Die Kraft des Eros kultivieren

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Die Kirche teilt in punkto Sexualität kräftig aus; wenn aber ihre eigenen Amtsträger straucheln, reagiert man wehleidig: Replik auf Józef Niewiadomskis Beitrag "Hexenjagd!?" (furche Nr. 38, S. 10). von hermann major

Die Kirche kann sich gegen Journalisten, die über das Thema Sexualität und Kirche berichten und dabei "andere Rechnungen mitbegleichen", nicht wehren, meint Józef Niewiadomski. Er fragt allerdings nicht nach, woher das Bedürfnis nach einem Ausgleich kommen könnte.

Gerade die katholische Kirche hat die vor allem über Paulus ins Christentum gekommene weitgehende Trennung von Eros und Religion 2.000 Jahre lang kultiviert. Dabei wird eine gelebte Sexualität nach dem Motto "Wer nicht heiratet, der handelt besser" (vgl. 1 Kor 7,38) den Schwächeren zugestanden - auch das nur unter genau definierten Bedingungen. Selbst im Katechismus von 1992 wird jede voreheliche sexuelle Aktivität ungeachtet der emotionalen Beziehung der Sexualpartner pauschal als "Unzucht" und "schwerer Verstoß" (Art. 2353) bezeichnet.

Kirche im Abseits

Hier teilt die Kirche ganz ordentlich aus. Wenn aber Vertreter der Kirche selbst straucheln und manche Medien mit Schadenfreude reagieren, kommt wie bei Niewiadomski das Lamento "Bitte nicht, die Kirche ist so schwach!" - Sorry, das wird's nicht spielen.

Gegenseitige Beschuldigungen von "Welt" und Kirche bringen uns aber nicht weiter. Denn beide Seiten leiden unter dem vermeintlichen Widerspruch zwischen Religion und Eros: Der Kirche fehlt heute die vitale Kraft des Eros, die sich nach ihrer Verbannung auf mitunter zerstörerische Art und Weise (z.B. Pädophilie) ihren Platz wieder zu erkämpfen sucht. Aber auch der Gesellschaft mangelt es an einer Instanz, die ihr auf glaubwürdige (!) Art und Weise hilft, die Kraft des Eros zu kultivieren. Einschlägige Inserate in Zeitungen und ein Blick ins Internet machen mehr als deutlich: Sexualität droht zu einem Konsumgut erster Klasse, zum schnellen "Kick" zu verkommen.

Was tun? Die Kirche müsste sich wohl überlegen, wie sie aus dem Abseits, in das sie sich selbst gestellt hat, herauskommt und wieder zu einer Mitspielerin wird, der man zuhört. Dabei bräuchte es eine Theologie, die Sexualität im Zusammenhang mit Schöpfung und Erlösung zu sehen vermag. Während heute vielfach der Eros ängstlich als Konkurrenz zum eigenen Gott gesehen wird, müsste man zu einem Verständnis gelangen, das den Eros für die Beziehung des Menschen zu Gott, zu den anderen und zu sich selbst mutig in den Dienst zu nehmen weiß.

Lust & Verantwortung

Aber auch die Gesellschaft müsste sich selbstkritisch fragen, ob ihr Verständnis von Sexualität schon das Nonplusultra darstellt. Ist Sexualität nicht mehr als eine käufliche Ware? Gehört zur Lust nicht auch Verantwortung? Bedarf die Offenheit des Menschen in seiner Sexualität nicht besonderer Verantwortung? Für sich selbst, für den anderen, für potenziell neu entstehendes Leben?

Kirche und Gesellschaft sollten daher nicht länger "alte Rechnungen begleichen". Viel dringender ist ihr gemeinsames Ringen nach einer lust- und verantwortungsvollen Integration von Sexualität, nach einer Kultur des Eros in Kirche und Gesellschaft.

Der Autor ist Theologe und Unternehmensberater, Coach und Supervisor in Innsbruck.

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