"Die Leute vergessen schnell"

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Die ganze Welt erscheint heute als gefährlich. Das bekommen besonders die Fluggesellschaften zu spüren - jedenfalls kurzfristig.

Zwei Monate nach dem Schreckenstag in den USA zeigt sich bei den Reiseveranstaltern, allen voran den Fluggesellschaften, ein recht unterschiedliches Bild: Da klagt zum Beispiel die AUA-Group (Austrian Airlines, Lauda Air, Tyrolean Airways und Rheintalflug) im September über den Verlust von 838.000 Fluggästen, was ein Minus von 6,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Zugleich meldet die Niedrigpreis-Fluglinie von KLM, buzz (sie fliegt europäischen Destinationen an), die Rückkehr zur Normalität und kündigt für den Winterflugplan sogar deutliche Umsatzsteigerungen an.

Mit einem blauen Auge ist auch der Flughafen Wien davongekommen. Das Minus fiel im September mit 3,6 Prozent deutlich geringer aus als auf vielen anderen europäischen Flughäfen. Laut Aussage der Pressesprecherin Dagmar Lang waren damit die Rückgänge auch weniger dramatisch als seinerzeit beim Golf-Krieg.

Optimismus will auch Detlef Winter, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Luftfahrtunternehmen, mit seiner Meinung versprühen, dass die US-Aktionen, wenn sie auf Afghanistan beschränkt bleiben, in Europa keinerlei Auswirkungen haben werden. Zur Arbeitsgemeinschaft Deutscher Luftfahrtunternehmen gehören die Fluggesellschaften Condor, Hapag Lloyd, Aero Lloyd, Germania, Air Berlin und LTU. Winter gibt in einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel zwar zu, dass es auf der Strecke nach Amerika Einbußen gegeben hätte, doch jetzt gehe es wieder aufwärts. Erhebliche Verluste verzeichneten die Unternehmen nur bei den Reisezielen Ägypten und Zypern. Doch dafür boomt der Verkauf von Reisen auf die Kanaren, Azoren und nach Spanien.

Derartige Aussagen der Reisebranche bezeichnen Wissenschafter der deutschen Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (F.U.R.) als reinen Zweckoptimismus. Sie glauben, dass mindestens zwei, drei Jahre Fern- und Flugreisen weniger nachgefragt werden, da vielen Leuten vorerst einmal der Appetit aufs Fliegen einfach vergangen ist. Diese werden nicht in ein Flugzeug steigen, sondern sich Ziele im eigenen Land oder einem Nachbarland suchen. Das führt bei Flugreisen zu Einbußen zwischen fünf bis zehn Prozent, lautet die Prognose der Forscher. Eine weitere Reaktion auf die Terrorattacken werde sein, dass Urlauber ihr Reiseziel wechseln und verstärkt sichere Ziele buchen. Davon könnte natürlich auch Österreich profitieren. Christa Lausenhammer, Unternehmenssprecherin der Österreich Werbung (ÖW) gibt zu, dass sich die Lage nur langsam normalisiert. In erster Linie sei von den amerikanischen Ereignissen der Städtetourismus betroffen.

Die Tourismusbranche meldete demnach in Wien auch für September massive Einbrüche. Dabei war mit einem Umsatzplus von 5,5 Prozent von Jänner bis August alles so gut gelaufen. Im September dann der Absturz. Ein Drittel weniger US-Gäste, gefolgt von Japan mit einem Minus von acht Prozent. Alles in allem führte das zu einem September-Minus von 5,7 Prozent. "Wir haben sofort in den ersten Tagen nach den Anschläge blitzartig Werbeaktionen eingeleitet", erzählt Vera Schweder vom Wien-Tourismus. Sieben Millionen Budgetmittel wurden lockergemacht um kurzfristige Buchungen in den Nahmärkten zu stimulieren. Das volle Ausmaß der Krise könne derzeit noch nicht abgeschätzt werden. Viel wird von den Ereignissen der nächsten Monate abhängen. Wie Erfahrungen aus der Vergangenheit allerdings lehren, folge auf Spontanrückgänge selten eine "Spontanheilung", befürchtet Schweder. Auch habe sich an der Situation in den USA nicht wirklich etwas verbessert.

Wintersport profitiert

Von den Rückgänge im Städtetourismus ist in erster Linie die gehobenen Stadthotellerie betroffen. Die Wintersportregionen und das Umfeld profitieren von der Krise. Mit zweistelligen Zuwachsraten gehören sie zu den Gewinnern der allgemeinen Unsicherheit. Die Gäste kommen aus dem Inland aber auch aus Deutschland, der Schweiz und Italien. Damit lassen sich Ausfälle bei den immer noch tristen Auslandbuchungen wenigstens teilweise wettmachen, sagen die Reiseveranstalter.

Dramatisch ist die Buchungssituation bei den vor allem USA-orientierten Anbietern, sagt Elisabeth Rehulka, Generalsekretärin des Österreichischen Reisebüro- und Reiseveranstalter Verbandes (ÖRV). Dort gebe es erhebliche Umsatzeinbußen, eine Erholung sei derzeit nicht in Sicht.

Was jetzt allerdings besonders gut geht, sind Last Minute-Reisen. Die Leute buchen erst, wenn sie wirklich sicher sind, dass am Zielort nichts passiert, vermutet Rehulka. Und: "Gott sei Dank, die Leute vergessen schnell." Nach einigen Wochen Schrebergarten packe auch sie wieder die Reiselust, meint er.

Vieles deutet darauf hin, dass wir hierzulande bald wieder zur Tagesordnung übergehen werden. Dagegen werden nach einer Anfang Oktober veröffentlichten Studie der Weltbank die ärmsten der Länder an den Terrorfolgen länger zu leiden haben. Besonders hart hat es die Karibik erwischt. Dort wurden nach dem 11. September zwei Drittel aller Buchungen storniert. Und auch Afrika gehört zu den Top-Krisenverlierern. Zwei Millionen Menschen könnten laut Weltbank unter die ein Dollar-Marke absinken. Der Tourismus stellt im südlichen Afrika eine relativ große Einkommensquelle dar. Als Ausweg aus der Krise schlägt die Weltbank eine kräftige Erhöhung der Entwicklungshilfe und Abbau der Handelsbarrieren vor. Freihandel könnte nach Meinung der Weltbank den Entwicklungsländern über zehn Jahre zusätzliche Einnahmen von insgesamt 1,5 Billionen Dollar bescheren. Doch dazu wird es vorerst wohl noch nicht kommen.

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