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Die Nazis im Theologischen Wörterbuch

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Trotz der Umkehr der Kirchen in Bezug auf das Judentum und der Absage an antijüdische Tendenzen im Christentum gibt es auch in der christlichen Theologie immer noch Unaufgearbeitetes. Zum Beispiel die Urheber-und Autorenschaft eines theologischen Standardwerks.

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Trotz der Umkehr der Kirchen in Bezug auf das Judentum und der Absage an antijüdische Tendenzen im Christentum gibt es auch in der christlichen Theologie immer noch Unaufgearbeitetes. Zum Beispiel die Urheber-und Autorenschaft eines theologischen Standardwerks.

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Bis heute gehört das Theologische Wörterbuch zum Neuen Testament (ThWNT) zu den Standardwerken der neutestamentlichen Wissenschaft, das durch seine englische Übersetzung weit über den deutschen Sprachraum hinausstrahlt. Es ist aktuell in praktisch allen theologischen Bibliotheken und in vielen wissenschaftlichen Publikationen als Referenz zu finden. Weniger bekannt sind seine Wurzeln im Nationalsozialismus.

Im ersten Band ist das Vorwort mit "Tübingen, Neujahr 1932/Juli 1933" datiert. Auf dem Deckblatt werden -inklusive des Herausgebers -40 Mitwirkende genannt. Von diesen waren neun aktive Nationalsozialisten, einem wurde aufgrund seiner kirchlichen Bindung die beantragte Aufnahme in die NSDAP verweigert, einer war Mitglied diverser NSDAP-Vorfeld-Organisationen. Einem weiteren Wissenschaftler konnte eine Mitgliedschaft nicht nachgewiesen werden, aber er propagierte auch nach dem Krieg eine antisemitische Bibelauslegung. Diesen belasteten Personen, auf die ich näher eingehen werde, standen elf Mitglieder der bekennenden Kirche gegenüber.

Gerhard Kittel - der Herausgeber

Gerhard war der Sohn des bedeutenden Alttestamentlers Rudolf Kittel und trat im Mai 1933 der NSDAP bei. 1936-45 war er Mitarbeiter im "Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland, Abteilung Judenfrage". Der Marburger Neutestamentler Lukas Bormann hat akribisch nachgezeichnet, wie Kittel in enger Abstimmung mit den zuständigen NS-Ministerien bewirkte, dass gerade diejenigen Neutestamentler aus Deutschland, die Nationalsozialisten waren und zudem judenfeindliche Forschung betrieben, in die 1937 neugegründete, internationale wissenschaftliche Gesellschaft "Studiorum Novi Testamenti Societas" (SNTS) aufgenommen wurden, was den meisten von ihnen sehr half, nach dem Krieg ihre Karrieren fortsetzen zu können.

Kittel wirkte auch in Wien: 1939 gestaltete er eine antisemitische Ausstellung im Naturhistorischen Museum über "Das körperliche und seelische Erscheinungsbild der Juden" mit. 1943 veröffentlichte er mit dem nationalsozialistischen "Rassenforscher" Eugen Fischer den Band Das antike Weltjudentum. In der Einleitung schrieb er: Niemand kann sich im Blick auf die moderne Judenfrage dem verschließen -vollends nicht im gegenwärtigen Schicksalskampf Europas -daß von allen ihren Hintergründen derjenige eines über die Welt hin ausgebreiteten und allenthalben seine Machtpositionen haltenden und von ihnen her das politische, wirtschaftliche und geistige Leben der Völker durchsetzende Weltjudentum der drohendste ist.

Zu Kriegsende wurde Kittel interniert. Er starb 1948 als geachtetes Mitglied der Studiorum Novi Testamenti Societas. Die Herausgeberschaft des ThWNT wurde ihm zwar nach dem vierten Band entzogen. Das änderte freilich nichts daran, dass die Arbeit dort in seinem Sinn weiterging. So schrieb etwa Martin Stählin in dem von ihm verantworteten Artikel xénos im fünften Band des Lexikons: Scharf tritt der Unterschied vom Judentum [ ...] hervor. [...] Hier ist die Sorge für den Notleidenden ein Geschäft mit Gott, bei Jesus eine von ihm persönlich empfangene Gabe.

Oder in dem heute noch gern gebrauchten Sprachlichen Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament von Fritz Rienecker, erstmals 1950 erschienen, heißt es unter Berufung auf Kittels Lexikon zum Ausdruck grammateús in Mk 1,22: Schriftgelehrter [... ], geknechtet unter den toten Traditions-Buchstaben der Rabbinischen Auslegung.

Karl Georg Kuhn

Der Orientalist Kuhn gehörte zu den Nazis, deren Aufnahme Kittel in die SNTS erreichen konnte. Er war 1932 Partei-Mitglied geworden. Der Scharführer der SA wirkte als "Referent für weltanschauliche Schulung" und arbeitete eng mit Kittel im "Reichsinstitut für die Geschichte des neueren Deutschland, Abteilung Judenfrage", zusammen. 1939 veröffentlichte er ein Werk, das ihm nach dem Krieg große Probleme bereiten sollte: Die Judenfrage als weltgeschichtliches Problem. Er bezeichnete dort die Juden als parasitäres Händlervolk und äußerte sich im Sinne des völkischen Antisemitismus. Erstaunlich ist seine Karriere nach dem Krieg. Hierzu hält das Personenlexikon zum Dritten Reich lakonisch fest: 1949 Professor für Neues Testament in Göttingen. 1954 Ordinarius in Heidelberg. 1957 Leiter der Qumran-Forschungsstelle. Mitglied Akademie der Wissenschaften Heidelberg. Zahlreiche Arbeiten in Theologischen Wörterbüchern und Zeitschriften.

Zwar verhinderte die oben erwähnte Hetzschrift Anfang der 1950er-Jahre, dass er den Mainzer Lehrstuhl bekam, aber nachdem Kuhn auf Anraten wohlmeinender Kollegen einen Widerruf als Fußnote in einem kurzen wissenschaftlichen Beitrag veröffentlicht hatte, war alles wieder gut und die Festschrift Karl Georg Kuhn vereinigte 1971 das Who's who der deutschsprachigen Exegese.

Walter Grundmann

Dass erstaunliche akademische Karrieren von überzeugten Nationalsozialisten auch in der DDR möglich waren, zeigt der Lebensweg von Walter Grundmann, eines Assistenten von Gerhard Kittel. Er war bereits 1930 der NSDAP beigetreten und seit 1934 SS-Mitglied. Der Lehrbeauftragte für Völkische Theologie und bis 1945 Professor für Neues Testament in Jena leitete das von 11 deutschen Landeskirchen gegründete "Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" und publizierte einschlägige Werke zur "Judenfrage". Nach dem Krieg gelang ihm zwar nicht mehr die Fortsetzung seiner akademischen Laufbahn, aber seine Kirche ließ ihn nicht hängen: Als Rektor des katechetischen Seminars in Eisenach konnte Grundmann seinen Antisemitismus munter weiter verbreiten. In seinen Lebenserinnerungen stellte er sich als Opfer des Nationalsozialismus dar. Ansonsten war er auch dem neuen Regime ein treuer Diener und arbeitete als geheimer Stasi-Informant.

Auf die weiteren Nazis kann hier nicht näher eingegangen werden, alle konnten sie ihre Lehrtätigkeit nach dem Krieg fortsetzen. Hervorgehoben sei noch Ethelbert Stauffer, der zwar nicht Mitglied der NSDAP war, aber noch 1957 als Professor in Erlangen festhielt: Die wichtigste Aufgabe der Jesusforschung ist klar: Entjudung der Jesusüberlieferung.

Der Autor ist wissenschaftlich-pädagogischer Assistent bei den Theologischen Kursen.

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