Die Kluft und die Brücke

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Von der Unzeitgemäßheit der Rede von Schuld, Sühne und Verantwortung in Zeiten kultivierter Folgenlosigkeit: Anmerkungen zum 18. Philosophicum Lech.

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Von der Unzeitgemäßheit der Rede von Schuld, Sühne und Verantwortung in Zeiten kultivierter Folgenlosigkeit: Anmerkungen zum 18. Philosophicum Lech.

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Schuld - was für ein großes Wort! Geläufig ist es uns beinahe nur noch im Plural: Geld, das zurückgezahlt werden muss. Und in Kombination mit "Staats-" ist es - zu Recht - ein Gegenstand politischer Debatten. Im Singular wird es alltagssprachlich eher im Sinne von Fehlverhalten verwendet, die moralische oder existenzielle Dimension von Schuld kommt jenseits der religiösen Sphäre ("mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa", wie es im Schuld-Bekenntnis der katholischen Liturgie heißt) kaum noch in den Blick

Und Sühne gar! Sie passt noch weniger in eine Zeit der kultivierten Folgen- und Verantwortungslosigkeit, in der, wie Konrad Paul Liessmann in seinem Vortrag beim Philosophicum Lech festhielt, die Verantwortung "immer woanders, nie bei den Akteuren" liegt: am besten beim System, an dem man sich mit großer moralischer Geste weitgehend risikofrei abarbeiten kann. Das System ist natürlich alles, Erziehung, Bildung, Politik, Medien, Kultur - nur nicht man selbst.

Kinder dieser Welt

Die Provokation war also wohl kalkuliert, das Philosophicum mit "Schuld und Sühne" zu überschreiben - eine Veranstaltung wohlgemerkt, die nun wirklich nicht im Verdacht steht, hier solle Religiöses quasi durch die Hintertür wieder hereingeschmuggelt werden. Umso bemerkenswerter, vielleicht auch bezeichnender ist es, dass ausgerechnet ein Theologe (in einem Leserbrief an die Presse, welche Liessmanns Vortrag abgedruckt hatte) Liessmann vorwarf, seine Ausführungen erinnerten "allzu sehr an die alte Position der klassischen Moraltheologie", wonach "immer der Einzelne" schuld sei. Der streng säkulare, ursprünglich bei der extremen Linken beheimatete Philosoph gilt also dem zeitgeistfreundlichen Theologen als zu fromm. Vielleicht sind ja die Kinder dieser Welt doch die Klügeren - oder, salopp-profan gesprochen, die Linken die besseren Konservativen. (Ähnliche Gedanken mochten einem unlängst kommen, als Liessmann mit Andreas Salcher in der ZIB 2 über das Thema Bildung diskutierte: Wüsste man es nicht anders, hätte man annehmen müssen, Liessmann sei der Bildungsberater der ÖVP ...)

Gewiss, die "alte Position" des autonom entscheidenden Subjekts, welche auf der Vorstellung absoluter Willensfreiheit basiert, ist durch neurobiologische Erkenntnisse stark erschüttert worden. Einer, der das weiß und die daraus resultierenden philosophischen und ethischen Probleme messerscharf zu analysieren versteht, ist der Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel. Er bäckt sozusagen kleinere Brötchen, spricht lieber von "normativer Ansprechbarkeit" als von Willensfreiheit. Denn wir können - hoffentlich - tun, was wir wollen, wie Merkel unter Verweis auf Schopenhauer dozierte, aber wir können nicht wollen, was wir wollen. Gleichwohl hält er fest, dass die Naturwissenschaften das "Freiheitsproblem" nicht lösen können, dieses demnach den Philosophen bleibe.

Verbesserung unseres Handelns

Der Schlüsselbegriff der ganzen Debatte lautet jedenfalls "Verantwortung". Um ihn kommen wir nicht herum, und wenn das Philosophicum im Untertitel die Zeitdiagnose "Nach dem Ende der Verantwortung" aufstellt, so darf man das durchaus kulturkritisch, nicht bloß als Befund, geschweige denn affirmativ verstehen. Eine spannende Frage in diesem Zusammenhang ist, inwieweit es auch Verantwortung für Unrecht anderer in Geschichte und Gegenwart geben kann oder geben muss, wozu sich der in Lüneburg lehrende praktische Philosoph Michael Schefczyk Gedanken gemacht hat (siehe nebenstehendes Interview). Bedeutsam an seinen Überlegungen scheint aber noch etwas anderes: Entgegen der nicht zuletzt in kirchlichen Kreisen weitverbreiteten Ansicht von der repressiven und deformierenden Auswirkung christlicher Moral postulierte der sich selbst ausdrücklich als "nicht religiös verankert" bezeichnende Schefczyk, die christlich-jüdische Tradition habe "durch ihr Sünde-und Sühne-Bewusstsein viel zur Intelligenz unserer Kultur beigetragen". Weil "die Frage, was man persönlich getan - und möglicherweise eben auch falsch getan - hat, einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung unseres Handelns" leiste. Noch einmal: vielleicht sind ja die Kinder dieser Welt ...

"... eine andere Geschichte"

Viel war also in Lech von Schuld, Verantwortung, Freiheit die Rede - insgesamt wenig jedoch von Sühne die Rede. Einer, dem das aufgefallen ist, war der Benediktinerpater Michael Köck vom Salzburger Stift St. Peter. Er - FURCHE-Lesern auch als gelegentlicher Autor bekannt - zählt seit Jahren zu den Teilnehmern am Philosophicum und fungiert auch gelegentlich als Zelebrant des (außerhalb des Programms stattfindenden) örtlichen Sonntagsgottesdienstes am letzten Tag des Symposiums.

Köck nahm dort auch Bezug auf das Thema "Schuld und Sühne" und schlug eine andere als die von neueren Fassungen des Dostojewski-Romans bekannte Übersetzung "Verbrechen und Strafe" vor: Er wolle von "Kluft und Brücke" sprechen. Dies ist freilich keine Übersetzung im strengen Sinn, eher so etwas wie eine theologische Umschreibung oder Annäherung an das, worum es geht.

Schuld wird hier verstanden als Kluft, die den Menschen von sich selbst, seiner eigentlichen Bestimmung und, religiös gesprochen, insbesondere von Gott trennt. Die Sühne wäre demnach die Brücke, welche diese Kluft zu überwinden imstande ist. Aus der Sicht des Glaubens ist diese Brücke freilich immer schon als Angebot da, dem Menschen bleibt es anheim gestellt, sie zu betreten.

Doch diese Interpretation Köcks sprengt zwangsläufig den Rahmen einer philosophischen Tagung, sie erschließt sich nicht einfach der Vernunft. Oder mit anderen Worten, wie es ganz am Schluss, im Epilog von Dostojewskis Roman heißt: "Aber hier fängt schon eine neue Geschichte an."

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