"Die Natur ist meine Kathedrale“

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Eva Gruber hat ihre sichere Arbeitsstelle aufgegeben, um sich ihren Lebenstraum zu erfüllen: um zu gehen, zu pilgern und als landartistin großformatige Bilder aus Blüten, Hölzern und Steinen in die Landschaft zu zeichnen.

Eigentlich wollte sie einfach nur gehen, beschaulich eine fremde Welt entdecken - und das Erlebte und Ergangene in einem Buch verewigen. Ähnlich wie im Jahr 2009, als sie ihren 1085 Kilometer langen Marsch auf dem berühmten "Jakobsweg“ von Sevilla nach Santiago de Compostela im Bildband "Vía de la Plata“ (Tyrolia Verlag) beschrieben hat. Doch diesmal, auf den Spuren des heiligen Franz von Assisi durch Umbrien, Latium und die Toskana, sollten sich ihre Prioritäten grundsätzlich verschieben: "Der Weg hat mich dem Heiligen so viel näher gebracht, als ich mir das je gedacht hätte“, schreibt Eva Gruber im Vorwort ihres üppig illustrierten Buches "Franziskusweg. Impressionen einer Pilgerreise“ (siehe Tipp).

Sympathisch sei ihr Franz von Assisi immer schon gewesen - dieser 1182 geborene Sohn eines wohlhabenden Tuchhändlers, der sich nach der Begegnung mit einem Aussätzigen von Reichtum und Elternhaus lossagte, fortan predigend und barfuß durch die Lande zog und am 4. Oktober 1226 als weithin verehrter Heiliger starb. Vor allem seine Liebe zur Schöpfung, die im "Sonnengesang“ kulminierte, habe sie fasziniert, erzählt Gruber. Und das Wandern entlang seiner Lebensstationen habe diese Faszination noch weiter vertieft.

Dass ihr Franziskus während ihrer 21 Tage dauernden und 350 Kilometer langen Fußreise so nahe kam, war auch Fra Bernardino zu verdanken. Gegen viele Widerstände hatte der Franziskanerpater aus dem tiefsten Süden Italiens die verfallene Einsiedelei Romita di Cesi bei Spoleto aufgebaut und mit franziskanischem Geist erfüllt - dem Geist des Einfachen, des Miteinanders und der Naturverbundenheit. "Glücklich sein, Erfüllung finden: Das ist der Sinn des Lebens“, hat er Eva Gruber zugeflüstert, als sie im Mai 2011 in seiner kleinen Kirche saß. "Wie dieser Mann lebt, wie er spricht, wie er seinen Traum realisieren konnte“, erklärt sie begeistert, "das hat mich tief bewegt.“

Dies umso mehr, als auch sie selbst es zuvor gewagt hatte, einen radikalen Schritt zu setzen und sich ihren Lebenstraum zu erfüllen. Mit 45 Jahren hatte Eva Gruber ihren attraktiven Job im Verlagswesen quittiert, um endlich selber kreativ zu werden: als Autorin, als Printdesignerin und vor allem als landartistin, die mit vorgefundenen Materialien die Landschaft gestaltet.

Schon als Kind hat sie die Natur und das Gehen gleichermaßen fasziniert. 1963 im Schwarzatal geboren, begleitete sie ihren Vater, den Extrembergsteiger und "Land der Berge“-Filmer Naz Gruber, auf vielen seiner Touren. "Von ihm habe ich jenen Satz gehört, der eigentlich vom Innsbrucker Altbischof Reinhold Stecher stammt und den ich auch als Motto für mein Buch gewählt habe:, Viele Wege führen zu Gott, einer geht über die Berge“, erzählt die 49-Jährige. Sie selbst zog es freilich vorerst in die Ferne: nach England, Thailand, Neuseeland und Australien. Nach Hause zurückgekehrt, studierte sie Germanistik und Anglistik in Wien und landete als Akademikertrainée im "Haus der Künstler“ in Maria Gugging, wo sie die Werke von August Walla, Johann Hauser und Oswald Tschirtner archivierte und von deren Kraft sie überwältigt wurde. "Selbst kreativ zu werden, habe ich mir aber abgeschminkt“, erinnert sich Eva Gruber. "Zwischen mir und der Kunst war der Mount Everest.“ Lieber wurde sie Buchhändlerin und Pressefrau im Verlagswesen: zuerst bei Böhlau, später bei Christian Brandstätter in Wien.

Bis heute würde sie wohl in diesem spannenden Umfeld agieren - wenn da nicht diese hundert Meter lange, rote Schafwollschnur gewesen wäre. Aus einem diffusen, inneren Drang heraus hatte sie die Schnur einstmals gehäkelt - und spontan in ihren Koffer gepackt, als sie 2002 zu einem land-art-Kurs auf der Insel Zakynthos aufbrach. "Dort habe ich dann tagelang Steine verschnürt, Wörter in den Sand geschrieben, geometrische Formen gelegt, die Schnur auf Bäume gehängt, den Wind darin spielen lassen und alles fotografiert“, erinnert sich die Künstlerin. "Das war wie eine Droge.“

Pigmente in Hülle und Fülle

Daheim im Höllental wollte sie die kunstvollen Verschnürungen weiterführen, doch schon bald realisierte sie deren begrenzte Wirkung vor allzu mächtiger Kulisse. Stattdessen griff sie zu vorgefundenen Naturmaterialien und zeichnete aus Wasser und Schnee, Blüten und Blättern, Hölzern und Steinen großformatige Bilder in die Landschaft. "Meine Pigmente sind in Hülle und Fülle vorhanden, meine Leinwand ist unendlich groß. Und wenn Wind, Sonne, Regen, Meer oder Fluss das Gestaltete verändern oder löschen, freue ich mich - dann ist das Zeichenblatt wieder leer“, schwärmt die Künstlerin, die ihre Höllental-Kreationen 2008 im Bildband "Ein Jahr am Fluss“ (Brandstätter Verlag) publizierte.

Es war jene Zeit, als sie auch den riskanten Schritt in die Selbstständigkeit wagte. "Angst und Sehnsucht haben sich lange die Waage gehalten“, erzählt Eva Gruber, "doch bis heute habe ich es keine Sekunde bereut.“ Etwa 700 landart-Arbeiten hat sie seither realisiert, an den Ufern der Schwarza ebenso wie in Namibia, Bulgarien oder Portugal. Dazu kamen zahlreiche Ausstellungen, Workshops und Buchprojekte - wie eben jenes über den Franziskusweg, bei dem sich ihre Lust am Gehen mit der wachsenden Begeisterung für diesen Heiligen verbunden hat. Ob auch ihre Kunst etwas Franziskanisches an sich hat? "Das könnte man schon so sehen“, antwortet Gruber strahlend. "Sie ist meine Art des Kniefalls vor der Schöpfung. Und die Natur ist meine Kathedrale.“

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