Die Kirchen sind leergeredet

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P. M. Zulehner kämpft gegen den "Wort-Durchfall". Und erliegt mitunter der eigenen Diagnose.

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P. M. Zulehner kämpft gegen den "Wort-Durchfall". Und erliegt mitunter der eigenen Diagnose.

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Das Problem ist drängend, die Orientierungslosigkeit in der Kirche hat damit zu tun: Dem Wortschwall, dem die Liturgie, die Predigt, die öffentliche Rede von Gott anheimgefallen ist, hat der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner den Kampf angesagt: "Wider den kirchlichen Wort-Durchfall" benennt er im Untertitel seines neuen Büchleins das Anliegen.

Kurz und prägnant sind die Ausführungen, die Zulehner gegen die ausufernde Wortlastigkeit in der Kirche lockermacht. Die 64 kleinen Großdruckseiten bieten den kargen Ausführungen großzügig Platz: Zulehner will (wort-)bescheiden bleiben.

Der Diagnose ist zuzustimmen: Gott wird in der Kirche leergeredet, die prophetische Rede geht zumindest hierzulande der Christenheit weitgehend ab. Nicht nur die Propheten sind abwesend, auch die Dichter fehlen: Zulehner zitiert daher Lyrik. Rose Ausländer, Marie Luise Kaschnitz, Hilde Domin, Nelly Sachs, Lothar Zenetti: allesamt keine Unbekannten, wenn von (neuer) religiöser Sprache die Rede ist, werden zu Zeugen des Zulehnerschen Befundes, ebenso Zitate aus der Bibel.

Der Pastoraltheologe plädiert für mystische Rede, für eine Rückbindung der Moral (die viele Predigten und kirchliche Äußerungen durchzieht) an die Mystik. Und für authentisches Sprechen: Die Worte der Kirchen dürfen nicht nur Worte bleiben; sie müssen, so Zulehner, durch die Praxis von Gemeinschaften gedeckt sein.

Alles richtig. Alles wahr. Leider erliegt Zulehner in seinem Buch gegen den Wort-Durchfall des öfteren dem eigenen Schwall. Er spricht von "Kirchenvolksmißhandlung" durch Prediger, erfindet das Wort "Seelenrecycling", redet gegen "den Versuch, den Menschen den kapitalintensiven Maschinen nachzuordnen und den gleitenden Arbeitsmenschen zu schaffen", oder "den Trend, Kinder ... zu entsorgen, die das lifedesign von Vätern und Müttern stören" und so weiter.

Auch an die eigene Wortschöpfungs- und Formulierungslust wären jene Maßstäbe anzulegen, die Zulehner für kirchliches Sprechen entwickelt.

Wie Musik zur Trauer ist eine Rede zur falschen Zeit. Wider den kirchlichen Wort-Durchfall.

Von Paul M. Zulehner. Schwabenverlag, Ostfildern 1998. 64 Seiten, Hardcover, öS 108,

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