Das war knapp! Fast schien es so, als würde es unserer Politik gelingen, nach der Verfassungsreform auch aus der Bildungsfrage ein parteipolitisches Hickhack zu machen. Schon vor dem "Reformgipfel" waren die Positionen der Parteien fixiert, Mut zu Neuerungen war kaum zu bemerken. Und sie bewegt sich doch! Der weit gehende Verzicht auf die Zweidrittelmehrheit in Schulfragen eröffnet den Weg zu wirklichen Reformen.
Seit Martin Luther die Ratsherren deutscher Städte zu Schulgründungen aufrief und die Eltern ermahnte, dass sie ihre Kinder in die Schule schicken sollten, ist der Protestantismus mit der Bildungsfrage eng verbunden. Gott sei Dank - so Luther - ist es heute so, dass die Kinder mit Lust und Spiel lernen können und "unsere Schule jetzt nicht mehr die Hölle und das Fegfeuer ist, da wir innen gemartert werden". Philipp Melanchthon reformierte das Bildungswesen gründlich. Sein modern klingendes Prinzip war, dass eine umfassende Bildungsinstitution mit großer innerer Differenzierung durch individuelle Förderung (und Forderung) der Einzelnen einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet, ohne dass alle über einen Kamm geschoren würden.
Schon lange ist das Anliegen der Bildung kein ausschließlich protestantisches Spezifikum mehr, sondern eine gemeinsame Sache der Ökumene. Es ist kein Zufall, dass das Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich mit dem Stichwort "Bildung" beginnt. Die Kirchen wissen, dass nur so eine Kultur des Dialogs und der Solidarität gefördert werden kann, die zu gesellschaftlich verantwortlichem Handeln befähigt. Ein "Reformgipfel" muss über einen solchen umfassenden und kritischen Bildungsbegriff breite Verständigung herstellen und darf sich nicht in kurzatmigen Organisationsfragen erschöpfen.
Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.