woche zu stehen. Meine Erfahrung ist, daß man da sofort mit den Menschen ins Gespräch kommt. Ich habe das ganz ungeplant auf einem großen Autobahnparkplatz erlebt: Die Leute, die aus den Autobussen zur Rauchpause ausgestiegen waren, kamen her und in wenigen Minuten war ich mit ihnen in ein intensives Glaubensgespräch vertieft. Auf diese Weise sehe ich eine große Chance der Evangelisierung: Die Kirche muß zu den Menschen gehen, wenn die Menschen nicht mehr zur Kirche kommen. Und das ist auch ein klares Wort Jesu: Geht und verkündet."

Bus - noch ungeweiht Bei seinen Experimenten ist Pater Franz auf sich selbst und auf den Verein "Miteinander" angewiesen. Die kirchliche Hierarchie steht seinen seelsorglichen Aktivitäten eher reserviert gegenüber: "Ich habe sowohl dem Kardinal Schönborn wie auch meinem Vorgesetzten, dem Abt von Heiligenkreuz, diese Idee vorgelegt. Sie haben grundsätzlich zugestimmt, aber ich habe doch gespürt, daß sie sich darunter nicht viel vorstellen können. Sie haben sich auch nicht einmal die Zeit genommen, die ,Kirche auf Rädern' zu weihen. Aber auch das ,Haus des Friedens' wurde erst nach fünf Jahren geweiht. Vielleicht wird es auch diesmal so sein ..."

Anders ist die Situation an der Basis. Der "freischaffende Mönch", als der sich Pater Franz selbst bezeichnet, kann der Nachfrage einzelner Pfarren kaum nachgehen: "Bis in den Sommer 2000 hinein bin ich ausgebucht." Vermehrte Anfragen von Pfarren gebe es in Advent und Fastenzeit.

Wenn der Bus, mit großer Aufschrift "Arche des Friedens" versehen, in eine Pfarre kommt, ist das immer ein besonderer Tag. Pater Franz feiert normalerweise nicht nur einen Gottesdienst, er spricht auch im Pfarrcafe mit den Menschen und macht eine Führung durch seine "Kirche".

Die Menschen kommen mit verschiedenen Problemen zu ihm. Meist sind es Lebenskrisen, seelische Nöte, Depressionen, Situationen nach gescheiterten Beziehungen, Ehescheidungen. Ein zweiter Bereich sind die Randgruppen. Pater Franz hat auch etliche Flüchtlingsfamilien durch den Dschungel der Bürokratie begleitet und versucht auch bei Reintegrationsproblemen von Haftentlassenen zu helfen.

Alle Aktivitäten - Buskosten, das Gehalt des "mobilen Pfarrers" - werden ausschließlich aus freiwilligen Spenden bestritten. Pater Franz kann sich dabei nicht beklagen. Er erhält soviel Unterstützung, daß aus dem Überschuß sogar andere Projekte finanziert werden können - die Partnerschaft mit einer kleinen philippinischen Diözese, ein Selbsthilfeprojekt in Nigeria und eine Partnerschaft mit der katholischen Pfarre im ostsibirischen Wladiwostok: "Not gibt es aber nicht nur im Ausland. Auch in Österreich bedürfen genug Menschen der Unterstützung. Mit denen werde ich fast Tag für Tag konfrontiert. Auch da muß ich helfen."

Regenbogenbunt Viele Arbeitsbereiche also, die normalerweise ein Engagement von mehreren Personen erfordern. "Mein seelsorgliches Unternehmen ist aber im wesentlichen ein Ein-Mann-Betrieb", erzählt der fahrende Pfarrer: "Selbstverständlich kann ich bei verschiedenen Veranstaltungen auf freiwillige Mitarbeiter zurückgreifen. Wenn ich für ein Glaubensseminar ein kleines Team brauche, dann habe ich sehr wohl Leute, die ich ansprechen kann." Zur Seite steht Pater Franz auch die Sekretärin des Netzwerkes "Miteinander", Irene Ulreich, die ihr Büro im niederösterreichischen Ramplach hat. Dort wird die Quartalzeitschrift "Gemeinsam auf dem Weg", ein Informationsblatt von Pater Franz, herausgegeben.

Das Büro in Ramplach ist die einzige "feste" Verbindung zur Außenwelt für die "Arche des Friedens", die, in Regenbogenfarben lackiert, stets unterwegs ist. "Ich habe diese Farben gewählt, um das Bild der Arche Noah, über die der Regenbogen als Zeichen des Bundes Gottes mit uns Menschen erstrahlte, in Erinnerung zu rufen."

Bislang hat die "Arche des Friedens" einen guten Untersatz. Der 16 Jahre alte Steyr-Bus erfreut sich eines sehr guten technischen Zustands und hat in den zehn Monaten bereits über 12.000 km zurückgelegt. Für das nächste Jahr hat Pater Franz schon 15.000 km eingeplant: "Mein Experiment soll keine Eintagsfliege sein, sondern über Jahre zu Experimenten in der Kirche anspornen!"

Kontakte: "Arche des Friedens"-Bus Telefon 0664/32 650 29 E-mail: netw.togAL+.at

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