Hans Modrow: "Die Kluft zwischen Ost und West wird größer"

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Links neben der Sozialdemokratie ist in Westeuropa immer Platz gewesen, befindet Hans Modrow. Diese Stelle besetzt in Deutschland die PDS. Wenn man sie lässt. Zum Wohle des Landes sollte man das, meint der EU-Parlamentarier im FURCHE-Gespräch in Straßburg.

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Links neben der Sozialdemokratie ist in Westeuropa immer Platz gewesen, befindet Hans Modrow. Diese Stelle besetzt in Deutschland die PDS. Wenn man sie lässt. Zum Wohle des Landes sollte man das, meint der EU-Parlamentarier im FURCHE-Gespräch in Straßburg.

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DIE FURCHE: Trotz des guten Abschneidens Ihrer Partei, der PDS, bei den Wahlen in Berlin, deutet alles darauf hin, dass die regierenden Sozialdemokraten einer Ampelkoalition mit Liberalen und Grünen den Vorzug geben. Fürchten Sie dann auch, wie Ihr Berliner Parteifreund Gregor Gysi, um die innere Einheit der Stadt?

Hans Modrow: Die Kluft zwischen West und Ost in Deutschland wird unter solchen Bedingungen auf jeden Fall größer und nicht kleiner werden. Denn wenn man das für die PDS eindeutige Wahlergebnis im Osten Berlins in dieser Weise ignoriert, wird zwangsläufig das Gefühl darüber, dass Biographien, Leben, Lebensleistungen, die aus dem Osten Deutschlands kommen, geringere Bedeutung haben, nicht nur in Berlin vorherrschen, sondern auch auf andere Bundesländer übergreifen. Ob es sich nun um Mecklenburg oder Sachsen-Anhalt handelt, überall steht eine ähnliche Frage an: Kann eine rot-rote Regierungsbildung erfolgen oder nicht? Insofern wäre eine Ampelkoalition in Berlin das falsche Signal. Richtiger wäre es, eine rot-rot-grüne Koalition zu versuchen und damit dem ganzen Land eine neue Chance zu geben.

DIE FURCHE: Warum, glauben Sie, sträubt sich die SPD nach wie vor gegen ein Zusammengehen mit der PDS?

Modrow: Zwei Dinge scheinen mir dafür ausschlaggebend zu sein: Die Bundesebene geht davon aus, dass bei der deutschen Bundestagswahl 2002 eine ähnliche Konstellation entstehen kann, wie sie jetzt in Berlin existiert. Und Bundeskanzler Gerhard Schröder will sich mit einer Ampel in Berlin diese Option auch für den Bund offen halten. Und zweitens glaube ich, ist man leider immer noch der Meinung, dass Wählerstimmen im Westen der Bundesrepublik halt ein größeres Gewicht, sprich eine größere Quantität haben. Aber man begreift nicht, dass die Vereinigung der beiden deutschen Staaten heute nach wie vor einen qualitativen Anspruch stellt.

DIE FURCHE: Vorbehalte gegen Ihre Partei gibt es ja genug. Wie würden Sie selbst die PDS charakterisieren?

Modrow: Wenn man den östlichen Teil Deutschlands und damit auch die PDS begreifen will - und das gilt meiner Meinung nach im Besonderen auch für Österreich -, dann muss man den Blick auf alle mittel- und osteuropäischen Staaten richten. Die Entwicklungen dort sind doch nicht so weit entfernt von dem, was sich auf dem Gebiet der alten DDR vollzieht. Schauen Sie zu Ihrem tschechischen Nachbarn: Dort ist die "Kommunistische Partei Böhmen und Mähren" die drittstärkste Fraktion. Betrachten Sie die Situation in Polen, die Erfolge der Postkommunisten dort. Nötig wäre es, die gemeinsame Geschichte und Entwicklung der mittel- und osteuropäischen Staaten - und dazu gehört auch die der alten DDR - anzunehmen und damit einer Demokratie würdig und reif umzugehen.

Links neben der Sozialdemokratie ist in den westeuropäischen Demokratien immer noch Platz für eine weitere politische Kraft gewesen. Wir sind aus diesem Entwicklungsprozess, der in ganz Mittel- und Osteuropa nach dem Zerfall der Sowjetunion eingesetzt hat, eben als PDS hervorgegangen. Wir sind eine politische Kraft, die - ähnlich wie in Spanien, in Frankreich, in Portugal und Griechenland - auch in der Bundesrepublik zum politisch-gesellschaftlichen System gehören sollte. Aber erst wenn man das in Deutschland begreift und annimmt, wird Normalität im politisch-gesellschaftlichen System der Bundesrepublik einziehen. Eine Hoffnung, die ja mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ihren Ausgang genommen hat.

DIE FURCHE: Was ist mit den vor Selbstmitleid triefenden Entschuldigungen von ehemaligen Stasi-Spitzeln? Warum fehlt es immer wieder an klaren Distanzierungen?

Modrow: Das ist ein Irrtum. Das ist eine falsche Auslegung. Es steht eindeutig fest: Die PDS hat heute noch 85.000 Mitglieder. Von ihnen ist zwar der größere Teil in der SED gewesen. Aber prozentual zu den 2,3 Millionen Deutschen, die einmal Mitglieder der SED waren, ist das doch ein Kreis, der sich wirklich auf den Weg einer Erneuerung der Partei und einer Veränderung ihrer politischen Überlegungen begeben hat. Wer das einfach nicht akzeptieren will, der bleibt mehr in der Vergangenheit hängen, als jene, die in der PDS für die Erneuerung ihrer Partei und auch für demokratische Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland eintreten.

DIE FURCHE: Kommt es jetzt in Berlin zur Ampel: Wird die PDS in der Opposition noch weiter zulegen?

Modrow: Unsere Möglichkeiten im politischen Wirken werden sich damit stabilisieren. Es wird aber auch davon abhängen, in welchem Umfang wir unsere linke Opposition entfalten. Denn der Senat in Berlin wird zur gleichen Zeit mit der CDU auch eine rechte Opposition stellen. Eine Außergewöhnlichkeit, wie wir sie bisher in keinem deutschen Parlament haben. Ich hoffe aber bis zum Schluss, dass die Vernunft einzieht und Rot-Rot-Grün eine Chance erhält.

DIE FURCHE: Rot-Rot genügt für die absolute Mehrheit - warum wollen Sie die Grünen dabei haben?

Modrow: Grün ist ein weiteres linkes humanitäres Element in der Bundesrepublik. Wichtiger ist aber, dass genauso wie die Ampel auch Rot-Rot-Grün ein Signal für die Bundestagswahl 2002 darstellen würde - meiner Meinung nach das bessere Signal.

DIE FURCHE: Die PDS präsentiert sich gerade als die Anti-Kriegspartei schlechthin. Geht es Ihnen dabei wirklich um Pazifismus, oder steht Ihre antiimperialistische Einstellung gegenüber den USA im Vordergrund?

Modrow: Sie haben gerade die Debatte im Europäischen Parlament miterlebt. Von den Grünen bis hin zu den Konservativen haben jetzt alle das eine Problem: Ist der Krieg wirklich die richtige Antwort auf den Terrorismus? Und alle geraten jetzt, Wochen nachdem das Bombardement gegen Afghanistan begonnen hat, in eine neue Nachdenklichkeit. Die setzte bei uns früher ein. Und Sie werden bald erleben, dass nicht nur mehr allein die PDS im deutschen Bundestag die Forderung nach einer Einstellung des Bombardements unterstützt. Immer mehr stellen die berechtigte Frage, ob unter diesen Kriegsbedingungen glaubwürdige Schritte in Richtung einer demokratischen Entwicklung des Landes überhaupt gestaltbar sind, ob nicht die humanitäre Hilfe in den Wirren dieser militärischen Auseinandersetzung völlig zu kurz kommt. Diese Fragen haben wir zeitiger als andere gestellt.

Wenn andere erst heute zu dieser Nachdenklichkeit finden, dann zeigt sich hier erneut, dass wir in der Tat nicht jene sind, die an politischen und militärischen Maßnahmen der Sowjetunion von damals festhalten, sondern wir haben unsere Lehren gezogen und begriffen, dass dieses Problem so nicht lösbar ist. Hier sind andere humanitäre Schlüsse nötig und nicht der Krieg.

DIE FURCHE: Welche Zukunft wünschen Sie sich für Afghanistan?

Modrow: Die UNO muss wirksam - das heißt mit breiter Unterstützung - eingesetzt werden, und die demokratische Entwicklung des Landes gehört mit allen nur erdenklichen Mitteln gefördert. Nur das wird der Weg sein. Und nicht der Weg, den man im Moment einschlägt. Wenn die Vereinten Nationen nicht wirklich zum politischen und humanitären Dach werden, ist keine anhaltende Lösung der Krise in Sicht.

DIE FURCHE: Ihre Haltung in Ehren, aber die Wandlung der PDS - immerhin die Partei mit der höchsten Offiziersdichte in ihren Reihen - zur Anti-Kriegspartei geht für den Beobachter schon etwas gar zu schnell vor sich.

Modrow: Das ist eine große Unterstellung. Ich möchte nicht wissen, wie viele Offiziere in den Unionsparteien organisiert sind, und dasselbe gilt für die Sozialdemokratie. Bei einem direkten Vergleich wird man schnell feststellen, dass das nichts Außergewöhnliches ist. Und wenn nun heute gegen Offiziere in der PDS geredet wird, da stellt sich mir die Frage: Warum eigentlich? Mir wurde als Abgeordneter im Bundestag vom damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe erklärt, es sei das größte Verdienst, dass eine Vereinigung der beiden deutschen Armeen im Rahmen der Vereinigung Deutschlands herbeigeführt werden konnte.

Also sind wir wieder bei dieser Unterscheidung angelangt: Waren es vorher wichtige und weniger wichtige Wählerstimmen, sind es jetzt die guten und die schlechten Generäle. Was soll dieses ganze Gerede? Das zeigt aber wieder: Wer ist mehr rückwärtsgewandt - wir in der PDS oder unsere politischen Gegner, die uns mit solchen abstrusen Argumenten angreifen wollen?

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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