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Die Naturwissenschaft im Angriff

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Markante Persönlichkeiten unter den Leben ohne Bindung an einen Katalog

Gesprächsteilnehmern auf Seiten der Theologie: Prof. Karl Rahner SJ., Innsbruck, der wohl mehr und mehr zum geistigen Mentor der Gesellschaft wurde und in Salzburg das entscheidende Wort und Schlußwort sprach, Prof. S ö h n g e n, München, bekannt durch unbestechliche Wissenschaftlichkeit und Fähigkeit zu klarer Scheidung, Prof. M e s s n e r OFM, Wien, hartnäckig auf die notwendigen Voraussetzungen der Wissenschaft, vor allem in der Grundlagenforschung, hinweisend, P. Paulus und P. Diego O. P., junge, reformerische Theologen aus dem internen Kreis der Gespräche am Walberberg.

Auf Seiten der Naturwissenschaft hatten das Wort vor allem der stellvertretende Vorsitzende Prof. Schäfer und Prof. Rene L a v o c a t, Paläontologe, Paris, in rationalem Französisch lebhaft die notwendige Unabhängigkeit der Forschung verteidigend. Ein tüchtiger Diskussionsteilnehmer war der Chinese Prof. Hsiao, früher Peking, jetzt Freiburg, der mahnte, die Probleme umfassend zu sehen und auch der gegenwärtigen Weltsituation Rechnung zu tragen. Persönlichkeiten, die auf der Teilnehmerliste standen, aber bei der Tagung vermißt wurden: Prof. Rainer Schubert-Soldern, Wien, bekannt durch Witz und Treffsicherheit, und Prof. Beda Thum OSB, früher Salzburg, jetzt Wien, der mehrere Fakultäten in Personalunion vereint und den Gesprächspartner zwingt, die jeweils höhere Ebene anzunehmen.

Eines wird in Zukunft erwartet werden müssen: daß die Philosophie bei diesem Treffen stärker zum Zuge kommt. Beim Leib-Seele-Problem zeigte es sich besonders eindringlich, daß man ohne Metaphysik nicht auskommen kann. Auch scheint uns, daß die christliche Existenzphilosophie zu Rate gezogen werden muß —, womit nicht gesagt sein soll, daß nicht schon Wesentliches davon in den theologischen Ausführungen Prof. Rahners spürbar wurde.

Um die Theologie zum Zuge kommen zu lassen, bedurfte es anscheinend des Angriffs seitens der Naturwissenschaft, den Prof. S c h a e f e r stellvertretend vortrug. Seine Thesen, die bewußt provozierend waren, seien kurz skizziert: Die Naturwissenschaft ist dadurch gekennzeichnet, daß sie das allgemein Gültige sucht und Sätze formuliert, die ein Maximum an Gewißheit haben. „Wirklichkeiten“, welche von einer so definierten Wissenschaft nicht faßbar sind, seien undenkbar, da alles „Wirkliche“ irgendeiner Erfahrung zugänglich ist. Der wesentliche Einwand gegen Theologie und Philosophie: daß beide Wissenschaften bezüglich ihrer Ergebnisse nicht allgemein seien. Der Wissenschaftler sei grundsätzlich objektiv. Sein wissenschaftliches Training habe antidogmatischen Effekt. Auch die Naturwissenschaft habe „Dogmen“ in Form von Axiomen (Geometrie) und Modellen („Theorien“), doch zeichne sich diese Dogmatik durch ihre Vorläufigkeit und Korrigierbarkeit aus. Eine Theorie der Unwandelbarkeit sei mit dem Selbstverständnis des modernen Menschen prinzipiell nicht mehr vereinbar. Hingegen sei es „politische“ Aufgabe, die Tatsache zu belegen, daß ein

überindividueller Wertsetzungen und nur aus der ratio nicht glückhaft möglich ist.

Der Anspruch der Wissenschaftliclikeit

Antwort von Prof. de V r i e s S. ]., Pullach: Was wirklich naturwissenschaftlich bewiesen ist, werden wir gern annehmen, die philosophischen Folgerungen sind aber davon zu unterscheiden, Es fehlt der Theologie an allgemeiner Anerkennung: daraus folgt nicht, daß sie keine Gewißheit hat und daß die Begründung nicht gültig ist.

Prof. V i e t o r i s, Mathematiker, Innsbruck: Wir müssen darauf gefaßt sein, daß es Dinge gibt, die unserem Erfahren und Denken unzugänglich sind. Auch die Mathematik ist eine Geisteswissenschaft, die auf Logik gründet. Selbst in der Physik kann man das „Wirkliche“ nicht mehr ausschließlich auf das Erfahrbare beschränken. Denn es gibt bedeutsame Wirklichkeiten, die sich der Beobachtung dadurch entziehen, daß ihr Ablauf durch jede Beobachtung gestört wird. Prof. Messnet OFM.. Wien, allgemein zum Thema „Ansprüche an die Theologie“: Es gibt keine Wissenschaft, welche von sich aus das alleinige Verfügungsrecht über das Kriterium der Wissenschaftlichkeit hätte. Die anderen Wissenschaften haben keine direkten Ansprüche an die Theologie, der Anspruch der Wissenschaftlichkeit geht aber an sämtliche Wissenschaften. Die Paulusgesellschaft sollte den Hauptakzent auf die Tatsache legen, daß die Theologen die Auffassung haben, an der Universität am Platze zu sein. — Prof. S ö h n g e n, vermittelnd: Es ist ein grundlegender Unterschied zwischen den Voraussetzungen der Natur und der Geistes-

wissenschaften einerseits und der Theologie andererseits. Die wissenschaftliche Voraussetzung soll immer eine undogmatische Voraussetzung sein. — Prof. Söhngen vertrat die Ansicht, daß hauptsächlich die Dogmatik den Namen der Theologie verdiene. Der Vorhof der Dogmatik (Kirchengeschichte, Exegese) aber sei keineswegs ein Vorhof, sondern das Innerste dieser Wissenschaft. Allerdings finde die Begegnung zwischen Naturwissenschaften und Theologie nicht zuerst und zuletzt im Wissenschaftsbereich statt, sondern außerhalb. Es genüge im übrigen nicht, Wirklichkeit nur als Wirkung zu sehen. Es müsse eine echte Begegnung stattfinden zwischen Ontologie und Heilsgeschehen.

Suche nach der Wahrheit

Prof. La v o c a t stellte die Bitte an die Theologie, daß sie das heutige Ethos der Naturwissenschaft mit ihrem Suchen nach Wahrheit anerkenne, denn der Wissenschaftler könne nicht an echte Liebe zur Wahrheit glauben, wenn der Theologe nicht bereit sei, die Wahrheit überall, wo sie sich findet, anzunehmen. Bei aller Bedachtnahme auf die Enzyklika „Humani generis“ sei es doch eine gut begründete These, daß der menschliche Leib aus der lebendigen Materie genommen sei. Die Organisationsform des menschlichen Leibes fordere die menschliche Natur jeweils auch in ihrer seelischen Eigenschaft. Dr. Hauptmann, Chemiker, Bonn, meinte, die Theologie dürfe die Bereiche des Glaubens nicht überschreiten, sie riskiere sonst, durch menschliche, natürliche Erkenntnisse in das Licht der Unglaubwürdigkeit gesetzt zu werden. (Hat der Referent hier nicht das Glaubensbekenntnis mit der Theologie verwechselt?) — Ein fehlendes Korreferat machte die Ausführungen von Prof. Staudinger (Physiologische Chemie, Giessen) zu einem wahrscheinlich unnötig aufregenden Ereignis. Es wurde hier die Meinung vertreten, daß auch:die Verwirklichung geistiger Anlagen und Fähigkeiten aus dem Genotyp des Menschen grundsätzlich chemisch for-mulieibar sein müsse. Was man aber formulieren könne, könne man auch experimentell handhaben.

Auch der Germanist Prof. L ä m-

mert, Berlin, mit seinem Referat der erste Geisteswissenschaftler in diesem Kreis, erfuhr Widerspruch, als er die Ansicht vertrat, daß zwischen technischer Manipulation und Manipulation des Menschen durch Poesie (Wirkung der Lieder der Freiheitskriege) kein großer ' Unterschied' sei. Hingegen fand er Dank für seine Feststellung, daß nicht erst die Theologie eine vorherige Standpunktwahl vornimmt und nicht nur der Objektivität, sondern auch der Subjektivität des Menschen der gehörige Platz einzuräumen ist.

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